Containment oder Eskalation?

Seite 2: Ein großes Loch in der anti-chinesischen Mauer der USA

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Dennoch scheint in der anti-chinesischen Mauer, die Washington im pazifischen Raum errichtet, inzwischen ein großes Loch zu klaffen. Der britische Guardian sah Ende September dieses Vorhaben als größtenteils gescheitert an. Der US-Präsident habe den Aufbruch der USA gen Osten zu einem zentralen Anliegen seiner Außenpolitik gemacht, erinnerte die Zeitung. Jetzt, da Obama kurz davor stehe, sein Amt zu verlassen, wirkten die Vereinigten Staaten "zunehmend impotent" in der Region.

Während Obama es nicht geschafft habe, das asiatische Freihandelsabkommen TTP - das China ökonomisch ausschließen sollte - durch den Kongress zu bringen, seien auch militärisch längst Fakten geschaffen worden. Es vergehe keine Woche, in der China nicht neue militärische Installationen auf den künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer anlege. Peking habe de facto 80 Prozent dieses Seegebiets "unilateral annektiert".

Folglich verlassen die ersten Staatsakteure in der Region das sinkende geopolitische Schiff der im raschen Abstieg begriffenen US-Hegemonialmacht. Noch vor rund einem Jahr standen China und die Philippinen am Rande einer militärischen Auseinandersetzung um die umstrittene Meereszone. Doch inzwischen hat der autoritäre philippinische Staatschef Duterte eine geopolitische Kehrtwende vollführt und die maritime militärische Kooperation mit den USA eingestellt.

China sei der stärkere Partner, erklärte der neu gewählte Präsident, der für seine mörderische, extralegale Kampagne gegen das "organisierte Verbrechen" berüchtigt ist (Lynchjustiz als Regierungsprogramm). Zudem will Duterte künftig die militärische Zusammenarbeit mit China und Russland intensivieren.

Peking werde nun alles daran setzen, durch Zugeständnisse die Philippinen aus der vertraglichen Allianz mit Washington zu lösen, berichtete die New York Times. Damit fehlt Washington bereits ein wichtiger lokaler Staatsakteur, um eine effektive regionale Eindämmungsstrategie gegenüber Peking realisieren zu können. Mit dem Scheitern des Containments konfrontier, können nun Tendenzen zur Eskalation überhand gewinnen, wie sie etwa in den eingangs erwähnten Überlegungen bezüglich der chinesischen "Meeresmiliz" von Defensenews diskutiert wurden.

Eurasien und Ozeanien

Dabei stellen diese geopolitischen Auseinandersetzungen im pazifischen Raum nur den - westlichen - Teil der globalen geopolitischen Strategie Washingtons dar, die sich gegen die Ausbildung eines ernsthaften Konkurrenzsystems stemmt, das die erodierende US-Hegemonie offen herausfordern könnte. Letztendlich kämpft Washington gegen Eurasien, gegen ein Bündnissystem, dass unter Einschuss Chinas und Russlands einen Großteil der eurasischen Landmasse umfassen würde und dem US-Dollar als Weltleitwährung ein Ende bereiten könnte.

Dies kann Washington um keinen Preis zulassen. China kann nicht von Washington als "gleichberechtigt" akzeptiert werden, da der US-Dollar als Weltleitwährung den USA die ungeheure Verschuldungsorgie der vergangenen Dekaden im öffentlichen wie im privaten Sektor erst ermöglichte. Ohne den Greenback als das Wertmaß aller Dinge auf globaler Ebene würden die Vereinigten Staaten zu einer gigantischen Kopie Griechenlands verkommen.

Die von Washington forcierten Freihandelsdeals - TTIP und sein pazifischer Pedant TTP - weisen somit eine geopolitische Komponente auf. Die amerikanische Geopolitik strebt danach, mittels der pazifischen und atlantischen Freihandelsabkommen die Vereinigten Staaten als das Zentrum Ozeaniens - eines um Europa und Südostasien erweiterten amerikanischen Bündnissystems, das sich über beide großen Ozeane erstrecken würde - zu etablieren.

Das sozioökonomische und militärische Potenzial eines russisch-chinesischen Eurasiens muss hierbei möglichst stark beschnitten werden, indem das eigene Bündnissystem möglichst weit ausgedehnt wird. Letztendlich stellen die aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen eine neue Art von Territorialkämpfen dar: Wo sollen die Grenzen Eurasiens, wo diejenigen Ozeaniens verlaufen?

Dieser globale Kampf zwischen dem sich formierenden Eurasien und Ozeanien wird auf vielen Brennpunkten der eurasischen Landmasse geführt. Und selbstverständlich ist dieser Machtpoker nicht nur in Südostasien brandgefährlich, wie das Beispiel der Ukraine illustriert: Die entscheidend von den USA forcierte Eskalation in der Ukraine diente vor allem dem Zweck, einen möglichst tiefen Keil zwischen Moskau und Westeuropa zu treiben und dieses an das eigene US-Projekt von TTIP zu binden - um so die Grenzen Ozeaniens nach Möglichkeit bis an den Dnjepr vorzuschieben. Und auch der eingangs erwähnte Kampf um Syrien weist auch - wenn auch nicht nur! - diese weltpolitische Dimension auf, bei der die abgetakelte imperialistische Hegemonialmacht USA von nicht minder rücksichtslos agierenden imperialen Konkurrenzen offen herausgefordert wird.

Von Tomasz Konicz erschien jüngst im Konkret Verlag das Buch "Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft".