China, der Ukraine-Krieg und das Ende der Geschichte
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Der Weise, der bei Kojève auftritt, erklärt nach dem Ende der Geschichte den Menschen, dass ihre Geschichte, d.h. ihr Werk vollendet ist, dass sie zu jenen Wesen geworden sind, die sie geschichtlich immer sein sollten und wollten – die universellen, in einem weltumspannenden, universellen und homogenen Staat, als Gleiche mit gleichen Rechten. Dies wäre das "absolute Wissen", welches aber erst mal verbreitet werden müsste. Um es der Welt zu erklären, benötigt der Weise allerdings noch eine gewisse Zeitspanne, und weder Hegel noch Kojève lassen uns wissen, welche sie dafür veranschlagen.
Die Frage stellt sich also, ob die Geschichte schon definitiv als beendet betrachtet werden kann, wenn doch sie, bzw. ihr Ende, den Menschen immer noch erklärt werden muss. Schließlich ist dieses Erklären eine Tätigkeit in der realen materiellen Welt, die diese wiederum wesentlich verändern und damit die Geschichte doch noch weiterführen könnte.
Der Weise kann schließlich niemals allein alle anderen Menschen einfach so von der Weisheit, der Wahrheit, vom Ende der Geschichte überzeugen, und deshalb braucht er dazu entsprechende Hilfsmittel: nicht bloß das Buch, in dem es alles steht, sondern auch das gesamte Hegelsche System; er benötigt zudem Schüler, die die Kunde weiter verbreiten, Propagandisten wie Kojève, aber auch Politiker wie Lenin und Stalin.
Das heißt, der Weise braucht auch Parteien, Institutionen, Staaten und die dazugehörigen Organe, welche die gesellschaftlichen Bedingungen schaffen, um diese Aufklärung ungehindert unter den Menschen verbreiten zu können. Das aber kann unter Umständen selber wieder zu einer Fortführung der Geschichte, also zum Beenden ihres Endes führen.
Ein solches wurde etwa im August 1991 vom Moskauer "Staatskomitee für den Ausnahmezustand", bestehend aus Mitgliedern der KPdSU angestrebt, die die Existenz einer Posthistoire nicht akzeptieren wollten ("Augustputsch"). Stattdessen setzte sich das vorläufige, ja bloß vermeintliche Ende der Geschichte in Gestalt Gorbatschows durch.
Heute kann man all das weiterspinnen und etwa behaupten: Stalin war doch noch nicht das Ende der Geschichte, denn schließlich müssten auch die restlichen Teile der Welt erst noch entsprechend entwickelt werden, um Teil des homogenen Weltstaats werden zu können.
Somit könnte man erst Xi Jinping als Vollender der Geschichte, also den wahren Napoleon bezeichnen. Es würden sich zudem noch Politiker aus Afrika finden, die Afrikas Geschichte beenden und in den universellen und homogenen Weltstaat integrieren wollten. Eine Handvoll neuer Napoleons bzw. Stalins würden legitime Ansprüche stellen, die Nachfolge anzutreten. Die Sache zieht sich also noch hin.
Was Fukuyama aus der Kojève'schen Theorie vom Ende der Geschichte gemacht hat – nämlich ein Instrument neoliberaler imperialistischer Politik – sollte nicht davon abhalten, dass Kojève sie letztlich als eine große Provokation gegenüber der menschlichen Praxis, der Geschichte selbst – bestehend aus Klassenkämpfen – betrachtet haben könnte: Einer Geschichte, die sich davon angespornt fühlt, das Gegenteil zu beweisen und fortzuschreiten, also zu zeigen, dass sie eben noch nicht an ihr Ende gelangt ist.
Das wird sie nicht sein, solange es noch Klassenkämpfe gibt, die mehr sind als eine kleine Gewerkschaftsdemonstration.
Wenn der Krieg in der Ukraine also Ausdruck des normalen kapitalistischen Geschäftsbetriebs ist, ist das noch kein Beweis für die Existenz des Posthistoires. Weder Putin noch Selenskyj, Biden oder Scholz sind Napoleons oder Stalins. Die Geschichte wird also weitergehen müssen.
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