CDU-Chef Laschet: Assadist und Putinist?
Der Spiegel wirft ihm vor, dass er in früheren Beiträgen "die Regime-Propaganda" geteilt habe. Wer genauer hinschaut, entdeckt Realismus in Laschets Tweets
Seit Samstag wissen die internationalen Medien von der Existenz Armin Laschets. Mit seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden bekommt der deutsche Provinz-Chef ein größeres Format, er wird relevant für Überlegungen zur deutschen Außenpolitik. Auch der Spiegel entdeckt Laschet neu unter außenpolitischen Maßgaben und tischt mit der Lage am Montagmorgen ein interessantes Bild von Laschet als "Assad-Verteidiger" auf.
Wie immer bei Porträts und Karikaturen offenbart der Künstler auch viel von sich selbst. Bei der Konturenzeichnung, die der Spiegel-Auslandschef Mathieu von Rohr nun zu den außenpolitischen Positionen Laschets anfertigt, ist vor allem die außenpolitische Linie des Spiegel zu erkennen.
Was die außenpolitische Ausrichtung Laschets anbelangt, so gibt es da einen kleinen Überraschungsmoment für diejenigen, die nicht alle Twitter-Beiträge der letzten Jahre vom Laschet gelesen haben. Der große Rest des Bildes von Laschet als Außenpolitiker ist noch im Entwicklerbad und da möchte der Spiegel mithelfen?
Der Vorwurf, der dem neuen CDU-Vorsitzenden gemacht wird, lautet: Unterstützung eines brutalen Regimes und Verbreitung von Fake News:
Laschet hat sich im Syrien-Krieg früh auf die Seite des Diktators Baschar al-Assad geschlagen, der Zivilisten aus der Luft bombardieren ließ und forderte 2014 eine Neubewertung von dessen Regime. Laschet beschuldigte die USA fälschlicherweise, den "Islamischen Staat" gegen Assad unterstützt zu haben - in Wahrheit kämpften die von den USA unterstützten Oppositionsgruppen gegen den "IS".
Mathieu von Rohr, Spiegel
Laschet habe "die Regime-Propaganda" geteilt, so zieht der Ressortleiter Ausland die Linie weiter, an dessen Ende nicht nur das Bild Laschets als Verteidiger Assads, sondern auch als Unterstützer Putins vor den Augen des Medienboulevard-Besuchers steht.
Doch Laschet teilte die Regime-Propaganda, die alle Oppositionsgruppen mit dem "IS" gleichsetzte - und teilte auf Twitter 2018 die vom Assad-Regime verbreitete These, der "IS" habe die Chemiewaffenattacke auf das von Rebellen kontrollierte Ost-Ghouta bei Damaskus zu verantworten und nicht das Regime selbst - obwohl der "IS" in Ost-Ghouta gar nie vertreten war. Laschet schrieb zudem: "Lösung in Syrien gibt es nur mit Russland". Mit dem Russland also, das in Syrien Assad unterstützt und seit Jahren Zivilisten und Krankenhäuser bombardiert.
Mathieu von Rohr, Spiegel
Es gibt dazu auch andere Perspektiven, die diesem grobkörnigen Bild ein paar wichtige Details hinzufügen. Zum Beispiel die von Armin Laschet selbst - sein Tweet vom 12. September 2015:
Warum ist Einsatz Russlands gegen den IS "beunruhigend", westliche Luftangriffe aber hilfreich? Lösung in Syrien gibt es nur mit Russland.
Armin Laschet, Twitter, 12.September 2015
Und dann gibt es noch den Austausch über Twitter, der im August 2014 zwischen dem damaligen US-Außenminister Kerry und Armin Laschet stattfand. Aktuell übermittelt via Ben Juddah, einem Journalisten, der auch beim Think Tank Atlantic Council aktiv ist (dessen Syrien-Agenda auf mehr US-Intervention ausgerichtet war und ist und der das Feindbild Russland ausgiebig pflegt).
Im seinem Posting, bemerkt Laschet, dass Assad gegen den IS gekämpft habe, aber der "US-Außenminister Kerry versucht hat, Assad in diesem Kampf zu schwächen".
Der politische Wille, den IS und die al-Nusra-Front zu bekämpfen
Für die Sichtweise, dass die USA lange Zeit vor dem August 2014 - und verschiedentlich auch später - die Bedrohung, die der IS für die syrische Regierung darstellte, für eigene politische Ziele nutzte, indem man die IS-Milizen gewähren ließ und nicht gezielt bekämpfte, ihnen also Bewegungsraum gestattete, weil dies Syriens Armee "beschäftigte", gibt es allerhand Material und Aussagen. Kerry selbst gab Hinweise auf diese Strategie.
Zur Erinnerung: Erst mit dem Angriff der IS-Milizen auf Kobane im späten September des Jahres 2014 wurde der Einsatz des US-Militärs gegen den IS deutlich verstärkt.
Auch das Verhalten der USA gegenüber der al-Nusra-Front, die ab Juli 2016 unter den Namen Jabhat Fatah al-Sham operierte und ab Ende Januar 2017 unter dem bis heute geltenden Namen Hayat Tharir al-Scham, gibt es, worauf Armin Laschet spitz hinwies, Anlässe genug, die demonstrierten, dass die USA zurückhaltend formuliert nicht konsequent und rigide genug vorgingen, wie man es eigentlich bei einem ausgewiesenen al-Qaida-Abkömmling erwarten müsste.
Noch heute profitiert die dschihadistische Terrormiliz davon, dass sie im syrischen Kräftespiel ein Faktor war, der von den USA und der Türkei in ihre Anti-Assad-Strategie miteinbezogen wurde: HTS beherrscht das Gouvernement Idlib, das sie in der Allianz namens Jaisha al-Fatah (mit der damals starken, von Saudi-Arabien unterstützten salafistischen Miliz Ahrar al-Sham) im April und Mai 2015 eroberte. Ohne die Unterstützung von außen, durch Waffenlieferungen, Rekruten und Geld über die Türkei oder Jordanien, ohne die Medienunterstützung, die von oppositionellen Rebellen berichteten, ohne die Unterstützung in der Form des Gewährenlassens, wären die Dschihadisten nicht soweit gekommen.
Am 23. September des Jahres 2015 griff Russland offen militärisch in Syrien ein, aufseiten der von der Kampfallianz aus Dschihadisten, Salafisten und Islamisten bedrohten Regierung, die den Verbündeten zur Hilfe gerufen hatte. Dass ein solches Eingreifen bevorstünde, wurde schon vorher diskutiert. Insofern war der oben zitierte Tweet Laschets so realistisch wie auch seine Anmerkungen zu Kerrys Politik: "Lösung in Syrien gibt es nur mit Russland."
Gut-Böse-Katechismus
Die Krux ist hier der Gut-Böse-Katechismus, der im Fall Syriens angewendet und vom Spiegel neu hereingespielt wird, die Frage der Bewertung - und die Agenda, aus der sich die Legitimationserzählungen ("Narrative") spinnen.
Konkret: Laschet twitterte ja damals nicht, dass er den russischen Militäreinsatz positiv unterstütze. Er fordert in seinem Tweet weniger Schlagseite bei der Beurteilung von Luftangriffen (wobei ihm im Nachhinein die Bilder der zerstörten IS-Hochburgen in Rakka und Mosul/Irak auch Recht geben) und er gab zu bedenken, dass Russland bei der "Lösung in Syrien" mitzureden habe. Was sich dann ja auch zeigte.
Ist er damit schon ein Verteidiger des Assad-Regimes, wie ihm Mathieu von Rohr vorwirft? Der Spiegel verlinkt dazu auf einen Artikel im Tagesspiegel vom 23.09.2014:
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet sagte dem Tagesspiegel am Dienstag: "Die derzeit größte Bedrohung für Frieden und Freiheit in der Welt ist der totalitäre Dschihadismus und hier im Besonderen die Bewegung 'Islamischer Staat'. Jede Unterstützung im Kampf gegen die brutalen Brigaden des IS wird gebraucht und ist willkommen."
Syrien unter Assad sei zwar ein autoritärer Staat, habe aber religiöse Vielfalt in einem Ausmaß zugelassen, dass Christen, Schiiten, Alawiten und Juden Luft zum Atmen gehabt hätten. "Wäre Assad - wie von einigen westlichen Staaten zeitweise beabsichtigt - gestürzt, stünde IS heute in Damaskus, unweit der Grenze zu Israel."
Deutschland solle den Kurswechsel der Vereinigten Staaten zur Bekämpfung der IS-Terroristen in Syrien unterstützen, forderte Laschet. "Davon darf uns nicht der Umstand abhalten, dass dies auch dem Regime in Damaskus nützt."
Tagesspiegel
Das Problem, das die Unterstützer der Opposition gegen Baschar al-Assad grundsätzlich hatten, wird hier anschaulich klar herausgestellt: Die Alternative zur syrischen Regierung ist noch brutaler und bedrohlicher.
Die Revolution, die die Oppositionsmilizen vorhatten, nannten sie, wenn sie nicht mit westlichen Medien sprachen, "syrischer Dschihad". Gemeint war ein Umsturz, um einen islamischen Staat (ohne Anführungszeichen) zu errichten. Im letzten Jahrzehnt kursierten Anschauungen, von einigen Think Tanks unterstützt, wonach die Islamisten, Salafisten, Dschihadisten dann schon wieder einzufangen und zu kontrollieren wären - wie in Afghanistan?
Völlig ausgeklammert hatte man in dieser Vision, der es hauptsächlich darum ging, Assad und seine Umgebung zu entmachten, die Rachewellen, die sich infolge dieses Umsturzes Bahn gebrochen hätten.
Aus diesem Bild, in dem jegliche realistische Vorstellung einer Opposition fehlt, die Syrien konkret eine bessere Zukunft in Aussicht stellen hätte können, leitete Laschet eine Verallgemeinerung ab, die der Spiegel ihm zuletzt vorhält: Dass nämlich alle bewaffnete Opposition sich einem islamistischen Ziel unterordnete.
Laschet würde "alle Oppositionsgruppen mit dem 'IS' gleichsetzen" heißt es in der Anklage, wonach der neue CDU-Chef seinerzeit die IS-Propaganda von Baschar al-Assad teilen würde. Das ist Polemik.
Sämtliche Oppositionsgruppen, die als Milizen gegen Assad kämpften, um eine militärische Lösung in Syrien (die die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Katar, Saudi-Arabien und die Türkei unterstützten) voranzutreiben, hatten eine islamistische Agenda. Spätestens nach 2012 wurde das offensichtlich.
Der Giftgasangriff
Nun zum Journalistischen: Der Spiegel-Auslandschef wirft Laschet vor, dass er die Chemieattacke im April 2018 in einem Tweet in einer Weise darstellt, der "der vom Assad-Regime verbreiteten These" entspreche, wonach der IS den Chemiewaffenangriff zu verantworten habe. Der entsprechende Tweet Laschets behauptet dies gar nicht wörtlich, sondern gibt einen Bericht des ZDF-Korrespondent Uli Gack weiter, der von solchen Gerüchten spricht. Mathieu von Rohr merkt dem journalistisch aufklärend an, dass "der IS in Ost-Ghouta gar nie vertreten war".
Das dürfte stimmen, ist aber im syrischen Wirrwarr nicht unbedingt sicher. Der französische IS-Forscher Matteo Puxton legte in seinen Blogs (beim damals noch seriös agierenden Medium France Soir) Zeichen der IS-Präsenz in Landesteilen vor, die man nicht unbedingt erwartete. Aber das ist hier gar nicht die Hauptsache. Die liegt darin, dass, anders als von vielen großen Medien behauptet, die Täterschaft des Giftangriffes in Ostghouta nicht geklärt ist (Der OPCW-Abschlussbericht und der angebliche Giftgasangriff in Duma).
Es gab dazu einen langen Streit innerhalb der OPCW, deren Führung mit belastendem Material der Vorwurf gemacht wurde, dass Gutachten zur Seite geschoben wurden, die dem politisch zur Anti-Assad-Agenda passenden Vorwurf, wonach es ganz eindeutig "das Regime" war, deutlich widersprachen und zwar anhand sorgfältiger Recherchen. Wer es war, ist noch immer Gegenstand von mehr oder weniger plausiblen Spekulationen. Dass es sich um einen Chemiewaffen-Angriff vonseiten des syrischen Militärs handelte, ist, um es vorsichtig zu sagen, nicht erwiesen.
Solche Unsicherheiten passen aber nicht in vorgefertigte Bilder, an denen man aus politischen Gründen festhält. Das könnte man als eigentlichen Skandal hinter dem Angriff auf Laschets frühere Anmerkungen zu Syrien herausstellen.
Wie es aussieht, gibt es ein politisches Interesse daran, "häretische Positionen", wie sie die früheren Äußerungen Laschets bedeuten, zu desavouieren. Das transatlantische Bündnis soll mit Biden neu bekräftigt werden. Weswegen man wahrscheinlich nun Röttgens Positionen mehr in den Vordergrund stellen wird - als Positionen eines künftigen Außenministers?
Röttgens Positionen
Die Wahl Laschets ist ein Zeichen für eine auf Ausgleich und Konsens orientierte Linie der Christdemokraten. Die wäre nicht nur unter Friedrich Merz undenkbar gewesen, der sich inhaltlich mehrfach nach rechts offen gezeigt hat. Auch Norbert Röttgen, der unter Angela Merkel einen Karriereknick erlitten hat, hätte die Gräben zu anderen Parteien wohl vertieft.
Röttgen sei "natürlich schon ein CDUler, der weiß, wo die Interessen seiner Fraktion liegen", sagt dazu Bijan Djir-Sarai, der die FDP-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss vertritt. Er selbst empfinde die Zusammenarbeit mit dem Ausschussvorsitzenden als "sehr sachlich" und "positiv", so Djir-Sarai im Telepolis-Gespräch: "Aber mir ist auch aufgefallen, dass er nicht die Konfrontation scheut, wenn Vertreter der Regierung da sind, die der SPD angehören".
Diese Konfrontation hätte unter einem CDU-Vorsitzenden Röttgen ohne Zweifel auf außenpolitischem Terrain stattgefunden, wo er deutlich transatlantische und Nato-freundliche Positionen vertritt, etwa zur Sicherheitspolitik,Syrien oder Russland.
Bemerkenswerterweise hätte eine Röttgen-geführte CDU damit näher an den Grünen gelegen als an der SPD oder gar den Linken in seinem Ausschuss, was auch das Büro des Grünen-Außenpolitikers Omid Nouripour auf Telepolis-Nachfrage zur dortigen Arbeit des Christdemokraten bestätigte. "Herr Nouripour lässt ausrichten", hieß es von dort, "dass er findet, dass Herr Röttgen das okay macht."
(Unter Mitarbeit von Harald Neuber)