CDU will Ukrainern Bürgergeld kürzen – ist das Populismus auf Kosten von Kriegsflüchtlingen?
Sollen Kriegsflüchtlinge noch Bürgergeld bekommen? Die CDU heizt die Debatte an und will Ukrainern Leistungen kürzen. Ein unmoralischer Vorstoß oder berechtigt?
Sollen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine künftig noch Bürgergeld bekommen oder nicht? Über diese Frage beraten ab Mittwoch die deutschen Innenminister in Potsdam. Das Thema hat in den vergangenen Tagen für hitzige Debatten gesorgt und polarisiert.
Ukrainische Kriegsflüchtlinge: CDU will Bürgergeldzahlungen streichen
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) gehört zu denen, die Kriegsflüchtlingen das Bürgergeld streichen wollen. Seiner Meinung nach passt es nicht zusammen, einerseits "fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren" und andererseits die Ukraine nach Kräften unterstützen zu wollen.
Das brachte dem ehemaligen Pfarrer den Vorwurf ein, Menschen in den Tod schicken zu wollen und rassistische Stimmung zu schüren. Die brandenburgische Landtagsfraktion der Christdemokraten stellte sich demonstrativ hinter den Minister.
Widersprüchliche Argumentation: Christdemokraten in Erklärungsnot
Stübgen wolle niemanden in den Tod schicken, sondern nur auf ein Thema aufmerksam machen, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Steeven Bretz der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Warum aber "fahnenflüchtige Ukrainer" ein besonderes Problem sein sollen, darauf ging Bretz demnach nicht ein.
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An dieser Stelle sei angemerkt, dass Stübgen mit solchen Äußerungen nicht allein ist und ein besonderes Problem bei ukrainischen Männern sieht. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat bereits im Mai erklärt, dass diese wieder in den Krieg geschickt werden sollen.
Herrmann sagte damals, sie sollten kein Bürgergeld erhalten, denn sie seien "eigentlich zum Wehrdienst in ihrer ukrainischen Heimat verpflichtet". Und für die Verteidigung des Vaterlandes würden sie schließlich gebraucht.
Populismus statt Fakten: Streichung des Bürgergelds verstößt wohl gegen EU-Recht
Florian Diekmann nennt Stübgens Argumentation im Spiegel "billigen Populismus" – und hat damit recht. Denn würde Deutschland neu einreisenden Ukrainern pauschal das Bürgergeld streichen, verstieße das wohl gegen EU-Recht.
Gemeint ist die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die 2001 als Reaktion auf den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien geschaffen wurde, um mit großen Flüchtlingsströmen besser umgehen zu können. Sie wurde erstmals nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine angewandt.
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Asylantrag statt Bürgergeld: Mehr Bürokratie, höhere Kosten
Auch ein anderes Argument der Christdemokraten überzeugt nicht. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Joachim Herrmann wollen, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine künftig niedrigere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.
Was wäre aber gewonnen, wenn Ukrainer kein Bürgergeld mehr erhielten und stattdessen Asyl beantragen müssten? Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) erklärte auf Anfrage gegenüber Telepolis:
Würde man dies ändern und die Geflüchteten aus der Ukraine zunächst unter das AsylbLG fallen lassen, ist davon auszugehen, dass die neu ankommenden Geflüchteten Asylanträge stellen würden. Das Durchlaufen eines Asylverfahrens wäre mit großem personellem und finanziellem Aufwand für Länder und Kommunen verbunden, während gleichzeitig das Ergebnis des Verfahrens von Anfang an klar wäre: Der Schutzstatus ist wegen des Krieges zu gewähren.
Länder und Kommunen wären zudem die Leidtragenden, sollten Ukrainer künftig Asyl beantragen müssen. Denn auch sie sind für die Asylverfahren zuständig und "werden mit dem praktizierten Verfahren stark entlastet", so das BMAS weiter. Außerdem müssten Länder und Kommunen einen Großteil der Asyl-Kosten tragen.
Hürden bei Arbeitsmarktintegration: Bürgergeld-Kürzung keine Lösung
Stübgen hatte zudem erklärt, das Bürgergeld sei zu einem Hemmschuh für die Arbeitsaufnahme geworden. Offizielle Zahlen der Bundesregierung scheinen das auch zu bestätigen. Demnach lebten im Februar knapp 1,2 Millionen Ukrainer in Deutschland, davon rund 725.000 im erwerbsfähigen Alter. Allerdings schafften es bisher nur rund 114.000 einen sozialversicherungspflichtigen Job zu finden. Weitere 36.000 gehen einem Minijob nach.
Ein Wechsel in das Asylsystem würde es den geflohenen Ukrainern aber auch nicht erleichtern, in Arbeit zu kommen. Ganz im Gegenteil: Der Zugang zu Sprachkursen, Arbeitsvermittlung und Qualifizierung würden dadurch deutlich erschwert, erklärte etwa Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags, laut dpa.
Dass Bildungsabschlüsse der Ukrainer in den Zufluchtsländern oft nicht anerkannt werden, ist ein bekanntes Problem. Und das BMAS bestätigte dies noch einmal gegenüber Telepolis:
Es gibt institutionelle als auch persönliche Hürden, die die Vermittlung von Geflüchteten erschweren. Typische Herausforderungen sind die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen und Bildungsabschlüsse der Geflüchteten sowie Sprachbarrieren oder fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder - gerade bei ukrainischen Müttern, die vielfach in Deutschland alleinerziehend sind, da ihre Partner noch in der Ukraine sind.
Wahlkampf auf Kosten von Kriegsflüchtlingen: Christdemokraten buhlen um Wählerstimmen
Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob eine Kürzung der Unterstützung den Ukrainern wirklich helfen würde, schneller Arbeit zu finden.
Vielmehr ist zu vermuten, dass sich Christdemokraten wie Michael Stübgen für den Wahlkampf warmlaufen. Schließlich dürfte sein Landesverband bestrebt sein, bei den anstehenden Landtagswahlen ordentlich zuzulegen. Mit populistischen Forderungen auf Kosten von Kriegsflüchtlingen hofft man wohl punkten zu können.