Corona-Aufarbeitung: Mehrheit dafür, Lauterbach dafür – aber in welcher Form?
Insgesamt wünscht eine Mehrheit die bessere Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen. In welcher Gruppe sie am größten ausfällt und was zentrale politische Akteure sagen.
Die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in Deutschland hat laut Meinungsumfragen zwar nicht gerade oberste Priorität – allerdings wünscht sich die Mehrheit in Ost und West eine bessere Aufarbeitung.
In einer Umfrage der Zeit in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Infas sprachen sich insgesamt 55 Prozent dafür aus, nur 38 Prozent explizit dagegen. Jeweils vier Prozent antworteten mit "Weiß nicht" oder machten dazu keine Angabe.
Mehr Corona-Aufarbeitung: Vor allem Arbeiter sind dafür
Mit 60 Prozent war der Aufarbeitungsbedarf im Osten Deutschlands etwas höher als im Westen mit 51 Prozent. Ein deutlich größerer Unterschied zeigte sich zwischen Arbeitern und Akademikern. Letztere hielten nur zu 17 Prozent die Aufarbeitung für verbesserungswürdig, 82 Prozent der Studierten verneinten dies explizit. Bei den Arbeitern meldeten 62 Prozent Bedarf an, 33 Prozent sprachen sich dagegen aus.
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Auch in der Anhängerschaft der Parteien zeigten sich deutliche Unterschiede. Unterschiede zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteien. Bei CDU-Wählern lag das Interesse an einer besseren Aufarbeitung mit 55 Prozent genau im Durchschnitt; bei SPD und Grünen gibt es mit 62 und 61 Prozent etwas mehr Befürworter. Unter FDP-Wählern scheint das Thema aber mit 86 Prozent besonders wichtig genommen zu werden.
Der lange Schatten der Masken-Deals
Als wichtige Figuren im Aufarbeitungsprozess gelten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU). Letzteren verfolgt der lange Schatten seiner Masken-Deals: Mehrere Unternehmen haben vor dem Landgericht Bonn Klage gegen das Gesundheitsministerium eingereicht.
Die Firmen hatten im Frühjahr 2020 die Lieferung von FFP2-Atemschutzmasken im Wert von 480 Millionen Euro an den Bund zugesagt. Stückpreis: 4,50 Euro. Die ursprüngliche Lieferfrist konnten sie zwar nicht einhalten, erklärten sich aber zur Nachlieferung zum damals vereinbarten Preis bereit und machten Ansprüche geltend. Allerdings können Masken dieser Art in großen Mengen mittlerweile ab zehn Cent pro Stück eingekauft werden.
Im Rechtsstreit Streit mit einem Maskenlieferanten hat der Bund bereits im Juli eine Niederlage vor dem Kölner Oberlandesgericht einstecken müssen: Er sei zur Zahlung von rund 86 Millionen Euro plus Zinsen verurteilt worden, teilte das Gericht seinerzeit mit.
Lockdowns und Steuergeldverschwendung: Spahn in der Kritik
Spahn stand sowohl wegen der Masken-Deals als auch wegen der Lockdown-Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Infektionswellen in der Kritik. Im Mai dieses Jahres sprach er sich selbst für eine breit angelegte Aufarbeitung im Bundestag aus.
"Das kann weder die rosarote Brille für die damalige Bundesregierung sein noch ein Volksgerichtshof der Corona-Leugner", sagte Spahn seinerzeit der Deutschen Presse-Agentur. Er stelle sich seiner Verantwortung.
RKI soll von Lauterbach unter Druck gesetzt worden sein
Der aktuellen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, zu Beginn der Pandemie noch gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, gilt als profilierter Vertreter des "Teams Vorsicht".
Nach zwei Corona-Jahren wollte das Robert-Koch-Institut (RKI) die Risikobewertung Anfang 2022 herabstufen. Lauterbach wird vorgeworfen, dies als Minister durch politische Einflussnahme oder sogar per Weisung an das RKI verhindert zu haben. Diesen Vorwurf weist er allerdings zurück.
Im November dieses Jahres sagte Lauterbach dem Deutschlandfunk, er habe mit dem RKI lange darüber diskutiert, am Ende sei man sich aber einig gewesen, die Risikobewertung bei "sehr hoch" zu belassen. Es habe sich nicht um eine politische Weisung gehandelt.
Aktuell spricht sich Lauterbach ebenfalls für eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen aus, allerdings nicht unbedingt in Form eines Untersuchungsausschusses im Bundestag. Die FDP habe hier zu wenig Kompromissbereitschaft für andere Aufarbeitungsformen gezeigt – er sei jedoch sicher, dass diese Aufarbeitung einen Platz im nächsten Koalitionsvertrag bekomme, sagte Lauterbach am Mittwoch vor Journalisten.
Corona-Untersuchungsausschuss vs. Enquete-Kommission
Für eine Enquete-Kommission aus Abgeordneten und Sachverständigen zur Corona-Aufarbeitung hatte sich Lauterbach bereits im März 2023 offen gezeigt.
Ein solches Gremium würde Erkenntnisse und Lehren aus der Corona-Zeit sammeln, um daraus Empfehlungen für die Zukunft abzuleiten.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde stärker darauf abzielen, Fehlverhalten innerhalb staatlicher Institutionen aufzuklären und politische Verantwortlichkeiten festzustellen.
Ein solcher Ausschuss bestünde ausschließlich aus Abgeordneten und hätte weitreichende Befugnisse, etwa zur Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen unter Wahrheitspflicht.