Clan-Abschiebepläne: Fischt Nancy Faeser am rechten Rand?
Die Bundesinnenministerin stand einmal für couragierten bürgerlichen Antifaschismus. Jetzt werfen Bürgerrechtsgruppen ihr rechtsradikale Politik vor. Wie AfD und Co. reagieren.
Die AfD und ihre Anhängerschaft sind weit davon entfernt, es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu danken, dass sie ihnen mit dem Plan entgegenkommt, Angehörige "krimineller Clans" auch dann abzuschieben, wenn diese selbst keine Straftaten begangen haben. Stattdessen vermuten die Rechten in ihren Tweets reines "Wahlkampfgetöse" im Hinblick auf die Landtagswahl in Hessen am 8. Oktober. Faeser solle zurücktreten und Platz machen "für jemanden, der das kann", heißt es unter dem Hashtag #NurnochAfD.
Die Ko-Chefin der AfD-Bundestagsfraktion warf Faeser sogar vor, ihr Amt für den Hessen-Wahlkampf zu missbrauchen: "Kollektive Abschiebung von Clan-Mitgliedern wird ‚geprüft‘. Das Ergebnis lässt sich schon jetzt vorhersagen: Es wird keine Clan-Angehörigen geben, die tatsächlich abgeschoben werden", mutmaßte Weidel an diesem Montag auf X, ehemals Twitter.
Vorwürfe: Sippenhaft und Generalverdacht
Rechtlich dürfte das tatsächlich in einigen Fällen schwierig werden: Demokratische Juristinnen und Juristen bezweifeln nämlich, dass das Vorhaben mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) erinnerte bereits mit dem Stichwort "Sippenhaft" an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte – und empfahl Faeser, das demnächst im Nautilus-Verlag erscheinende Buch "Generalverdacht – Wie mit dem Mythos Clankriminalität Politik gemacht wird" zu lesen.
"Faeser schlägt vor, Menschen auf der Basis allein ihres Namens, ihrer Familie, ihrer Herkunft abzuschieben", stellte das Komitee für Grundrechte und Demokratie klar und kritisierte die Ministerin sowie die gesamte Ampel-Koalition scharf:"Das ist die geplante Aussetzung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit für komplette Bevölkerungsgruppen. Diese Regierung macht rechtsradikale Politik."
Die kritisierte Regelung findet sich in dem "Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung", den Faesers Ministerium am vergangenen Donnerstag veröffentlicht hat. "Unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung", heißt es darin sollten "Angehörige von Gemeinschaften der Organisierten Kriminalität" ihr Aufenthaltsrecht verlieren.
Gemeint sind ausdrücklich nicht nur Personen, denen strafrechtlich Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angelastet werden kann. Durch den Wegfall dieser Voraussetzung könnte die Regelung auf unbescholtene Familienmitglieder angewandt werden.
Nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wäre aber rechtlich zumindest Bedingung, dass "Personen aufgrund eines Familiennachzuges zu einem auszuweisenden Straftäter ein Aufenthaltsrecht erworben hatten", wie der stellvertretende GdP-Bundeschef Sven Hüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagausgaben) sagte.
Der Jurist und Ex-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Die Linke) ist sicher, dass "die sozialdemokratische Bubble komplett ausrasten" würde, wenn der Vorschlag, "Menschen abzuschieben, die keine Straftaten begangen und einfach den falschen Namen haben", von Faesers Amtsvorgänger mit CSU-Parteibuch, Horst Seehofer gekommen wäre. "Wenn genau das jetzt Faeser vorschlägt, ist großes Schweigen im Walde bei der SPD."
Laut einem Bericht des Tagesspiegels vom Nachmittag wurde der Vorstoß aber "in den Reihen des Berliner SPD-Landesvorstandes" kritisch aufgenommen: kritisch aufgenommen. "Man könne sich nicht vorstellen, dass dies ein ernstgemeinter Vorschlag einer Sozialdemokratin sei, hieß es." Dies könne nur ein Missverständnis sein. Die Sippenhaft sei in Deutschland bewusst abgeschafft worden.
Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt, twitterte unterdessen: "Nun Sippenhaft." Er glaube, "das Ministerium macht, was es will".
Von der Antifaschistin zur AfD-Konkurrentin?
Die Personalie der Ministerin zeigt für das linke Lager auf tragische Weise, wie sich das politische Koordinatensystem nach rechts verschoben hat: Vor eineinhalb Jahren wurde Faeser noch wegen ihres antifaschistischen Engagements von AfD und Springerpresse angegriffen wurde.
Ihre "Vergehen": Sie hatte zuvor als Landespolitikerin im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss solide Aufklärungsarbeit geleistet – und einen Gastbeitrag in der Mitgliederzeitschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) verfasst, der zuerst in der neurechten Postille Junge Freiheit und kurz darauf auch von der Bild skandalisiert wurde. Linke waren von ihrer Berufung ins Bundeskabinett positiv überrascht gewesen und solidarisierten sich angesichts der rechten Kampagne mit ihr.
Diese Zeiten sind vorbei. Aber egal, was diese Frau sagt und tut – die Zielgruppe des rechten Lagers wird es ihr und der SPD nicht danken.