Campact für harten Lockdown
Die Forderungen sind bemerkenswert für eine Organisation, die einmal aus der sozialen Bewegung entstanden ist. Kommentar
"Die Corona-Pandemie gerät außer Kontrolle. Fordern Sie einen harten Lockdown, um die dritte Welle zu brechen." In diesem alarmistischen Ton ist ein Eil-Appell des Kampagnennetzwerks Campact verfasst.
"Die halbherzige Politik der letzten Monate hat versagt und die dritte Welle erst ermöglicht. Jetzt braucht es einen klaren Einschnitt, damit wir das Virus unter Kontrolle bekommen."
Neben verbindlichen Homeoffice-Regelungen und Testpflicht in den Betrieben werden eher unverbindlich "schnelle Hilfen" für die vom Lockdown-Betroffenen gefordert.
Konkret wird man hingegen, wenn es um die Verbote geht. So fordert der Aufruf eine abendliche Ausgangsbeschränkung. Die Behauptung, dass nur auf diesen Weg in anderen Ländern die dritte Corona-Welle gebrochen werden konnte, wird in dem Appell nicht weiter begründet. Im Kleingedruckten (bei den sogenannten "5-Minuten-Infos") wird dann als Argument für strenge Ausgangsbeschränkungen nachgeschoben, dass die sich besser von der Polizei kontrollieren ließen, die ansonsten in die Wohnungen müsse.
Die Erfahrung zeigt: Kein Land hat B.1.1.7 bisher ohne Ausgangssperren bezwungen. Nächtliche Ausgangsbeschränkungen lassen sich einfacher kontrollieren - ohne das(!) Polizei oder Ordnungsamt private Wohnungen betreten müssen. Die derzeit geltende Regel, nur eine begrenzte Anzahl von Personen aus anderen Haushalten zu treffen, lässt sich praktisch kaum überprüfen.
Auszug aus dem Appell "Dritte Welle brechen: Harter Lockdown jetzt!"
Damit gibt eine Organisation, die sich eigentlich die Vereidigung der Grundrechte auf die Fahnen geschrieben hat, die Zustimmung, dass Menschen von der Polizei kontrolliert werden können, wenn sie nachts unter Einhaltung der Hygienebedingungen das Haus verlassen.
Unter der Frage "Was ist mit einem 'harten Lockdown' gemeint?" wird ein wahrer autoritärer Horrorkatalog präsentiert ("Die Maßnahmen wären sehr hart für uns alle"). Neben den nächtlichen Ausgangssperren wird dort für ein Verbot privater Feiern und Urlaubsreisen votiert. Größere Menschenansammlungen sollen untersagt und eine Maskenpflicht in Innenräumen auferlegt werden. Stellt sich die Frage, wer das kontrollieren und sanktionieren soll. Soll also doch die Polizei auch Privaträume betreten?
Mit dem Verbot von Menschenansammlungen ist die Demonstrationsfreiheit und das Versammlungsrecht aufgehoben, ohne dass dies überhaupt nur erwähnt wird. Das ist bemerkenswert für eine Organisation, die einmal aus der sozialen Bewegung entstanden ist.
Aber wenn man im letzten Jahr den autoritären Turn nicht weniger Linker und Linksliberaler erlebt hat, wundert man sich auch weniger darüber, dass Campact das reale Regierungsprogramm gegen Corona noch an Härte übertreffen will.
Unterschied zu Zero Covid
Mit keinen Wort erwähnt werden in dem Campact-Aufruf Initiativen wie Zero Covid, die seit einigen Wochen für Diskussionen sorgten und das Ziel verfolgen, die Corona-Zahlen fast auf null zu drücken. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zu dem Forderungskatalog von Campact: Zero Covid hatte den Anspruch, ein linker Lockdown zu sein, und setzte auf die Selbstorganisation der Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen.
Schließlich sei dort die Ansteckungsgefahr erwiesenermaßen hoch. Veranstaltungen im Freien sollten hingegen nicht tangiert werden, betonte Christian Zeller, einer der Organisatoren von Zero Covid, auf Nachfrage in einer Online-Diskussionsveranstaltung.
Er begründet das damit, dass die Gefahr von Ansteckungen im Freien viel geringer sei. Bei Campact spielt das scheinbar keine Rolle, weil da doch praktisch sämtliche Lebensäußerungen eingefroren werden sollen.
Campact-Vorstand Felix Kolb erklärte im taz-Interview, man wolle mit dem Aufruf ein politisches Zeichen setzen. Das ist insoweit gelungen, weil hier einmal mehr deutlich wurde, dass für manche die Konsequenz des Scheiterns autoritärer Politik darin besteht, noch mehr Verbote zu fordern.
Schließlich vertröstet Campact sein Zielpublikum mit einer Einlassung, die Merkel oder Steinmeier nicht besser formulieren könnten.
"Die Maßnahmen wären sehr hart für uns alle. Doch sie wären zeitlich begrenzt. Lieber ein kurzer, echter Lockdown als monatelanger halbherzige Maßnahmen, die viele Menschen sehr belasten."
Das ist nach einem Jahr Corona-Ausnahmezustand mit unterschiedlichen Graden der Lockdowns nun kein Hoffnungsschimmer. Dagegen regt sich auch unter Liberalen Widerspruch.
Kürzlich wurde ein "Manifest der offenen Gesellschaft" veröffentlicht, an dem, angefangen beim Titel, viel zu kritisieren wäre. Doch dass sie die Debatte um den Umgang mit Covid-19 versachlichen wollen, ist kein Grund zur Kritik.