Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan

Seite 4: Sexueller Übergriff …

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Ford lässt sich am Anfang Zeit, um uns daran zu gewöhnen, dass Wagon Master seinem eigenen Rhythmus folgt, beschleunigt dann aber das Tempo, sobald der Wagentreck ins Rollen gekommen ist. Diese Beschleunigung erreicht er, indem er erzählerischen Ballast abwirft. Der Film wirkt so schlank und episodenhaft, weil die gewohnten Übergänge fehlen. Man hätte zeigen können, wie die Mormonen im Indianerlager eintreffen, wie sich die Siedler und die Navajos feierlich begrüßen, die Friedenspfeife rauchen und so weiter. Das kennt man alles. Ford macht es so: Wiggs akzeptiert die Einladung. Eine Überblendung bringt uns in das Lager. Es ist schon dunkel, der Tanz in vollem Gange. So wenig, wie er uns die Ankunft zeigt, wird Ford sich mit einer Szene aufhalten, in der die Mormonen das Lager verlassen. Eine Überblendung verwandelt die Nacht zurück in den Tag, die Planwagen sind wieder unterwegs. Wir wissen nicht, ob Stunden, Tage oder Wochen vergangen sind, seit wir bei den Indianern waren. Für die Mormonen ist es wichtig, innerhalb einer bestimmten Frist ihr Gelobtes Land zu erreichen. Dem Film kommt es auf die Bewegung an. Da ist der Weg das Ziel.

Da Ford mit den Verbindungsstücken zwischen den Erzähleinheiten so sparsam ist kommt den Stellen, wo es sie gibt, eine besondere, über das Narrative hinausreichende Bedeutung zu. Im Lager der Navajos wird erst getanzt, dann findet der Tanz ein abruptes Ende, weil Reese Clegg eine Frau vergewaltigt hat. Ford führt uns an diesen Punkt der Geschichte, indem er verschiedene Reaktionen auf den Tanz anbietet. Sandy freut sich, dass er mitmachen darf. Ein Gruppenbild zeigt stoisch-freundliche Indianerinnen und eher grimmige Mormonen (mit Ausnahme des toleranten Wiggs), deren Kinder dem Neuen und Unbekannten gegenüber viel offener sind als die Erwachsenen, weil sie deren Vorurteile noch nicht übernommen haben. Bruder Perkins legt sein unwirsches Gehabe auch dann nicht ab, als ihn eine freundliche Indianerin in die Runde holt.

Wagon Master

Im Gedächtnis bleiben die vier Mormonenfrauen, die aussehen, als kämen sie aus einem Inquisitionsfilm von Carl Theodor Dreyer (dessen Passion de Jeanne d’Arc Ford genauso studiert hatte wie die Werke Murnaus, von dem er sich stilistisch manches abschaute). Diesen vier ungnädigen Damen möchte man lieber nicht begegnen. Sie sind die Entsprechung zu den besorgten Hausfrauen von Crystal City, die keine Mormonen in der Stadt haben wollten. Das Opfer von Vorurteilen zu sein, heißt das, schützt einen nicht davor, selbst Vorurteile zu haben und auf andere herabzuschauen. Wir sehen die grimmigen Mormoninnen, Bruder Perkins als unwilligen Tänzer, dann wieder die Mormoninnen. Diese drei Kameraeinstellungen verbinden den Tanz- mit dem Vergewaltigungsteil. Anschließend bringt ein Navajo-Krieger die vergewaltigte Frau in die bis dahin friedliche Runde, die Gastgeber haben sich bewaffnet, es droht ein Massaker.

Wagon Master

Fords Entscheidung, durch die Einstellungen mit den Mormonenfrauen vom Tanz zur Vergewaltigung überzuleiten, sorgt für einen Macbeth-Moment (drei Hexen setzen Macbeth den Traum von Macht und Reichtum in den Kopf, daraus resultieren Mord und Totschlag, bis hin zum Bürgerkrieg). Es ist, als hätten die Mormoninnen die Vergewaltigung hervorgerufen wie durch einen bösen Zauber. Das könnte man als den infamen Versuch eines Macho-Regisseurs interpretieren, den Frauen die Schuld an dieser Vergewaltigung zuzuschieben. In unserer Kultur ist so etwas keine Seltenheit. Ford war nicht so plump.

Die vier Frauen verhalten sich ganz passiv. Sie stehen da und schauen finster auf das, was sich vor ihnen abspielt: die Verbrüderung von Roten und Weißen in Form eines rituellen Tanzes. Damit repräsentieren sie den Typus der - nur scheinbar - unbeteiligten Zuschauerin, in einer "Wenn Blicke töten könnten"-Einstellung. In ihrer Negativ-Welt ist das lodernde Feuer im Zentrum des Tanzkreises der Scheiterhaufen, auf dem eine intolerante Gesellschaft Ketzer verbrennt. Böse Gedanken, soll uns das sagen, vergiften die Atmosphäre und schaffen ein Klima, in dem die Gewalt gedeiht. Das verringert nicht die Verantwortung von Reese Clegg für seine Tat. Doch die Banditen, eine sich vermeintlich selbst isolierende Randgruppe, rückt das näher an die Mehrheitsgesellschaft heran, als die scheinheiligen Mormonendamen ahnen.

… und Peitsche

Wiggs reagiert schnell und lässt Reese auspeitschen. Aus vielen Western weiß man, was das zu bedeuten hat: Wiggs befriedigt so das Gerechtigkeitsempfinden der Navajos und verhindert ein allgemeines Blutvergießen; sogar Reese muss froh über die Striemen sein, weil ihn sonst die Wilden an den Marterpfahl stellen und skalpieren würden. Aber stimmt das, nur weil wir es in anderen Filmen gesehen oder bei Karl May gelesen haben? Ford hätte auch aus dem Auspeitschen ein die Gemeinschaft stabilisierendes Ritual machen können, inszeniert es jedoch so, dass das Animalische der Situation hervorgehoben wird. Bruder Jackson schwingt die Peitsche nicht wie einer, der eine traurige Pflicht zu erfüllen hat. Er schlägt wild zu, als würde er seine Frustration darüber abreagieren, dass ihm in Sandy ein Rivale um die Gunst von Prudence erwachsen ist. Der an ein Wagenrad gebundene Reese windet sich wie ein wildes Tier, das verzweifelt versucht, sich von den Fesseln zu befreien.

Wagon Master

Wiggs schaut jetzt beim Auspeitschen zu wie zuvor beim Tanzen. Zwischendurch wirft er besorgte Blicke auf die Navajos. Im Gegenschuss sehen wir die versteinert wirkenden Gesichter von drei Männern. Einer ist Jim Thorpe, dessen Lebensgeschichte sich auch als eine über den Rassismus in der US-Gesellschaft erzählen lässt. Ford nützt da das Klischee vom stoischen Indianer (man vergleiche das Lachen der gut gelaunten Krieger, die eine Einladung in ihr Lager ausgesprochen haben), um uns, das Publikum, zu einer eigenen Interpretation zu zwingen. Sind das Anhänger einer fundamentalistisch anmutenden Form von Gerechtigkeit? Oder sehen wir drei Indianer, die sich darüber wundern, wie diese Fremden sich benehmen? Erst missbrauchen sie die Gastfreundschaft der Navajos, dann peitscht der eine den anderen aus.

Als Zuschauer, der sich in irgendeiner Form mit den Weißen identifiziert, kann man sich nur dafür schämen, wie sie ihre vermeintlich höher stehende Kultur repräsentieren. In Wagon Master verkörpern die Indianer nicht eine vom weißen Mann zu domestizierende Wildnis wie sonst im Western. Die Begegnung mit den Navajos legt offen, wie dünn die Linie zwischen Zivilisation und Barbarei ist - bei den Weißen, nicht bei den Roten. Wenn das die Leitkultur ist, an der man sich zu orientieren hat, steckt man ziemlich in der Klemme. So gesehen war es sehr gnädig von Ford, dass er den Weißen in seinem Film eine Szene ersparte, in der sie das Lager der gastfreundlichen Navajos wieder verlassen. Wie verabschiedet man sich von Leuten, bei denen man ein so unwürdiges Spektakel aufgeführt hat?

Zensur und Vergewaltigung

Wagon Master

Die Vergewaltigung wird nur angedeutet. Das Opfer (Movita Castaneda, später Gattin Nr. 2 von Marlon Brando, ist neben Jim Thorpe die einzige Nicht-Navajo unter den Filmindianern) hat ein zerrissenes Oberteil, bewirft sich selbst mit Staub und legt auch sonst ein ziemlich outriertes Verhalten an den Tag. Mehr war im vom Production Code regierten Hollywood nicht möglich. Sogar die eindeutige Benennung des Vorgangs im Dialog (das Wort rape) war verboten. Der Frauenfeindlichkeit öffnete das Tür und Tor, weil sich die sexualisierte Gewalt auf diese Weise kleinreden oder ignorieren ließ. Eine Frau, die außer sich gerät, weil ein Mann den Ärmel ihrer Bluse beschädigt hat, gerät schnell in den Verdacht, eine Hysterikerin zu sein, die sich nicht so haben soll. Sehr aufschlussreich könnte eine wissenschaftliche Untersuchung darüber sein, wo in den unter dem Production Code entstandenen Filmen vergewaltigt und wie oft das in Kritiken, Inhaltsangaben etc. als "versuchte Vergewaltigung", "Zudringlichkeit" und dergleichen verharmlost wird (auch die "liebevolle Umarmung" kann man finden, oder die "Migräne", wenn das Opfer nach dem unfreiwilligen Geschlechtsakt ins Leere starrt, weil Frauen immer so gefühlig sind).

Hart aber Fair. Screenshots: Hans Schmid

Dann hätte man eine Vorstellung davon, was die jahrzehntelange, von konservativen christlichen Lobbygruppen geprägte Filmzensur in den Köpfen des Publikums angerichtet hat. Zur dringend nötigen, durch die Ereignisse der Kölner Silvesternacht befeuerten Debatte, wie man Frauen besser schützen kann und wie man über sexualisierte Gewalt reden sollte, gehört das mit dazu. Eine kulturell vermittelte Frauenfeindlichkeit gibt es nicht nur bei den Muslimen (was die Verantwortung der Täter nicht im geringsten relativieren soll), und manchmal ist sie nicht da zu entdecken, wo die Zensoren sie verorten. Mich würde auch interessieren, wie man es mediengeschichtlich einmal bewerten wird, dass deutsche Printmedien und Fernsehanstalten traditionell auf eine "geschmackvolle" Berichterstattung über Vergewaltigungen Wert legten (also mit Euphemismen und ohne Details), diesen Grundsatz aber über Bord warfen, als es darum ging, in Talkshows aus Polizeiprotokollen zu zitieren, in denen die Finger nordafrikanischer Männer in die Scheiden deutscher Frauen eindringen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Medien haben darüber zu informieren, was passiert ist, nicht aus einem pädagogischen Impuls heraus zu vertuschen. Mich interessiert, ob die Berichterstattung zur Kölner Silvesternacht einmal einen Paradigmenwechsel markieren oder ob man zur alten Praxis der geschmackvollen Umschreibung zurückkehren wird, wenn es wieder um deutsche Männer geht, die Frauen sexuell belästigen oder vergewaltigen.

Menschen bei Maischberger. Screenshots: Hans Schmid

Ford versucht, der institutionell vorgegebenen Verharmlosung eines unerträglichen Vorgangs zu begegnen, indem er die Vergewaltigung mit zwei Szenen kontrastiert, die einen anderen Umgang zwischen den Geschlechtern zeigen. Denver setzt ihren Feiertagshut auf und schminkt sich, um als attraktive Frau zum Tanz mit den Indianern zu gehen. Selber schuld, wenn du vergewaltigt wirst, hätten bis vor kurzem noch diejenigen gesagt, die jetzt die Erfindung des Minirocks als gegen die Muselmanen zu verteidigende Großtat des christlichen Abendlandes preisen. Prompt erscheint Reese Clegg und wird zudringlich. Nicht selber schuld, sagt Ford und lässt Travis auftreten, der den Banditen daran erinnert, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat und dass man diese nicht begrapschen darf, nur weil sie eine Frau ist. Dabei ist es völlig unerheblich, ob Denver ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihres Körpers verdient oder nicht.

Maybrit Illner. Screenshots: Hans Schmid

Die altväterische Vorstellung vom sexuellen Übergriff geht davon aus, dass sich das Opfer selbst zuzuschreiben hat, was ihm widerfahren ist, weil die Frau sich wie eine "Hure" benommen hat (sie war zu stark geschminkt, zu aufreizend gekleidet und so weiter). Ford begegnet diesem Unsinn offensiv, indem er Denver zur gewerbsmäßigen Prostituierten macht und Travis dann klarstellen lässt, dass Reese Cleggs Verhalten auch ihr gegenüber inakzeptabel ist. So bleibt die Verantwortung beim Täter, wo sie hingehört, und nicht beim Opfer. Nachdem er bei Denver nicht zum Zuge kam vergewaltigt Reese die Indianerin. Für ihn ist eine Frau wie die andere, unabhängig von Schminke und Klamotten. Allenfalls ist die Navajo-Frau noch ein Stück weniger wert als die Weiße. Das hat er so gelernt.

Wagon Master

Den Frauen eine Stimme geben

Interessant ist, wie Ford die Vergewaltigung vorbereitet. Onkel Shiloh, der seine Sippe mit harter Hand regiert, hat das Bett von Dr. Hall (Denvers Arbeitsplatz) als eine Art Thron für sich beschlagnahmt und wacht nun eifersüchtig darüber, wer darauf sitzen oder liegen darf. Von dort aus ruft er Reese zur Ordnung (ein Streit mit Travis soll vermieden werden, weil man den Treckführer noch braucht). Dieser verschwindet missmutig in der Dunkelheit und vergewaltigt die Indianerin. Damit kompensiert er die eigene Impotenz gegenüber dem Patriarchen. Die Vergewaltigung hat weniger mit Sexualität zu tun als vielmehr damit, Macht über andere Menschen auszuüben. Fords Kunst besteht darin, solche Einsichten durch die Inszenierung zu vermitteln und nicht in Form langatmiger Dialoge. Man sollte das nicht mit der intellektuellen Schlichtheit verwechseln, die dem Westerngenre gern - und nicht immer ganz zu unrecht - unterstellt wird.

Wagon Master

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich eine Situation vorzustellen, in der sich die Cleggs - sagen wir: in Crystal City - als Gruppe auf eine Frau stürzen, wenn die Gelegenheit günstig ist. Wie man so etwas für sich verwenden kann, wenn man hemmungslos genug ist, den weiblichen Körper für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, erleben wir seit der Silvesternacht von Köln. Um im Westernformat zu bleiben: Der Sheriff von Crystal City könnte Argumente dafür sammeln, warum man die Fremden aus der Stadt werfen muss, und weil die Xenophobie keine Differenzierung kennt wären alle davon betroffen: die Cleggs, die Mormonen, Miss Fleuretty, Dr. Hall und Mr. Peachtree alias Francis Ford, der Bruder des Regisseurs, weil er der Sohn irischer Einwanderer ist. Besorgte Bürger könnten als Mob durch die Straßen ziehen und die Frauen, die sie angeblich schützen wollen, ein weiteres Mal zum Objekt machen. Danach könnten sie zurück in altvertraute Muster fallen (so sie diese je verlassen haben) und die Opfer sexueller Übergriffe an den Pranger stellen, weil Frauen - siehe oben - selbst schuld sind, wenn sie vergewaltigt werden.

Ford gibt den Frauen eine Stimme. Das Schreien und Toben der Indianerin erscheint hysterisch, weil sie unmissverständlich deutlich macht, dass sie nicht vergewaltigt werden wollte und sich damit von ihren Leidensgenossinnen in anderen Filmen abhebt, denen der Production Code eine stark dosierte Emotionalität abverlangte, was dem Betrachter einen interpretatorischen Spielraum ließ (je mehr interpretiert werden kann, desto ungünstiger für die Opfer sexualisierter Gewalt: die Unterstellung, dass sie im Grunde doch nicht vergewaltigt wurden oder es sich irgendwie gewünscht haben ist da nie weit). Dem Bestreben, die Frau zum Objekt zu machen, begegnet Ford mit einer sehr selbstbewussten Denver. Reese belästigt sie. Travis kommt ihr zu Hilfe. Reese geht ab. Denver klärt Travis darüber auf, dass sie selber auf sich aufpassen kann und keinen Beschützer braucht.

Wagon Master

Das nimmt man ihr auch ab. Das Weibchenschema hat in Wagon Master einen schweren Stand. Andererseits gibt es ein paar biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau. Floyd Clegg ist ein Hüne (Hawks besetzte James Arness im Jahr darauf als den Außerirdischen in The Thing from Another World, und auch als Frankensteins Monster hätte er eine gute Figur abgegeben). Mehrfach sehen wir, wie er Denver hochhebt als wäre sie eine leichte Beute, die er jederzeit in seine Höhle tragen kann. Denver ist dagegen machtlos. Also hält Travis weiter ein wachsames Auge auf die Frau, die er liebt, auch wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, wieder gemaßregelt zu werden, weil sich Denver durch seine Fürsorglichkeit in ihrer Würde verletzt fühlt. Für einen Regisseur, der von der feministischen Filmkritik in der Schublade für misogyne Reaktionäre abgelegt und fortan ignoriert wurde, ist das gar nicht schlecht.

Wagon Master

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