Bush-Anhänger zeichnen sich durch Realitätsausblendung aus

Nach einer aktuellen Umfrage glaubt die Mehrzahl der Bush-Anhänger noch immer, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hatte und al-Qaida unterstützte

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Umfragen scheint es vor der Präsidentenwahl in den USA bald wie Sand am Meer zu geben. An ihnen lässt sich, allerdings weniger zuverlässig, die Stimmung im Lande wie das Wetter bei Wetterberichten verfolgen. Verflüssigen sich dadurch die Standpunkte und passen sich neuen Bedingungen an? Oder verhärten sich Meinungen und werden nur noch resistenter gegenüber dem, was um sie herum vorgeht? Es mag einerseits beruhigend sein, wenn die in panischer Folge veröffentlichten Umfragen vielleicht doch nur wenig Einfluss auf den Wählerwillen haben sollten. Andererseits ist höchst beunruhigend, wenn bereits festgelegte Wähler offenbar nur zu bereit sind, Wirklichkeit auszublenden und Informationen nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Am Donnerstag wurde vom Program on International Policy Attitudes (PIPA) eine Umfrage veröffentlicht, die tatsächlich erschreckend ist. Befragt wurden im September und Oktober vom Meinungsforschungsinstitut Knowledge Networks zufällig nach Telefonnumern ausgewählte Erwachsene. Diese werden angerufen und stimmen sie der Umfrage zu, erhalten sie von Knowledge Networks einen Internetzugang und eine persönliche ID. Die Fragen kommen dann per E-Mail.

Das ist eine interessanter Methode, noch interessanter ist allerdings das Ergebnis der letzten Umfrage, von PIPA die "unterschiedlichen Wirklichkeiten der Anhänger von Bush und Kerry" tituliert. Und diese sind tatsächlich höchst unterschiedlich. So sind 72 Prozent der Bush-Anhänger weiterhin überzeugt davon, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hatte (47%) oder ein größeres Programm zur Entwicklung von diesen betrieb (25%). Von den Kerry-Anhängern waren zwar erstaunlicherweise auch noch 26 Prozent dieser Meinung, obgleich hier offenbar die Informationen, die es schon vor dem Krieg gab und schließlich auch von den amerikanischen Waffeninspektoren Kay und Duelfer in ihren Berichten offiziell bestätigt wurden, eher mental angekommen sind. Selbst die Mitglieder der Bush-Regierung mussten unter diesem Erkenntnisdruck ihre Argumentation umschalten und sind - anscheinend völlig unnötig, wenn man die Umfrageergebnisse betrachtet - auf die Position zurück gefahren, dass Hussein nur darauf gewartet hat, wieder ein Programm zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu starten.

In welcher Welt also leben die Bush- und auch Teile der Kerry-Anhänger, schließlich haben sie die Behauptung über die Existenz von Massenvernichtungswaffen aus den Medien, was ihnen anscheinend "zugesagt" hat, nehmen aber Medieninformationen nicht zur Kenntnis, wenn sie nicht hinreichend interessant sind oder nicht ins vorhandene Weltbild störungsfrei eingebaut werden können. 56 Prozent der Bush-Anhänger gehen davon aus, dass die meisten Experten annehmen, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hatte, und 57 Prozent denken, dass Duelfer zum Schluss kam, der Irak hätte zumindest ein großes Waffenentwicklungsprogramm gehabt. Dabei hätte das Ergebnis von dessen Bericht noch relativ frisch in den Köpfen sein müssen. Kerry-Anhänger haben eine prozentual genau spiegelverkehrte Ansicht.

Ähnlich steht es um die andere kriegsrechtfertigende Behauptung der Bush-Regierung. Drei Viertel der Bush-Anhänger sind davon überzeugt, dass der Irak al-Qaida entscheidend unterstützt hat - und 63 Prozent glauben, dafür gebe es eindeutige Beweise. 20 Prozent glauben gar, Hussein habe direkt etwas mit den Anschlägen vom 11.9. zu tun. 55 Prozent sagen überdies, dass das auch das Ergebnis der 9/11-Kommission gewesen sei. Die allerdings hatte gesagt, dass es dafür keine Beweise gibt.

Kerry- und Bush-Anhänger stimmen nur darin überein, dass etwa gleich viele meinen, die Bush-Regierung habe vor dem Irak gesagt, dass der Irak Massenvernichtungswaffen habe, al-Qaida unterstütze oder direkt an den Anschlägen vom 11.9. beteiligt sei. Das aber bringt die Bush-Anhänger nicht dazu, angesichts der Faktenlage davon auszugehen, dass die Bush-Regierung entweder falsche Informationen gehabt oder gelogen habe.

US-Präsient Bush am 7. Oktober vor der Presse zum abschließenden Bericht des amerikanischen Waffeninspekteurs Duelfer: "Chief weapons inspector, Charles Duelfer, has now issued a comprehensive report that confirms the earlier conclusion of David Kay that Iraq did not have the weapons that our intelligence believed were there. The Duelfer report also raises important new information about Saddam Hussein's defiance of the world and his intent and capability to develop weapons. The Duelfer report showed that Saddam was systematically gaming the system, using the U.N. oil-for-food program to try to influence countries and companies in an effort to undermine sanctions. He was doing so with the intent of restarting his weapons program, once the world looked away. Based on all the information we have today, I believe we were right to take action, and America is safer today with Saddam Hussein in prison.

Interessant ist das Festhalten an einer Meinung trotz gegenteiliger Informationen, die allgemein bekannt sein müssten, auch bei der Bewertung des Irak-Kriegs. 85 Prozent der Bush-Anhänger sagen so, die Entscheidung, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen, sei richtig. Auf die Frage, ob die USA auch dann in den Krieg hätte ziehen sollen, wenn die Geheimdienste gesagt hätten, dass der Irak weder Massenvernichtungswaffen habe noch al-Qaida unterstütze, erklärten 58 Prozent, nein, dann hätte man dies nicht machen sollen. Zudem gaben sich 61 Prozent sicher, dass dies dann auch die Bush-Regierung nicht getan hätte. Daraus ergibt sich, dass die Mehrheit der Bush-Anhänger schließt, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gegeben und dieser al-Qaida unterstützt, weil die Bush-Regierung in den Krieg gezogen ist. Man könnte sagen: diese Bush-Anhänger zeichnen sich durch einen klassischen autoritären Charakter aus und modeln sich ihre Wirklichkeit durch Ausblendung nach den Herrschaftsverhältnissen zurecht.

Die Kerry-Anhänger sind zu 92 Prozent der Meinung, dass man nicht in den Krieg hätte gehen sollen, wenn die Geheimdienste andere Informationen geliefert hätten. Und weil Kerry-Anhänger denken, dass der Irak weder Massenvernichtungswaffen noch Beziehungen zu al-Qaida hatte, sind auch 90 Prozent der Meinung, die Entscheidung sei falsch gewesen. Und 83 Prozent denken - ganz realistisch -, dass Bush aus anderen Gründen den Krieg begonnen hätte, wenn die Geheimdienste nicht die Existenz von Massenvernichtungswaffen behauptet hätten. Steven Kull, Direktor von PIPA, interpretiert die Position der Bush-Anhänger:

Den Präsidenten zu unterstützen und zu akzeptieren, dass die die USA aufgrund falscher Annahmen in den Krieg geführt hat, erzeugt wahrscheinlich eine starke kognitive Dissonanz und führt die Bush-Anhänger dazu, die Wahrnehmung von störenden Informationen über den Irak vor dem Krieg zu unterdrücken.

Kull weist darauf hin, dass diese Realitätsverdrängung auch in anderen Bereichen stattfindet. So würden in anderen Umfragen 57 Prozent der Bush-Anhänger glauben, dass die Mehrheit der Menschen in der Welt die Wiederwahl von Bush begrüßen würde. In einer Umfrage in 35 Ländern hatte eine PIPA-Umfrage ergeben, dass nur in drei Ländern die Entscheidung der Mehrheit auf Bush fiel. Und auch in anderen Dingen pflegen Bush-Anhänger eine irrige Meinung. So glaubt eine Mehrheit, dass Bush den Internationalen Strafgerichtshof oder das Kyoto-Abkommen unterstützt und überhaupt darauf drängt, Umweltschutz- und Arbeitsrechtsstandards in Handelsverträge aufzunehmen. Kerry-Anhänger, die die Bush-Regierung naturgemäß aus kritischen Augen sehen, würden dies realistischer beurteilen. Freilich fehlt eine ebensolche Analyse hinsichtlich der Wahrnehmung der Demokraten und von Kerry, auch wenn diese nicht an der Macht sind. Gleichwohl dürften sich hier ähnliche blinde Flecken zeigen

Kull hat für die Wirklichkeitsverdrängung, die Wissensresistenz oder den Informations-Blackout vieler Bush-Anhänger noch eine weitere Erklärung. Das Trauma des 11.9. habe eine unbedingte Treue zu Bush und ein idealisiertes Bild von ihm entstehen lassen. Bush lässt die Wirklichkeitsklitterung für seine Anhänger auch durch seine Weigerung zu, Fehler einzugestehen, auch wenn frühere Positionen nicht mehr haltbar sind. Er rückt von ihnen ab, hält jedoch an den Entscheidungen als richtige fest. Was bei Bush und seinen Spin-Doktoren aber - vermutlich - primär Machtstrategie ist, die sich überraschend bestätigt hat, ist für viele seiner Anhänger eine fatale Selbstentmündigung.

Aber wie auch immer man dies zu erklären versucht, erschreckend ist doch die Weigerung, Abweichendes vom eigenen Weltbild überhaupt zu Kenntnis zu nehmen und Kritik zuzulassen. Man kann, was die Umfrage ja auch zeigt, durchaus hinter Bush stehen, ohne leugnen zu müssen, dass die den Krieg rechtfertigenden Behauptungen sich als falsch erwiesen haben, und ohne annehmen zu müssen, die Bush-Regierung habe die Öffentlichkeit bewusst hinters Licht geführt.

Und erschreckend ist, dass inmitten der Informationsgesellschaft oder, noch besser: der Wissensgesellschaft, in der sich die Menschen in den westlichen Ländern frei aus unterschiedlichen Quellen informieren und sich daraus eine eigene Meinung bilden könnten, gerade das Gegenteil zu geschehen scheint. Was nicht passt, wird ausgesperrt, gibt es nicht. Das ist eine schlechte Nachricht über den Zustand wahrscheinlich nicht nur der amerikanischen Politik und Mediengesellschaft, sondern auch über den Zustand der Demokratie.