China digitalisiert sein Social-Scoring-System: Inspiration durch die Schufa

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Die geradezu rasante Digitalisierung im Reich der Mitte macht dem Westen zunehmend Angst. Aber China ist dort in die Schule gegangen.

Das chinesische Social Scoring System wird hierzulande meist zugespitzt als staatliches Spitzelsystem bezeichnet, das Fußgänger erfasst, die sich die Freiheit nehmen, bei Rot über die Straße zu gehen.

Damit war das Thema bislang weitgehend abgehandelt. Es genügte, China als Feind der Freiheit zu brandmarken und in endlosen Zitatschleifen durchs Netz zu jagen, manchmal garniert mit Geschichten über die Unterdrückung der Uiguren.

Nur zaghaft gibt es Nachrichten über das chinesische Social Scoring System, die von dieser deutschen Mehrheitsmeinung abweichen. Dazu gehört der Bericht von Emily Kossak auf Krautreporter über fünf Mythen über China.

Auf der anderen Seite spielen Berichte wie im Deutschlandfunk, wo man China 2018 "auf dem Weg in die IT-Diktatur" beobachtete, mit dem Entsetzen der Bürger hierzulande. Damals hieß es:

China will bis 2020 ein System aufbauen, welches das Verhalten seiner Bürger bewertet. Es soll möglichst alles erfassen: Zahlungsmoral, Strafregister, Kaufgewohnheiten und Sozialverhalten. Die Kommunistische Partei Chinas will damit den moralisch einwandfreien und ehrlichen Bürger schaffen.

Deutschlandfunk

Im Westen wird diese Aufgabe privaten Unternehmen übertragen, die detaillierte Informationen über ihre Kunden sammeln und zu umfassenden Informationen aggregieren.

Während China vorgeworfen wird, seine Bevölkerung umfassend zu überwachen und zu erziehen, ist der Bürger im Westen immer wieder mit für ihn nicht nachvollziehbaren Entscheidungen privater Marktteilnehmer konfrontiert, wenn er beispielsweise in der Warteschleife eines Call-Centers verhungert oder einen Kredit nur zu äußerst schlechten Konditionen oder gar nicht erhält.

Chinas Öffnungsprozess: Was den Geschäftspartnern fehlte

Als sich China dem Westen öffnete, stellte man fest, dass es nicht über die im Westen seit Langem gebräuchlichen Instrumente verfügte, um eine Vertrauensbasis zwischen Geschäftspartnern zu schaffen.

Wie auch in anderen fernöstlichen Ländern gab es weder eine für alle gleiche Rechtsprechung noch einen Strafenkatalog für mögliche Vergehen.

Niemand sollte wissen, welche Strafe ihn erwartete, wenn er sich falsch verhielt. Die Bandbreite war sehr groß und wurde faktisch durch die jeweilige soziale Stellung von Täter und Opfer bestimmt.

Die chinesische Kultur ist deutlich kontextbezogener, was sich auch in der Schrift ausdrückt, die regional unterschiedlich gelesen wird, was dem Ausländer im Fernsehen an den üblichen Untertiteln chinesischer Produktionen auffällt.

Vertrauensbildung mit dem Vorbild Schufa

Mit diesem eher unkalkulierbaren Rahmen taten sich die vorpreschenden westlichen Geschäftspartner schwer, und so suchte die chinesische Politik nach Beispielen, wie man im Westen mit der Vertrauensbildung als Basis für Geschäfte umgeht.

Man schaute in die USA, nach Japan und nicht zuletzt nach Deutschland. Was der Westen in Form der Schufa, die noch heute mit dem Slogan ″Wir schaffen Vertrauen″ wirbt, zum Zwecke der finanziellen Kreditsicherung in die Welt setzte, wurde zum Vorbild.

Die Schufa entstand 1927 im Umfeld der Berliner Elektrizitätswerke (Bewag). Diese hatte einen guten Überblick darüber, wer seine Stromrechnung regelmäßig und pünktlich bezahlte und wer nicht. Um den Stromabsatz anzukurbeln, bot die Bewag auch Elektrogeräte wie Kühlschränke auf Ratenzahlung an. Man wusste, wer seinen Zahlungsverpflichtungen nachkam.

Die große Kopie

Das Prinzip, Kreditgeschäfte auf der Basis von Zahlungserfahrungen zu ermöglichen, stieß auch bei anderen Unternehmen auf Interesse. So entstand die "Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung", die es Unternehmen ermöglichte, Informationen über das Zahlungsverhalten ihrer Kunden zu melden und abzurufen.

Es gehört zur chinesischen Tradition, den Meister so gut wie möglich zu kopieren, um ihn dann zu übertreffen. Für die Entwicklung des Landes hat sich dieses Vorgehen als Turbo erwiesen.

Nur der chinesische Staat verfügte über die notwendige Autorität

Während sich im Westen private Unternehmen oder Unternehmensverbände um die Bonitätsbewertung der einzelnen Kunden kümmern, übernimmt in China der Staat als neutraler Treuhänder diese Aufgabe.

Dass China westlichen Vorbildern nacheifert, wird oft als Missachtung westlicher Urheberrechte verurteilt. Ebenso wird kritisiert, dass auf der Basis westlicher Vorbilder und in Verbindung mit der eigenen Kultur nach eigenständigen Lösungen gesucht wird.

China mit seiner großen Experimentierfreude und seinem agilen Umgang mit spontanen und pragmatischen Lösungen stößt im Westen auf eine Mischung aus Erstaunen und Verärgerung, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein.

Dass einige der staatlich initiierten Lösungen dann wieder scheitern und andere sich durchsetzen, wird im Westen zumindest mit Stirnrunzeln quittiert, oft aber auch als Beleg dafür genommen, dass China im Wettbewerb mit dem Westen letztlich verlieren muss.

Die Papierakte über jeden Chinesen wird digital

Die geradezu rasante Digitalisierung im Reich der Mitte macht dem Westen zunehmend Angst, der zwar selbst immer wieder eine umfassende Digitalisierung fordert, in der Praxis aber kaum damit umgehen kann.

Der US-amerikanisch geprägte Westen verfügt im Gegensatz zu China über eine sogenannte ″low context culture″, die viele explizite Regeln benötigt, was in der Praxis einerseits als Rechtssicherheit gelobt, andererseits aber als überbordende Bürokratie empfunden wird. Wer hierzulande an dieser Bürokratie festhält, muss damit rechnen, nur noch die Rücklichter der davon eilenden Chinesen zu sehen.