"Chavez-Plan" für Bolivien
Chavez und Morales treffen Kooperationsvereinbarungen, die Regierung Boliviens will eine "Volksbank" gründen und eine umfassende Landreform durchführen
Vor 120.000 Menschen stellten Bolivien, Venezuela und Kuba am Freitag etliche Abkommen zur Kooperation in der bolivianischen Kleinstadt Shinahota vor. Im Herzen des Koka-Anbaugebiets Chapare waren der bolivianische Präsident Evo Morales, Venezuelas Staatschef Hugo Chávez und der kubanische Vizepräsident Carlos Lage zusammen gekommen, um sie zu besiegeln. Hervor sticht, dass Venezuela 1,5 Milliarden Dollar vor allem in Boliviens Öl- und Gasindustrie investieren will. Vereinbart wurde auch der Großanbau von Coca-Blättern, sowie die Schaffung einer „Volksbank“, die zinslose Kredite an Arme vergibt. Nach der Nationalisierung der Öl- und Gasvorkommen kündigte Morales nun eine Landreform an. Chávez warnte, US-Präsident Bush habe „grünes Licht“ für eine Konspiration gegen Morales gegeben.
„Chavez-Plan“ könnte man in Anlehnung an den Marshall-Plan die angekündigte Hilfe nennen, die Venezuela nun Bolivien zugesichert hat. Mit den Investitionen und der Kooperation im Energiesektor soll nach der Nationalisierung der Öl- und Gasressourcen dafür gesorgt werden, dass die Reichtümer des Landes auch der verarmten Bevölkerung zu gute kommen können. Das ärmste Land in Südamerika verfügt nach Venezuela über die zweitgrößten Gasvorkommen in der Lateinamerika. Geplant ist eine strategische Allianz zwischen der staatlichen venezolanischen Ölfirma PDVSA und dem bolivianischen Konzern YPFB für die Erschließung und Ausbeutung neuer Quellen und für die Zusammenarbeit der petrochemischen Industrie. Der bolivianische Ölminister Andrés Solís Rada hatte schon im Vorfeld angekündigt, dass die PDVSA aus Solidarität mit Bolivien nur fünf Prozent der Gewinne beanspruchen wolle.
Solidarsystem durch Kooperationsvereinbarungen
Doch die 1,5 Milliarden Dollar sollen auch in andere Bereiche investiert werden, deren Verstaatlichung noch vorgesehen ist. Schließlich hatte Morales angekündigt, dass alle Reichtümer wieder Eigentum Boliviens werden sollen, die verfassungswidrig privatisiert wurden. Der ehemalige Weltbankökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bestätigte, dass die Privatisierungen verfassungswidrig gewesen seien. Die bolivianische Verfassung schreibe vor, dass der Kongress die Verträge mit den Firmen hätte bestätigen müssen, was in keinem Fall geschehen ist. Ohnehin ist der Aufschrei kaum zu verstehen. Er erfolgte zum Beispiel nicht, als der Sozialdemokrat Carlos Andrés Pérez die Ölindustrie 1976 in Venezuela verstaatlichte.
Vereinbart wurde auch, eine lateinamerikanische Minenorganisation (Minersur) aus der Taufe zu heben. Dieses Projekt soll der lateinamerikanischen Integration dienen. Die jeweils bestehenden Ressourcen sollen sich gegenseitig ergänzen, um die jeweilige nationale Souveränität und Unabhängigkeit zu stärken. Geschaffen werden soll zudem die Banco del Sur in Bolivien, eine „Volksbank“, die an die arme Bevölkerung „zinsfreie Kredite“ vergeben wird. Mit 100 Millionen Euro sollen Kleinunternehmen und Kooperativen gefördert werden. Dabei geht es um Entwicklungsprojekte in Handwerk und der Holz-, Nahrungs- und Textilwirtschaft. Vereinbart wurde auch die Industrialisierung von Kaffee, Tee, Coca-Blättern zur Herstellung von Keksen, Tee, Brot und Medikamenten.
Insgesamt handelt es sich um elf Kooperationsabkommen, die sich in mehr als 200 Projekten im Rahmen der „Solidarität, Kooperation und ergänzende Zusammenarbeit“ materialisieren sollen. Sie folgten den Prinzipien des „Handelsvertrags der Völker“ (TCP) und der „Bolivarianischen Alternative für Amerika“ (ALBA). Diese Alternative hatte Chávez 2001 als Gegenprojekt zur „Gesamtamerikanischen Freihandelszone“ (ALCA) der USA lanciert (Streit um Freihandel). Den Handelsvertrag TCP hatten Kuba, Venezuela und Bolivien Ende April in Havanna vereinbart.
Kuba will sich dagegen in Bolivien stärker im Bereich Gesundheit und Bildung engagieren. Schon jetzt sind etwa 600 kubanische Ärzte dort tätig. Außerdem wurde ein Programm zur Alphabetisierung gestartet. In zweieinhalb Jahren soll es in Bolivien keine Analphabeten mehr geben. Tausende bolivianische Studenten werden zudem in Kuba ausgebildet. Im Gegenzug liefert Bolivien den Kubanern Agrarprodukte und mineralische Rohstoffe.
Damit folgt Bolivien auch hier dem Beispiel Venezuela. Nach dem Wahlsieg hatte Chávez mit dem „Plan Bolivar“ etwa 5.000 Ärzte nach Venezuela geholt, um die Gesundheitsversorgung der armen Bevölkerung zu sichern, heute sind es etwa 20.000. Dafür erhält Kuba im Gegenzug von Venezuela Öl zum Vorzugspreis. Dieses Solidarsystem soll nun ausgeweitet werden, womit die Alternative von Chávez Gestalt annimmt. Morales bedankte sich vor den 120.000 Menschen, die in der Gemeinde Shinahota zusammengeströmt waren, für die „Solidarität“ aus Kuba und Venezuela. So könne ein „vereintes Südamerika“ entstehen, dass nicht der USA „unterworfen“ sei, sagte er.
Ende des Großgrundbesitzes verkündet
Die Versammlung und den Abkommen dienten auch zur Vorbereitung der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung am 2. Juli. Schließlich will Morales die Verfassung reformieren, um mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Bevölkerung zu schaffen. „Wir haben die Verpflichtung, mit mehr als 70 oder 80 Prozent zu gewinnen, denn daher kommt der reale Wandel“, erklärte Morales seinen Anhängern. Es gehe darum, „Bolivien neu zu gründen“. Die bisher eingeleiteten Schritte seien in Gefahr, wenn sie nicht von der großen Mehrheit abgesichert würden. Bisher seien ihm zudem durch die „Bürokratie“ noch oft die Hände gebunden. Die Wahlen im Dezember hatte er mit knapp 54 Prozent der Stimmen gewonnen.
Mit der erhofften Mehrheit will er wie im Dezember für eine „neue Überraschung“ sorgen. Um die zu erreichen, kündigte er mit der Landreform einen wichtigen Schritt an, von dem viele Menschen profitieren werden. „Wir werden das Land für die zurückgewinnen, die kein Land haben“, sagte er. „Der Großgrundbesitz ist vorbei“. Denn von den 30 Millionen Hektar Anbaufläche Boliviens befinden sich fast 90 Prozent in den Händen von nur sieben Prozent der Bevölkerung. „100 Familien der Oligarchie, eng verbunden mit der ökonomischen und politischen Macht besonders im Osten des Landes, besitzen mehr Land als die armen Bauern zusammen, die über wenig unproduktives Land verfügen, das wegen der Überausbeutung weiter degradiert“, heißt es in einer Studie der UN-Entwicklungsorganisation (PNUD) aus dem letzten Jahr.
Es geht um 4,5 Millionen Hektar Land, das sich, wie in Lateinamerika nicht unüblich, Großgrundbesitzer zum Teil ohne Besitztitel angeeignet haben. Betroffen wären von der Reform auch Landbesitzer, die ihr Land nicht produktiv nutzten. „Niemand wird Land enteignen”, erklärte der Vizepräsident García Linera, als er einen Gesetzesvorschlag zur Sanierung des Agrareigentums präsentierte. „Das Eigentum, das seine ökonomische und soziale Verpflichtung im Rahmen der Verfassung erfüllt, wird garantiert.“
Durchgesetzt hat Morales schon, dass die spanische Grossbank BBVA und die „Zürich”-Gruppe die Rentenfonds der großen Öl- und Gasunternehmen an Bolivien zurückgeben haben. Dabei handelte es sich um Eigentum der Beschäftigten, weshalb es keine Entschädigungen geben könne. Geprüft werde auch, ob die drei großen Flughäfen nationalisiert werden, die sich in den Händen der spanischen Firmen Abertis und AENA befinden.
Die Verhandlungen über neue Verträge mit den Ölmultis wurden derweil für drei Monate verschoben. Denn es gibt Streit um die Höhe der getätigten Investitionen, die erst ermittelt werden sollen. Die Ölmultis behaupten, eine Bohrung im Land koste etwa 35 Millionen Dollar. Dabei, gibt der Ölminister zurück, beziffere Norwegen den Preis für eine teure Bohrung in der Nordsee auf 15-20 Millionen Dollar. Auch die Verhandlungen um die Preise für Gaslieferungen an die Nachbarn Brasilien und Argentinien sind noch nicht abgeschlossen. An Brasilien liefert Bolivien und Argentinien das Gas derzeit für die Hälfte des üblichen Marktpreises von 6,7 bis 7 Dollar pro 1.000 Energieeinheiten (BTU). Nun fordert Bolivien die Anhebung des Preises von 3,5 auf 5,5 Dollar.
Der venezolanische Präsident die Bolivianer warnte vor einer „Konspiration“ gegen Morales. Der US-Präsident George Bush habe dazu schon „grünes Licht“ gegeben, sagte Chávez, gegen den schon ein Putschversuch vor vier Jahren unternommen wurde (Die (nicht so) verdeckte US-Intervention in Venezuela). Es sei geplant, die Regierung unter Evo Morales zu stürzen. „Sie sollten alarmiert sein“, sagte er den Menschen in Sinahota. Er forderte die Soldaten auf, denen den Befehl zu verweigern, die Morales stürzen wollen. Sie sollten stattdessen die Putschisten verhaften.