China, der Ukraine-Krieg und das Ende der Geschichte

Bild Xi Jinping: Palácio do Planalto / CC-BY-2.0 / Montage: TP

Zeigt der Ukraine-Krieg den Irrtum von Francis Fukuyama? Was der Krieg in der Ukraine mit Xi Jinping und Napoleon zu tun hat. Und was er für den Kapitalismus bedeutet.

...ich möchte auch gern liberal sein; denken Sie nicht auch, daß ich es gerne wäre? Aber die Welt ist nicht so, daß man liberal sein kann. Das geht auf Kosten anderer, die Frage ist, wer zahlt das; und die dritte und vierte Welt, die fünfte und sechste Welt, die werden also gar nicht liberal sein, sondern da werden brutale Forderungen sein.

Jacob Taubes 1986

Im Zuge des Ukraine-Krieges und in der Erwartung eines neuen Kalten Krieges zweier atomar bewaffneter Machtblöcke wie der dazu gehörenden Stellvertreterkriege schlagen jetzt einige Zeitdiagnostiker vor, dass auch die Theorie des "Endes der Geschichte" nach 1989 wieder ad acta zu legen sei. In der FAZ vom 27. September dieses Jahres etwa hieß es: "Das 'Ende der Geschichte' ist zu Ende".

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine habe sich eine neue Art "Systemkonkurrenz" offenbart, die keine friedliche Koexistenz und Handelskooperationen mehr erlaube. Es müsse nun politisch wieder so gehandelt werden, wie zur Zeit der Blockkonfrontation: Aufrüstung der europäischen Armeen, Dämonisierung Russlands und eine "Wir sind die Guten"-Indoktrinierung als erste Staatsaufgaben.

Bliebe man jedoch einmal innerhalb der Logik jener Theorie des "Endes der Geschichte", wäre gerade dieser Krieg und der Tendenz zu einem neuen Kalten Krieg der Beleg dafür, dass das posthistoire weiter fortlebt.

Als der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama zu Beginn der 1990er vom "Ende der Geschichte" sprach, wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass die historische Entwicklung, also die Klassenkämpfe, mit der Abwicklung des Weltsozialismus zu ihrem Ende gekommen sei und sich nun der bürgerliche Liberalismus, dem Fukuyama praktischerweise selbst anhängt, weltweit durchsetzen würde.

Folgte man dieser Theorie konsequent, wäre sie auch heute noch gültig. Denn die These vom "Ende der Geschichte" ging in ihrer ursprünglichen Fassung einmal davon aus, dass "Geschichte" nichts anderes heißt als: zwei scharf voneinander abgegrenzte, konkurrierende Gesellschafts-Modelle tragen den Klassenkampf bürgerliche gegen sozialistische Systeme auf internationaler Ebene aus, womit sie wesentlich das Weltgeschehen bis hinein ins Innerste jedes einzelnen Staates prägen.

Damit werde die Welt in ständiger Unruhe gehalten und nur diese ermögliche überhaupt eine Entwicklung, die man Geschichte nennen kann. Als das eine System verschwand und das andere damit – vermeintlich – obsiegte, kam das vielen Kapitalismus-Apologeten so vor, als sei auch diese Unruhe verschwunden und damit die Geschichte.

Die Welt schien ihnen befriedet, das Ende der Geschichte eingeläutet. Der derzeitige Krieg in der Ukraine allerdings dürfte an dieser Auffassung nichts ändern: In Russland, ebenso wie in der Ukraine, hat 1991 die bürgerliche Konterrevolution gesiegt (man nennt das so, wenn eine Gesellschaftsform und ihre Besitzverhältnisse, die durch Revolution zustande kam, durch die Gegner dieser Revolution wieder zurückgenommen werden). Diese setzte das Wirtschaftsmodell des Westens – den Kapitalismus – sukzessive in den ehemaligen Sowjetrepubliken durch.

Nutznießer dieser gegensozialistischen Entwicklung waren auf politischer Ebene etwa in Russland reaktionäre Kräfte wie zunächst Boris Jelzin und danach Wladimir Putin.

Da die heutigen Posthistoire-Skeptiker allesamt Anhänger dieser Konterrevolution sind, die sie trotz aller schauderhaften sozialen Zerfallsprozesse in Osteuropa seit 1989 immer noch als – womöglich "friedliche" – "Revolution" zu bezeichnen pflegen, müssen sie, als saturierte Bewohner des westlichen Henker-Hauses, die nicht gerne vom Strick reden, sich einen Präsidenten wie Putin als das unerklärliche, durch Zufall oder böse List an die Macht geratene Übel zurechtschustern, anstatt ihn als Folge des von ihnen so begrüßten osteuropäischen Liberalisierungsprozesses zu begreifen.

Die derzeitige russische Regierung ist also Fleisch vom westlichen Fleische – das ist es, was den Westen so stört. Auf ukrainischem Boden kämpft heute nicht, wie in deutschen Medien gerne erzählt wird, Westen gegen Osten, Freiheit und Demokratie gegen Korruption und Oligarchie, sondern Westen gegen Westen; Kapital gegen Kapital. Jahrzehnte hat die westliche, imperialistische Welt alles dafür in Bewegung gesetzt, dass auch die sozialistischen Länder kapitalistisch werden; jetzt, wo sie es fast in Gänze sind und daher Krieg zu führen haben, ist die traditionelle kapitalistische Welt erbost über den angeblichen Feind, den Neuling im Osten.

Aber der Osten ist längst der Westen: Das Ende der Geschichte – einmal angenommen, es habe sich 1989 tatsächlich ereignet – wird mit dem Ukraine-Krieg nicht zurückgenommen, sondern drückt sich in diesem lediglich aus.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.