Bundeszentrale für politische Wahrheit?

Seite 2: "Zentralstelle für Heimataufklärung"

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Im Zusammenhang mit dieser Kampagne sind die historischen Wurzeln der Bundeszentrale für politische Bildung erwähnenswert. Organisatorischer Vorläufer war vor genau hundert Jahren die sogenannte "Zentralstelle für Heimataufklärung", die während des Ersten Weltkrieges, im März 1918, gegründet wurde, mit dem Ziel, durch Pressekampagnen die Bevölkerung auf die Regierungslinie einzuschwören. Der Sieg an der Heimatfront war ähnlich wichtig wie der über den äußeren Feind.

Geplant hatte die Behörde seinerzeit Major Erhard Deutelmoser, als Pressechef der Reichskanzlei ein früher Vorgänger des heutigen Regierungssprechers Steffen Seibert. Deutelmoser war zuvor im Generalstab der Reichswehr für Pressepolitik und Kriegszensur zuständig gewesen. Nach dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs existierte die Behörde weiter, unter neuer Leitung. In einer historischen Darstellung der bpb heißt es zu den Aufgaben in den 1920er Jahren: "Erziehung zum Staat bedeutete, die Deutschen auf größere, gemeinsame Ziele einzuschwören. Eine große Bedeutung kam hier der Außenpolitik zu."

Akzente solcher "Heimataufklärung" und "Erziehung zum Staat" scheinen nun auch im Projekt "Wahre Welle TV" durch. Insbesondere subversive und kritische Fragen zu 9/11 scheinen die Macher des angeblichen Bildungsprogramms zu stören. In einem der Satire-Videos, die im Stil den Produktionen Jan Böhmermanns oder der ZDF heute-show ähneln, wird nahegelegt, ein kritischer Blick auf die Terroranschläge sei letztlich bloß absurdes Kasperletheater geistig verwirrter Menschen.

Die für diese Clips mitverantwortlichen Produzenten der schon erwähnten Filmfirma Turbokultur meinen in einer ironischen Selbstbeschreibung andernorts, sie seien "das perfideste Propaganda-Instrument des öffentlich-rechtlichen Rundfunks": "Wir vergiften die Köpfe der jungen deutschen Intelligenzija mit vermeintlichen 'Gags', manipulieren damit aber aufs Hinterfotzigste ihre Meinung."

Der Wunsch nach Eindeutigkeit

Neben den Comedy-Videos gehören zum "Wahre Welle"-Projekt (das nach Auskunft der bpb insgesamt 226.000 Euro kostete) auch ernst gemeinte Aufklärungstexte. So soll in einem Artikel zu 9/11 erläutert werden, was "die Verschwörungstheoretiker" denken und weshalb sie falsch liegen.

Ein Satz fällt darin besonders ins Auge: "Einigkeit darüber, wer tatsächlich hinter den Anschlägen steckt, scheint es unter 'Truthern' nicht zu geben." Die fehlende Einigkeit wird interessanterweise als Indiz für Unschlüssigkeit gewertet - nach dem Motto: "Die" sind sich ja noch nicht mal einig und somit auch kaum ernst zu nehmen.

Dieser Wunsch nach Eindeutigkeit offenbart dabei genau das, was paradoxerweise gern den "Verschwörungstheoretikern" vorgeworfen wird: Die Suche nach einfachen Erklärungen für eine komplexe Welt. Letztlich ist kaum etwas vielschichtiger als die Erklärungsansätze der zudem höchst vielfältigen Gruppe der "9/11-Truther". Alles Mehrdeutige, Unklare aber erscheint den staatlichen Aufklärern offenbar hochgradig suspekt. Man sucht selbst gerade die Sicherheit der einfachen und klaren Antworten, die man den "Verschwörungstheoretikern" gern vorwirft.

Dem Autor des 9/11-Artikels, Alexander Meyer-Thoene, 33, sonst als Online-Redakteur beim Stern tätig, fehlen zudem offenbar grundlegende Kenntnisse zum Sachverhalt. So schreibt er:

Andere 'Truther' glauben stattdessen an eine internationale Finanzverschwörung. Konkret sei es bei den Anschlägen um 'Insiderdeals' an der Börse gegangen. Anhängerinnen und Anhänger dieser Theorie sehen 'ungewöhnliches Verhalten' an den Aktienmärkten kurz vor den Anschlägen als klares Indiz dafür. Hierbei geht es beispielsweise um den Verkauf von Anteilen großer US-Fluglinien. Sie glauben, eine geheime Elite habe die Anschläge durchgeführt und sei dadurch noch viel reicher geworden.

Alexander Meyer-Thoene

Dass von "Truthern", also Wahrheitssuchern, angenommen würde, die Anschläge seien durchgeführt worden, um durch Börsenspekulationen im Vorfeld reich zu werden, ist ziemlicher Unsinn. Vielmehr erscheint, ganz abseits der Motivfrage, der massive Insiderhandel im Vorfeld von 9/11, der unter anderem durch Finanzwissenschaftler der Universität Zürich schon vor Jahren dokumentiert wurde, als naheliegende kriminalistische Spur, anhand derer man Akteure mit offenkundigem Vorwissen der Anschläge leicht identifizieren könnte - was aber bis heute seitens der zuständigen Behörden in den USA, wie der Börsenaufsicht SEC, nicht geschehen ist.

Als ein amerikanischer Finanzjournalist 2009 die Veröffentlichung der entsprechenden Untersuchungsakten bei der US-Börsenaufsichtsbehörde beantragte, wurde ihm mitgeteilt, die Akten zur Untersuchung des Insiderhandels seien mittlerweile "zerstört worden".

Die Argumente der Skeptiker, die, wie erwähnt, gerade keine homogene Gruppe sind, werden somit von den "Aufklärern" der bpb noch nicht einmal korrekt wiedergegeben, geschweige denn überhaupt verstanden. Eine Auseinandersetzung auf einem solch oberflächlichen und unkundigen Niveau, wie es die Bundeszentrale für politische Bildung hier vorführt, hat offenkundig wenig mit Bildung zu tun, um so mehr mit Halbwissen, Überheblichkeit und - bewusst oder nicht - Desinformation. Wie man mit einer solchen Mischung Erfolg haben möchte, bleibt das Geheimnis der Macher. Diese teilten Anfang Juli mit:

Unsere Facebookseite wird noch einen Monat online bleiben. Zeit, die wir gern mit euch gemeinsam nutzen, um euch an Informationen heranzuführen und euch zu ermutigen, Verschwörungstheorien zu hinterfragen, denn Fakt ist und bleibt: Wer Wissen will, braucht Bildung.

Das zumindest bleibt weiterhin wahr.

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