Compact-Verbot: Warum gerade jetzt?
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gehört bei Compact zum guten Ton. Bekannt ist das seit Jahren. Wen der Chefredakteur verhaften lassen wollte. Ein Kommentar.
Wenn ein Revolverblatt und sein Chefredakteur seit mehr als zehn Jahren durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auffallen, mag die Nachricht vom Verbot des Magazins spontan Erleichterung und Freude auslösen. Aber von "Das wurde ja Zeit" ist es nicht weit bis "Warum gerade jetzt?" So auch im Fall des heute vom Bundesinnenministerium verbotenen Compact-Magazins.
Das Ministerium selbst spricht von einem "harten Schlag gegen die rechtsextremistische Szene" und erläutert auf seiner Homepage, warum das Verbot aus seiner Sicht gerechtfertigt ist und weder Presse- noch Meinungsfreiheit verletzt: Die Compact-Magazin GmbH nehme "eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung" ein und missbrauche "ihre Medienerzeugnisse gezielt als Sprachrohr, um ihre verfassungsfeindlichen Zielsetzungen reichweitenstark zu verbreiten", heißt es dort.
In ihren Publikationen und Online-Auftritten propagiert die "Compact-Magazin " ein völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept, das nach ihrer Ansicht "ethnisch Fremde" aus dem Staatsvolk ausschließen will. Die Menschenwürde derer wird missachtet, die nicht in dieses ethnische Konzept passen. Die "Compact-Magazin " bedient sich dabei einer Widerstands- und Revolutionsrhetorik und nutzt gezielte Grenzüberschreitungen ebenso wie verzerrende und manipulative Darstellungen. (...)
Es ist zu befürchten, dass Rezipienten der Medienprodukte durch die rassistischen, antisemitischen, minderheitenfeindlichen, geschichtsrevisionistischen oder verschwörungstheoretischen Publikationen, die offensiv den Sturz der politischen Ordnung propagieren, aufgewiegelt und zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung animiert werden.
Bundesministerium des Inneren und für Heimat, 16. Juli 2024
Compact: Die Verbotsbegründung und ein schlechtes Beispiel
Angesichts dieser Begründung ist es erstaunlich, welche Beispiele für die aggressiv-kämpferische Haltung in einem ARD-Bericht zuerst genannt wurden:
Nach Belegen dafür muss man in der Tat nicht lange suchen: Compact sprach von sich selbst als "Widerstand", seit der Pandemie wurde das politische System als Corona- oder Impf-"Diktatur" diffamiert. In einer Sendung zur Vogelgrippe hieß es kürzlich, "neuer Impfterror" sei im Anmarsch, während der Corona-Pandemie seien die Menschen "zwangsgeimpft" worden.:
tagesschau.de, 16. Juli 2024
Unsachliche und überzogene Kritik an den Corona-Maßnahmen und der sektoralen Impfpflicht ist aber gerade kein Alleinstellungsmerkmal von Ultrarechten. Wenn diese Schlagworte von öffentlich-rechtlichen Medien als "aggressiv-kämpferisch" genug für ein Medienverbot wahrgenommen werden, sollte diese Wahrnehmung nachdenklich machen – mehr als die Verbotsbegründung des Ministeriums selbst.
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Denn rassistische Äußerungen des Chefredakteurs Jürgen Elsässer ("Hilfe, die Roma kommen") sind seit Jahren bekannt – ebenso sein Aufruf an die Bundeswehr, eigenmächtig "die Grenzen zu sichern".
Warum nennen öffentlich-rechtliche Medien gerade an erster Stelle ein Beispiel, das die Lager durchmischt, weil das Thema Corona-Maßnahmen die Grundrechte ganz unterschiedlicher Menschen tangiert, deren Vertrauen in den Staat und die Pharmakonzerne zu wünschen übrig lässt? - Gerade das lässt sich nicht mit Verboten wiederherstellen, während der Schutz der Menschenwürde von Minderheiten durchaus ein legitimer Verbotsgrund sein kann.
Compact-Chef forderte 2015 Verhaftung der Kanzlerin
Dass das Hochglanzmagazin des Ex-Linken und Neurechten Elsässer in der Amtszeit von Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht verboten wurde, überrascht kaum: Der CSU-Politiker war lange zuvor für einen harten Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik bekannt, den er gegenüber der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht durchsetzen konnte.
Im Zuge dieses Streits hatte sich Elsässer publizistisch nicht nur auf Seehofers Seite geschlagen, sondern am 23. November 2015 sogar auf seinem Blog gefordert: "Herr Seehofer, bitte verhaften Sie Frau Merkel!"
Zu einem solchen Showdown kam es bekanntermaßen nicht – doch Seehofers Motivation, Elsässer publizistisch einzuschränken, blieb erkennbar gering. Aber auch unter Seehofers Nachfolgerin Nancy Faeser (SPD) ab Ende 2021 ließ sich das Ministerium gut zweieinhalb Jahre Zeit.
Eine Ministerin im Kreuzfeuer der Kritik
Faeser galt als engagierte bürgerliche Antifaschistin und Feindbild der rechten Szene, seit sie im hessischen Untersuchungsausschuss zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) jahrelang Aufklärungsarbeit geleistet hatte.
Von rechten Medien wurde im Februar 2022 ihr Gastbeitrag im Magazin Antifa skandalisiert – dem Magazin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Darunter litten aber damals nicht die Umfragewerte der SPD.
Solidarität erfuhr Faeser während dieser rechten Kampagne von Linken verschiedenster Gruppen und Parteien, die ihr mittlerweile vorwerfen, sich bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) migrationspolitisch der AfD angenähert zu haben. Als "Antifa-Ministerin" gilt sie aber nach wie vor im Umfeld der AfD und in Neonazikreisen. Die SPD ist inzwischen von 22 bis 23 Prozent im Frühjahr 2022 auf 14 bis 16 Prozent im Juli dieses Jahres abgerutscht.
Nancy Faeser seit Kandidatur in Hessen angezählt
Für das aktuelle Medienverbot wurde also von Faesers Ministerium ein Zeitpunkt der eigenen Schwäche gewählt, zu dem die SPD hinter der von Elsässer bevorzugten AfD liegt. Auch bei der Europawahl am 9. Juni lag die Kanzlerpartei zwei Prozentpunkte hinter der AfD, die damit zweitstärkste Kraft hinter der Union wurde.
Faeser selbst gilt als angezählt, seit die Ministerin im Oktober 2023 als Spitzenkandidatin ihrer Partei zur Landtagswahl in Hessen antrat und eine historische Niederlage einstecken musste.
Hier lag die SPD sogar mehr als drei Prozentpunkte hinter der AfD. Dass Faeser als Bundesministerin in den vergeblichen Landtagswahlkampf Zeit und Energie gestreckt hatte ("Meine Herzensangelegenheit ist Hessen"), war schon vor ihrer Wahlflaute Gegenstand von Diskussionen. Von links betrachtet hat sie sich nach rechts bewegt, ist aber dort nicht angekommen und gewollt.
Schwerer Schlag gegen rechtsextreme Szene oder Eigentor?
Ob das Medienverbot zu diesem Zeitpunkt wirklich der harte Schlag gegen die rechtsextreme Szene ist, den Faesers Ministerium darin sehen möchte, oder ob sie daraus letztendlich gestärkt hervorgeht, muss sich zeigen.
Denn erwartbar spricht die AfD von einem "schweren Schlag gegen die Pressefreiheit"; und da Elsässer tatsächlich eher Demagoge und Bewegungsunternehmer als Journalist ist, könnte er sich in der neuen Situation besser zurechtfinden als von Faeser und Co. erhofft.
Das Verbot bezeichnete er laut einem RBB-Bericht als "faschistische Maßnahme", die AfD, die damit eigentlich getroffen werden solle, als "parlamentarische Hauptvertretung der Opposition". Gegen das Verbot steht ihm der Klageweg offen.
Das Juramagazin Legal Tribune Online warf heute bereits die Frage auf, ob das Vereinsgesetz, auf das sich das Verbot formell stützt, überhaupt auf Compact anwendbar ist. Das Ministerium hatte dies sinngemäß mit dem aktivistischen Charakter des Mediums "gegen die verfassungsmäßige Ordnung" begründet. Letzteres könnte allerdings auch Folgen für linke Medien haben, die im Verfassungsschutzbericht auftauchen.