Castor rollt ...
... Indymedia Germany berichtet
Erstmals seit vier Jahren und zum ersten Mal unter einer rot-grünen Bundesregierung ist ein Castor- Transport mit hochradioaktivem Material auf dem Weg von Frankreich nach Gorleben. Das Castor-Drama, das sich wie eine wiederaufgenommene Routine-Übung der deutschen Leidkultur-Erfahrung entwickelt, wird diesmal nicht nur von den Argus-Augen der TV-Stationen und Tagespresse begleitet, sondern auch von dem in Hinblick auf diesen Anlass gegründeten deutschen Zweig von Indymedia.org.
Auf deren Site kann man die Berichte von den nervenzermürbenden Realschauplätzen rund um den Castor-Transport im Detail mitverfolgen. Nach Seattle, Philadelphia, Washington Prag und anderen Orten globaler Proteste, von denen Indymedia berichtete, ist nun dieselbe Unmittelbarkeit auch durch eine deutsche Indymedia-Site gegeben. Diese hat - wie Telepolis kürzlich von einem Berliner Vorbereitungstreffen berichtete - verschiedene Versionen, eine Art offenen Kanal, wo alle neuen Meldungen im Web gepostet werden, und einen von der Redaktion selektierten Nachrichtenkanal. Ist man damit schon recht "live" am Geschehen, gibt es mit dem WAP-Service noch zusätzliche Möglichkeiten, Informationen in letzter Minute zu erhalten.
Nun werfen sich zwar auch die etablierten Medien ziemlich ins Gefecht, wenn es darum geht, die Objektive, Scheinwerfer und Mikrophone auf das Castor-Drama gerichtet zu halten, doch der Unterschied liegt vor allem in der Perspektive. Die Leid/t/medien schwingen sich manchmal zu etwas neutraler gehaltenen Meinungsäußerungen auf, wie etwa in einem Artikel der FAZ im Netz, in dem Polizei und Demonstrierende als das "Fußvolk der Politik" dargestellt werden, doch ansonsten beherrscht ein Poutporri aus auf die knappste Faktenlage reduzierte Kriegsberichterstattung den Castor-Nachrichtenalltag. Aber keine Angst, nach den kaum merklich umgeschriebenen Polizei-Presseerklärungen gewürzt mit Politiker-Soundbytes kommt auch noch das Feuilleton auf den Zug.
Die Abhandlung der ziemlich deutschlandspezifischen Zuspitzung der globalen und lokalen Verhältnisse namens Castor in den deutschen Medien ist - ohne jetzt meckern zu wollen und gelinde gesagt - gut ausgebaute "Minimum Reality". Nur ein Beispiel: Wenn von "Gewaltbereitschaft" die Rede ist, dann meinen "die Medien" meist ohne Ausnahme jene der Demonstranten. Bei Indymedia kann man von der Angst vor unnötigen Exzessen der Polizeigewalt lesen und Links auf Photos wie dieses finden, auf dem man jugendliche Demonstranten, leicht alternativ angezogen aber sicherlich gewaltverzichtend und ganz brav die Hände hochhaltend, sieht. Die Texte werden ergänzt durch Audio- und Fotoberichte, eine Forumsfunktion erscheint selbstverständlich.
Das Fußvolk berichtet nun selbst und füllt die Lücken in der Wahrnehmung des erlaubten Wahnsinns; das mit wachsendem Professionalismus im Graswurzel-Journalismus und einem Umfeld unterstützender Medien - wie etwa dem Castor-Alarm auf Nadir.org. Wer wirklich einen runderen Blick auf die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Castor-Transport werfen will, kommt an diesem Checkpoint einer anders-medialen Erfahrung derzeit nicht vorbei.