Charakterfest in Frisurfragen

Schnittlauch auf dem Kopf, Lover im Pool, CNN in Afghanistan - wie bei den Münchner Medientagen über Politikinszenierung diskutiert wurde

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"Parteiprogramme haben für Wähler doch nie eine Rolle gespielt."

Wer das auf den Münchner Medientagen sagt, muss wohl ein recht arroganter PR-Berater oder ein ebensolcher Journalist sein. Aber nein. Sepp Dürr ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bayerischen Landtag - und ein ziemlich klar denkender Politiker dazu: "Sobald die Kameras angehen, bin ich in einer Inszenierung", sagt er.

Es ist erstaunlich, dass bei all den Diskussionen über Politikinszenierung und Wahrheitsfindung, gerade im Kontext des Militäreinsatzes in Afghanistan, niemand auf den Medientagen den naiven Glauben an die eine, absolut objektive Wahrheit vertrat. Politik, PR und Journalismus scheinen ihren Grundkurs in Konstruktivismus absolviert zu haben, was gar nicht so schlecht ist. Denn erst die Feststellung, dass statt einer Realität nur Konstruktionen existieren, ermöglicht die Analyse, nach welchen Regeln und mit welchen Absichten diese entstehen.

Die wichtigste Regel: Politiker dürfen nicht überraschen. Da sind sich so illustre Personen wie Ex-Kohl-Berater Andreas Fritzenkötter, Noch-Scharping-Berater Moritz Hunzinger und N 24 Chefredakteur Peter Limbourg einig.

Wie wird aber diese Erwartungsstabilität inszeniert? Zum Beispiel, indem Angela Merkel bei ihrer Schnittlauch-Frisur bleibt. Ganz ernsthaft: "Sie hätte ihren Stil verloren, wenn sie der breiten Meinung gefolgt wäre und sich hätte her- beziehungsweise hinrichten lassen", sagt Hunzinger. Das negative Gegenbeispiel ist Rudolf Scharping. Sepp Dürr drückt das so aus: "Ein hölzerner Typ wird nicht plötzlich zum Pool-Lover, Pubertieren passt nicht zum Verteidigungsminister - das sind zu große Image-Sprünge."

Politik kann doch nicht so einfach sein

Ist sie auch nicht. Allerdings wird Politik heute über Personen vermittelt.Bis in die frühen neunziger Jahre hinein wurde politisches Geschehen entlang von Wertorientierungen organisiert. Wer sich also als christlich-wertkonservativ sah, konnte mit der CDU in allen Dingen einer Meinung sein. Dass die angestaubten Links-Rechts-Wertschemata nicht mehr funktionieren, haben die Erfolge von Tony Blair und Gerhard Schröder oder die Kosovo-Kriegsbegeisterung der Grünen gezeigt. Deshalb funktioniert heute nur noch Schnittlauch.

Aber das auch nicht immer. Angela Merkel steht es ja trotz Charakterfestigkeit in Frisurfragen nicht sonderlich gut als CDU-Vorsitzende da. Laut Hunzinger weil "mit ihrer Person kein konkretes Sachversprechen" verbunden wird. Anders bei Roland Schill oder Renate Künast, die beide konkrete Sachversprechen mit einem passenden, stabilen Image verbinden: Egal, ob BSE-sicher oder drogensicher - Hauptsache tough.

Stabiles Image ist eben doch nicht alles, es muss auch mit Bezugspunkten außerhalb der Inszenierung korrespondieren. Deshalb sieht Fritzenkötter Merkels Problem nicht beim Auftritt, sondern bei der Gesellschaft: "Die Mehrheit scheint noch immer nicht bereit für eine Frau in dieser Führungsposition zu sein." Und auch Scharpings Probleme sind nicht unbedingt solche der Inszenierung, zumindest Limbourg zufolge:

"Der ist doch komplett durchgeknallt. Nicht wegen der Flugaffäre. So wie der Dinge an die Presse gibt, die als geheim eingestuft sind, können wir froh sein, dass im Verteidigungsfall der Bundeskanzler die Verantwortung trägt."

Selbstreferentialität und Glaubwürdigkeit

Aber auch wenn die inszenierten Realitäten noch solche Bezugspunkte außerhalb ihrer selbst haben, ist der Grad an Selbstreferenzialität beachtlich. Zum Beispiel, wenn Sepp Dürr beschreibt, wie sogenannte Führungskompetenz entsteht: Medien schreiben sie einem Politiker solange zu, bis innerparteiliche Kritiker ihre Positionen angesichts der vermeintlichen Dominanz abschwächen.

Das ist kein Problem, solange Medien ihre Konstruktionsleistung und deren Grundlagen aufzeigen. Wenn also ARD-Korrespondent Thomas Roth im Norden Afghanistans seine Bericht mit dem Satz beginnt, er sei mehrere hundert Kilometer von Kandahar entfernt, ist das eine gute Sache. Vielleicht hinterfragen die Zuschauer angesichts dieser Hinweise auch die Basis anderer Korrespondentenberichte. Siegfried Weischenberg, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes und Journalistik-Professor, sagt:

"Es ist ja gar nicht so ungewöhnlich, dass ein Korrespondent weit entfernt vom Geschehen sitzt. Oft kommen die Neuigkeiten dann aus Nachrichtenagenturen, da herrscht ein hohes Maß an Selbstreferenzialität."

Woher kommen also die Nachrichten aus Afghanistan? Grob gesagt aus fünf Quellen: Regierungen, afghanischen Mitarbeitern nicht-afghanischer Medien, Hilfsorganisationen, dem Taliban-Regime und bin Ladens Terroristen-Netzwerk. Wie er mit diesen Quellen umgeht, beschreibt Tony Maddox, bei CNN verantwortlich für den Großraum Europa, Naher Osten, Afrika so:

"Regierungen versuchen immer, die für sie günstigste Interpretation in den Medien durchzusetzen. Das ist normal, da ist der Druck im Krieg nicht viel stärker als sonst." Während er das sagt, klingelt sein Mobiltelefon: "Ah, es ist George Bush, er sagt, ich sei zu weit gegangen", lacht Maddox.

CNN ist bei der Afghanistan-Berichterstattung anders als im Golfkrieg nicht überwiegend auf Informationen der US-Regierung angewiesen. Der Sender hat schon vor dem 11. September ein Vielzahl einheimischer Mitarbeiter in Afghanistan beschäftigt, die auch heute Informationen liefern. Der ehemalige ARD-Nahost-Korrespondent Friedrich Schreiber bestätigt dies. Er lobt, dass CNN seit dem Golfkrieg viel dazugelernt hätte. Maddox weist auch auf die Kooperation mit dem Sender al-Dschassira hin, die schon vor dem 11. September begann:

"Natürlich prüfen wir dieses Material selbst, aber das ist selbstverständlich. Die Kritik an al-Dschassira halte ich für überzogen, sie machen einen sehr guten Job, sehr kritischen Journalismus. Bei den Unterstellungen, sie würden etwas anderes tun, schwingt oft auch Rassismus mit."

Leider wurde auf den Münchner Medientagen nicht über die Glaubwürdigkeit der Hilfsorganisationen diskutiert. Diese bekam bei der vermeintlichen Hungerkatastrophe in Äthiopien im vergangenen Jahr starke Kratzer. Damals filmten eingeflogene Fernsehteams zum Teil TBC-kranke Kinder, um die zuvor verkündete Hungerkatastrophe mit Bildern zu untermauern. Ähnliches wiederholte sich in diesem Jahr bei den Berichten über ein vermeintliches Kindersklavenschiff vor der Küste Afrikas. Das Fachmagazin Message hat vor kurzem auf die unrühmliche Rolle der Hilfsorganisationen bei solchen Medieninszenierungen hingewiesen.

Auch die Taliban haben - wie bin Ladin schon seit langem - eingesehen, dass Medieninszenierungen ihnen mehr nützen als ein totales Bilderverbot. Weischenberg sagt:

"Sie führen ja inzwischen Journalistentrupps ganz bewusst zu ganz bestimmten Schauplätzen, um bestimmte Bilder zu produzieren."

Das Fazit: Journalisten müssen heute das tun, was immer ihre Aufgabe ist: Quellen prüfen und bewerten. Das ist für die Medientage vielleicht kein spektakuläres Fazit, aber immerhin ein zweckmäßiges.