Christian Lindner auf der Suche: Wer ist die "arbeitende Mitte"?

Seite 2: Krisenpolitik à la FDP: Es gibt keine Übergewinne, sondern nur Gewinne

Denn er sagt auch, eine sogenannte Übergewinnsteuer für Unternehmen, die in der aktuellen Situation besonders hohe Gewinne erwirtschaften, wie sie unter anderem sogar die SPD immer wieder ins Spiel bringt, sei mit ihm nicht zu machen. Es gebe nach dem Steuerrecht, sagt Lindner, keine Übergewinne, sondern nur Gewinne.

Der Staat weiß nicht, was ein Übergewinn ist.

Da hat er recht. Im Moment weiß der Staat das nicht.

In einem Wirtschaftssystem, das darauf aufbaut, dass ein Teil der lebendigen Arbeit angeeignet wird, um ihn in Gewinn umzumünzen, kann ein solcher Gewinn nicht per se zum Übergewinn erklärt werden. Egal, wie hoch er ist. Das wäre schon ein Eingriff in die DNA einer Wirtschaftsweise, die – egal, wie gut das abgefedert ist – auf Ausbeutung beruht.

"Übergewinne werden erzielt, wenn eine Gesamtkapitalrendite erwirtschaftet wird, die größer ist als die Kapitalkosten der Forderungen der Unternehmung. Sie stehen als Residualgröße den Eigenkapitalgebern zu", lautet die Definition.

Es wäre also eine Frage der politischen und gesellschaftlichen Übereinkunft, auszuhandeln, ab wann diese Residualgröße den Eigenkapitalgebern nicht mehr zusteht. Zum Beispiel, weil eine besondere Krisensituation zu verzeichnen ist.

Im strengen Lindnerschen Sinne gibt es auch kein Übergewicht, sondern nur Gewicht. Einigt man sich jedoch darauf, dass es beim Fliegen von A nach B sehr wohl Übergewicht beim Gepäck geben kann, für das dann extra zu zahlen ist, weil es gute Gründe gibt, das so zu regeln, hat man eine Übereinkunft.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages beschreibt eine Abgabe auf Übergewinn als Steuer, die den über einen "Normalgewinn" hinausgehenden Gewinn belastet. In der Corona-Pandemie, als die Debatte aufkam, hätte man dies bestimmen können, indem Gewinne aus Vorkrisen (oder jetzt Vorkriegs-)zeiten herangezogen werden, um daraus Renditen definieren zu können, die als "normal" gelten.

Die Ökonomin Dominika Langenmayr wiederum erklärte in der Zeitschrift Capital, warum sie es eher mit Lindner hält:

…es sollte keine politische Entscheidung sein, welche Unternehmen böse oder gute Gewinne machen und dass man einzelne Branchen auf einmal höher besteuert, egal ob das jetzt die Mineralölbranche, die Waffenindustrie oder die chemische Industrie ist.

Denn Übergewinne setzten das Signal, dass dieser Markt attraktiv ist und andere in ihn eintreten sollten. Die Existenz von Übergewinnen sei also wichtig für das Funktionieren des Marktes.

So wichtig vielleicht wie Randexistenzen für die "arbeitende Mitte", die sich ja an irgendwas festhalten muss, um als solche von einem Finanzminister verortet werden zu können.

Kathrin Gerlof ist freie Autorin, Journalistin und Chefredakteurin der monatlich erscheinenden Wirtschaftszeitung OXI Wirtschaft anders denken.