CDU-Vorsitz: Merkel zieht die Notbremse
Angela Merkel will nur mehr Kanzlerin sein und den CDU-Vorsitz abgeben - so bleibt sie potenziell mächtig
Wenn man militärisch in eine unvorteilhafte Situation geraten ist, dann kann es sich lohnen, Gelände, das sich absehbar sowieso nicht halten lässt, zu räumen, um dahinter eine wirksamere Verteidigungslinie aufzubauen. Das scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade zu machen. Sie wird sich übereinstimmenden Medienberichten nach auf dem CDU-Parteitag im Dezember nicht mehr als Vorsitzende wählen lassen, aber Bundeskanzlerin bleiben.
In der Vergangenheit hatte Merkel, die die CDU bereits seit 18 Jahren anführt, immer wieder verlautbart, eine Personalunion von Parteivorsitz und Kanzlerschaft sei sinnvoll. Der ZDF-Sendung "Berlin direkt" sagte sie beispielsweise noch im Februar: "Für mich gehören diese beiden Ämter in eine Hand, um auch eine stabile Regierung bilden zu können. Dabei bleibt es." Dass das nun nicht mehr gelten soll, deutet darauf hin, dass sie damit wohl eher einen Kommentar zum konkreten Fall als zur Politik allgemein abgab, auch wenn sie den Bürgern mit ihrer Formulierung wohl letzteres suggerieren wollte.
Nachfolger als Brandmauer zwischen Merkels Kanzlerschaft und dem Wählerwillen
Wäre die protestantische Pastorentochter Parteivorsitzende geblieben, dann hätte sie sich überlegen müssen, wie sie im nächsten Jahr drei erwartbare heftige Niederlagen ihrer Partei bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen erklären kann. Das wäre wahrscheinlich noch schwieriger gewesen, als die gestrige Wahlniederlage in Hessen zu erklären, bei der ihre Partei mit dem merkeltreuen Ministerpräsidenten Volker Bouffier noch einen Punkt mehr abgeben musste als die CSU zwei Wochen vorher in Bayern, weshalb sie die Schuld dafür nicht auf Horst Seehofers Unbotmäßigkeit gegenüber ihr und ihrer Politik abschieben kann. Hinzu kommt ein Abstieg in den bundesweiten Umfragen, in denen die CDU gestern erstmals auf dem historischen Tiefstand von 24 Prozent ankam.
Hätte Merkel in dieser Situation am Parteivorsitz festgehalten, wäre nicht nur das Risiko gestiegen, dass sie im nächsten Jahr die Kanzlerschaft abgeben muss, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Partei einen Nachfolger wählt, dessen Politik sich von der ihrigen deutlich unterscheidet. Zum Beispiel Carsten Linnemann oder Philipp Lengsfeld. Nun hat sie dagegen gute Chancen, einen handzahmen Zögling wie Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Parteivorsitz zu installieren, der bei den Europa- und Landtagswahlen wie eine Brandmauer zwischen ihrer Kanzlerschaft und den zu erwartenden Wahlniederlagen steht und ihr auf diese Weise weiter die Macht sichert, auf die es ankommt (vgl. Hat Merkel das Rennen wirklich freigegeben?).
Friedrich Merz will Annegret Kramp-Karrenbauer herausfordern
Obwohl (oder vielleicht gerade weil) nach der Hessenwahl eine "Nacht der langen Messer" seit Monaten absehbar war (vgl. Vorbereitungen auf "Nächte der langen Messer"), wirkt das Bewerberfeld für den CDU-Vorsitz bislang eher ungeordnet, wie unter anderem der Welt Reporter Robin Alexander konstatiert.
Die drei Gegenkandidaten aus der Basis, die sich bereits vor Merkels taktischem Rückzug meldeten (vgl. Kandidaten aus der Basis wollen Merkel beim CDU-Parteitag im Dezember herausfordern), dürften nun in jedem Fall keine realistische Chance mehr haben (falls sie überhaupt jemals eine hatten). Potenziell mehr Anhänger dürfte Merkels 2009 eigentlich aus der Politik ausgestiegener Rivale Friedrich Merz haben, der sich heute gleich nach den ersten Meldungen über den Rückzug der Uckermärkerin als Ersatz anbot.
Ob er das Zeug hat, ehemalige Unionswähler zurückzugewinnen, ist allerdings fraglich. Wählt ihn die CDU als Vorsitzenden, wäre das so, als ob sie einen alten röchelnden Staubsauger nicht durch einen neuen Staubsauger, sondern durch einen Besen ersetzt. Merz ist nämlich noch ganz in den politischen Frontstellungen des letzten Jahrzehnts gefangen. Bleiben er und Annegret Kramp-Karrenbauer (die ihre Kandidatur ebenfalls schon bekannt gegeben hat), die einzigen Establishment-Kandidaten, dürfte das Risiko für Merkel überschaubar sein.
Möglicherweise freut sich die Kanzlerin sogar über das Antreten des Sauerländers, weil er die Chancen für gefährlichere und weniger aus der Zeit gefallene Gegner wie Jens Spahn verringert. Tritt er ebenfalls an (was noch unklar ist), dann müssen sich Merkelgegner in der CDU entscheiden, ob sie ihm oder Merz ihre Stimme geben. Es ist deshalb möglich, dass der Gesundheitsminister noch wartet und es dem Vorsitzenden des Netzwerkes Atlantik-Brücke überlässt, die Verantwortung für eventuell weiter sinkende Umfragewerte und weitere Wahlniederlagen im nächsten Jahr zu übernehmen. Dann könnte er bei einem Großreinemachen vielleicht nicht nur den Parteivorsitz, sondern auch gleich die Kanzlerschaft übernehmen.
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