Computopia revisited

Seite 3: Eine neuartige "Moderation" der Gesellschaft

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In dem sehenswerten SF-Film "Zardoz" (GB 1973) von John Boorman existiert das so genannte "Tabernakel" – eine Künstliche Intelligenz, die eine Gemeinschaft von Unsterblichen organisiert, ohne dass diese zum Schutz des Systems noch ein Wissen von seiner Konstruktion hätten. In dem Moment, wo das Tabernakel zerstört wird, bricht die Gemeinschaft auseinander. Sein Wirkungshorizont ist auf eine gewisse Anzahl von Siedlungen begrenzt, zwischen denen Informationen über Bedarf und Überfluss ausgetauscht werden.

Zardoz

Das Tabernakel hat also gewissermaßen die Moderation der Gesellschaft übernommen. Vielleicht erleben wir heute einen Vorschein dieser Fantasie. Das Internet dringt immer tiefer in die Kultur vor und vermittelt auf immer vielfältigere Weise die sozialen Beziehungen (siehe: Das Internet als globale "Beziehungsmaschine"). Die Angebote des Web 2.0 werden zu neuen sozialen Anforderungen u.a. bei Praktiken der Selbstdarstellung im Konkurrenzkampf; zugleich stellen sie neue Formen von Gemeinschaft dar, die sich der ökonomisch bedingten Individualisierung entziehen und Vorformen einer egalitären Gesellschaft umreißen.

Zardoz

Ich will an dieser Stelle gar nicht konkret auf die vorhandenen Probleme bei Facebook, MySpace usw. eingehen. Es zeichnet sich nur ab, dass sich eine technische Struktur zwischen die Menschen schiebt und neue Vergesellschaftungsmuster mit sich bringt. Der Soziologe Dirk Baecker ist der Meinung8:

Wir werden uns daran gewöhnen, Computer so zu beobachten, wie wir heute Delfine beobachten, um herauszufinden, was sie können und was sie nicht können. (…) Wir werden mit ihnen Geschäfte machen und uns mit ihnen zu Gesprächen verabreden. Wir werden einen großen Teil unserer Selbstkontrolle an sie abgeben und sie werden uns sagen, wann es Zeit für unsere Medikamente ist, für sportliche Aktivitäten, für einen Telefonanruf bei guten Freunden oder für einen "Termin mit uns selbst".

Dirk Baecker

Es sei dahingestellt, ob intelligente Maschinen wirklich "geschäftstüchtig" werden müssen. Die Technologien des Web 2.0 deuten nur an, dass mit dem Internet ein neues soziales Synthesepotenzial in die Welt gesetzt wurde.

Der Gesellschaftseffekt wird jeden Tag durch Millionen von Handlungen neu hergestellt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird schon längst nicht mehr bevorzugt im lokalen Umfeld erzeugt. Mit der Entstehung der bürgerlichen Medienöffentlichkeit gewann die überregionale Vermittlung an Bedeutung. Mit dem Internet ist nicht nur die Möglichkeit einer globalen Berichterstattung mit offizieller Information und Gegeninformation eröffnet, sondern auch die Gelegenheit gegeben, die individuelle Lebensweise mit anderen privaten Lebensweisen verschränken zu können – dank der Vielgestaltigkeit der Technik.

Abzuwarten bleibt, welche konkreten utopischen Impulse aus dieser neuen technokulturellen Disposition hervorgehen werden. Die Frage steht im Raum, ob man die Gesamtsteuerung der Gesellschaft nicht langfristig den Maschinen überlassen soll, wo heute schon Börsenprogramme benutzt werden, um ökonomische Entscheidungen abzugeben. In letzter Konsequenz heißt das, dass eine technische Infrastruktur sich zwischen die Menschen schaltet wie zuvor der Staat oder der Markt und diese Integrationsinstanzen verändert und/oder ablöst.

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