Coming Out der britischen Geheimdienste

MI5 wirbt auf radikal-islamischen Sites um Hilfe bei der Terrorbekämpfung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Zweck heiligt die Mittel, vor allem in einem "Krieg gegen den Terror", muss sich anscheinend der britische Geheimdienst MI5 gedacht haben. Denn dieser beging den ungewöhnlichen Schritt, auf radikalen islamischen Websites einen Hilfeaufruf zu posten. Das realweltliche Vorbild der Behörde James Bonds hofft, dass einige der User dieser Websites so geschockt von den Anschlägen vom 11.September sind, dass sie mit dem Geheimdienst in Kontakt treten.

Mit dem Verweis auf die Anschläge vom 11.September und "den ca. 5000 Toten, einschließlich einer großen Zahl an Moslems" versucht MI5 potentielle Überläufer anzulocken. Nach einem Bericht des Guardian wurde der Brief bisher an zwei Stellen veröffentlicht, auf islah.org, einer Site, die von Gegnern des Saudi-Regimes genutzt wird, sowie auf qoqaz.com, einer tschetschenischen Site, die sich dem Heiligen Krieg verschrieben hat. Auf insgesamt 15 Sites radikaler islamischer Organisationen soll das Schreiben veröffentlicht werden, einige davon wurden allerdings bereits vom FBI zur Einstellung ihrer Aktivitäten gezwungen. Der Lockruf des britischen Geheimdienstes enthält sogar eine öffentliche Telefonnummer (020-7930 9000), an die man sich vertrauensvoll wenden könne.

Dass es diese Nummer überhaupt gibt, ist aus der Perspektive des MI5 schon ein gewagter Sprung in die öffentliche Domäne. Denn früher war MI5 so geheim, dass es den Dienst offiziell gar nicht gab. Auch der Name des Leiters war offiziell nicht bekannt. Das änderte sich in den neunziger Jahren, als mit Stella Rimington erstmals eine Frau Leiterin des Dienstes wurde und das öffentlich bekanntgegeben wurde. 1998 wurde dann die Telefon-Nummer für Hinweise aus der Öffentlichkeit eingeführt.

Ähnlich wie den Amerikanern scheint es auch den Briten an "Human Intelligence" in der Terrorbekämpfung zu fehlen. Eine eigene, auf Terror spezialisierte nachrichtendienstliche Einheit des MI5 wurde unter Stella Rimington sogar aufgelöst. Nun versucht man in aller Geschwindigkeit, Agenten aus den richtigen ethnischen Gruppen anzuheuern, um die Terroristennetzwerke zu unterwandern. In den britischen Botschaften soll dafür eine eigene Kontaktstelle eingerichtet werden, so dass Informanten den lokalen Vertreter der britischen Nachrichtendienste ohne größere Barrieren kontaktieren können.

Dieser "lokale Repräsentant" arbeitet allerdings mit größter Wahrscheinlichkeit für die noch geheimere Schwesterorganisation des MI5, den "Secret Intelligence Service" (SIS), auch bekannt als MI6. Wenn in der Vergangenheit etwas über diesen Dienst bekannt geworden war, dann meistens im Zusammenhang einer höchst peinlichen Schlappe für diesen. 1999 veröffentlichte der abgesprungene Agent Richard Tomlinson neben kompromittierenden Informationen über Aktivitäten des Dienstes auch eine Liste mit Namen von 9 Agenten. Später folgte sogar eine Liste mit 115 Agentennamen, die von Tomlinson erstellt worden sein soll, wobei es aber nicht klar ist, ob er sie auch veröffentlicht hat oder wie sie genau durchgesickert ist (siehe Cryptome Archiv).

Ob die "Öffentlichkeitsarbeit" von MI5 nun Früchte tragen wird, muss sich herausstellen. Laut Guardian gab es bisher "nur 16 giftige" verbale Gegenattacken auf einer der Sites, auf der das Papier veröffentlicht wurde. Auf ihrer eigenen Website werben die ansonsten so öffentlichkeitsscheuen Spione auch um Mitarbeiter. Die dafür genannten Erfordernisse, dass man nicht nur britischer Staatsbürger sein müsse, sondern mindestens ein Elternteil auch "starke britische" Wurzeln haben müsse und man, wenn man im Ausland geboren sei, zumindest die letzten 10 Jahre im Königreich verbracht haben müsste, dürften bereits genügen, um die meisten potentiellen arabisch-britischen Agentenanwärter auszusieben.