Corona-Aufarbeitung: Was wussten wir wirklich?
Datenerhebungskatastrophe und Impfpflicht: Eine transparente Untersuchung muss den fundamentalen Fragen zu Datenlücken und Impfpolitik nachgehen. (Teil 2)
In Krisenzeiten kommt der Datenqualität naheliegenderweise eine ganz besondere Bedeutung zu. Denn präzise Daten sind die notwendige Grundlage möglichst optimaler und verhältnismäßigen Entscheidungen. Eine schlechte Datenqualität führt hingegen zu einer permanenten Nebelfahrt. Wie solide war die Datenlage während der Corona-Krise in Deutschland?
Teil 1: Corona-Untersuchung: Das Schweigen sollte enden
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit bezeichnete die Datenerhebung in Deutschland als "Datenerhebungskatastrophe", wie Telepolis im Januar 2022 berichtete.
Auch der Sozialwissenschaftler Rainer Schnell benutzte in einem ZDF-Beitrag ebendieses Wort.
Der Medizinstatistiker Gert Antes, der von Beginn der Corona-Krise an auf die Notwendigkeit möglichst stabiler Daten gepocht und immer wieder vor einem kontinuierlichen Blindflug gewarnt hatte, erklärte – angesprochen auf die Datenqualität des Robert Koch-Instituts – ein Student in der Universität müsste bei dieser Qualität vermutlich das Seminar noch einmal wiederholen.
Kein Traumzeugnis.
Schwimmende Daten: Infektionen
Immer wieder erstaunte in den Corona-Jahren, welche Unsicherheiten bei der Datenlage herrschte. Ein paar Beispiele, die keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erheben:
• In Hamburg behauptete Bürgermeister Peter Tschentscher 16. November 2021, 90 Prozent der Neuinfektionen seien auf Ungeimpfte zurückzuführen. Dies rechtfertige scharfe Grundrechtseinschränkungen für Ungeimpfte.
Hamburg war das erste Bundesland, das ein 2G-System einführte. Später stellte sich jedoch heraus, dass bei knapp zwei Drittel der Neuinfizierten der Impfstatus überhaupt nicht erfasst worden waren und sie schlicht der Gruppe der Ungeimpften zugeschlagen wurden.
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Vertrauensverlust und vertrauensbildende Maßnahmen
Tatsächlich war der Inzidenz-Unterschied deutlich geringer
• In Bayern veröffentlichte Ministerpräsident Markus Söder eine Grafik auf Twitter, wonach die Inzidenz der Geimpften bei 110, die der Ungeimpften aber dreizehnmal so hoch gelegen haben solle. Söder kommentierte:
Leider nehmen die Corona-Infektionen gerade bei Ungeimpften dramatisch zu. Es gibt einen direkten Zusammenhang von niedrigen Impfquoten und hohen Infektionsraten.
Auch hier: Infizierte mit unbekanntem Impfstatus wurden schlicht den Ungeimpften zugeordnet. Das korrekte Verhältnis nicht 1:13, sondern 1:3. Zudem hatte Anfang Dezember Die Welt enthüllt, dass der Impfstatus in einer Beispielwoche im November in sage und schreibe 70 Prozent der Fälle unbekannt war. Diese wurden den Ungeimpften zugeordnet.
• In Sachsen nannte Ministerpräsident Michael Kretschmer am 5. November 2021 im Deutschlandfunk eine Inzidenz bei Geimpften von 70 bis 80. Bei Ungeimpften läge diese zehnmal so hoch.
Am 18. November erklärte er dann im sächsischen Landtag:
"In der Tat ist es so, dass die Inzidenz bei den nichtgeimpften Bürgerinnen und Bürger bei 1800 liegt und bei denen, die geimpft sind, bei 63."
Ein Verhältnis also von knapp 1:30. Auf Anfrage der Welt antwortete das sächsische Sozialministerium: "Wenn keine Angaben vorliegen, gilt die Person zunächst als ungeimpft und wird dieser Gruppe zugeordnet."
Auf Nachfrage gab es dann auch Zahlen für die von Kretschmer herangezogene Woche: Die Inzidenz lautete 72 zu 597 (ein Verhältnis von 1:8) wobei:
"In 30 bis 40 Prozent der Fälle wurde nach Angaben der Landesuntersuchungsanstalt in diesem Zeitraum angegeben, dass der Impfstatus nicht erhoben/nicht ermittelbar war."
Obwohl zu diesem Zeitpunkt in Deutschland weit mehr als die Hälfte der Menschen geimpft war und daher der logisch naheliegende Schluss war, Infizierte ohne bekannten Impfstatus einzeln auszuweisen oder – wenn schon – im Zweifelsfalle den Geimpften zuzuteilen, wurden sie grundsätzlich den Ungeimpften zugeordnet. Ohne dies zu erwähnen.
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek verteidigte dennoch diese Zuordnung:
"Es war sinnvoll, die Meldefälle mit unbekanntem Impfstatus gemeinsam mit der Gruppe der Ungeimpften auszuweisen."
Auf diese Weise habe man erreicht, "dass die Zahlen näher an der Realität lagen". Einen Beleg für diese Behauptung blieb er jedoch schuldig.
Die Konsequenz: Auf Grundlage der sächsischen Zahlen wurde beispielsweise die Arbeitsschutzverordnung bundesweit verschärft:
"(…) während die 7-Tage-Inzidenz bei den Geimpften bei ca. 60/100.000 liegt, beträgt sie bei Ungeimpften und nicht vollständig Geimpften fast 600/100.000 (Stand 02. November 2021)."
Was grundsätzlich bei der Fragestellung nach der Impfwirksamkeit nicht berücksichtigt wurde: Da Geimpfte sich so gut wie gar nicht mehr testen lassen mussten und dies daher meist nur bei klaren Symptomen taten, fiel somit die gesamte Gruppe asymptomatisch infizierter Geimpfter aus den Daten heraus, was zwangsläufig zu einer massiven Verzerrung der Zahlen für Infektionen bei geimpften Menschen geführt hat.
Der Virologe Alexander Kekulé bemängelte genau dies bereits im September 2021:
Während die häufig proklamierte "Welle der Ungeimpften" anhand der Tests und Krankenhauseinweisungen sichtbar und berechenbar ist, rauscht die Welle der Geimpften wie ein Tarnkappen-Bomber durch die Bevölkerung.
Alexander Kekulé
Einmal mehr hätten hier repräsentative Kohorten-Untersuchungen Sicherheit ermöglicht, die regelmäßig getestet würden. Warum dies unterlassen wurde, wäre ein weiteres Thema für einen Untersuchungsausschuss.
Schwimmende Daten: Hospitalisierung
Die Frage, wie hoch der Anteil der Krankenhauspatienten ist, die wegen einer Covid-19-Erkrankung eingewiesen wurden und der Gesamtzahl der Patienten, die mit positivem PCR-Test im Krankenhaus lagen, erwies sich aufgrund der Datenlage als schwierig zu beantworten, obwohl viele Maßnahmen hiervon abhingen.
Auf eine Anfrage der Welt an die Hamburger Sozialbehörde lautete die knappe Antwort:
"Der Grund für eine Hospitalisierung mit Covid-19 wird nicht statistisch erfasst."
Die Welt resümierte ihre Nachforschungen im Dezember 2021 und Januar 2022:
In Rheinland-Pfalz etwa war Corona nur in 53 Prozent der Fälle Ursache für die Hospitalisierung. 27 Prozent der Patienten wurden aus anderen Gründen eingeliefert. Für die übrigen 20 Prozent liegen keine Informationen vor.
Berlin teilte mit, in 47 Prozent der Fälle sei Covid der Hauptgrund gewesen, bei 29 Prozent lag keine Angabe zum Hospitalisierungsgrund vor.
Welt
Recht auf korrekte Zahlen
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass in Bayern Infizierte, deren Impfstatus nicht festgestellt wurde, schlicht der Gruppe der Ungeimpften zugeordnet worden sind, wie bereits dargestellt, forderte die FDP in Bayern auf einer Pressekonferenz "lückenlose Aufklärung".
Die Reaktionen ließen an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte, die FDP würde das Geschäft der AfD betreiben. Der Grünen-Politiker Andreas Krahl sah das ähnlich:
"Mit Ihrer Themenwahl bieten Sie der AfD heute eine Paradebühne."
Und Fabian Mehring, Chef der Freien Wähler, warf der FDP vor:
"In dieser schwierigen Phase streuen Sie den Menschen Sand in die Augen und stellen etwas, was Sie selbst wissen, anders dar, um daraus als politischer Geschäftemacher Kapital zu schlagen. Meine Damen und Herren, das kannte dieses Hohe Haus bislang einzig von der AfD."
CSU-Politikerin Beate Merk nannte das Vorgehen der FDP "rechtspopulistisch" und sagte: "Wir wünschen uns nach alldem, was Sie hier gebracht haben, dass Sie sich schämen."
Tim Röhn kommentierte in der Welt:
Moment – wirklich? Man macht sich zum Sprachrohr der AfD, wenn man auf das Recht auf korrekte Zahlen pocht? Man muss bei derartigen Anliegen sicherstellen, keinen Applaus von den Falschen zu bekommen?
Diese Argumentation ist – zumindest vonseiten der Regierungskoalition – der schäbige Versuch, vom eigenen Versagen, möglicherweise gar von der bewussten Täuschung der Bevölkerung abzulenken.
Tim Röhn
Es liegt auf der Hand, dass eine Frage, die eine Untersuchung der Corona-Politik beantworten muss, lautet: Wie ist diese Datenerhebungskatastrophe zu erklären und was muss geändert werden, um dies in der Zukunft zu verhindern?
Grassierendes Desinteresse
Ein weiterer Aspekt der unsoliden Datenlage ist das Desinteresse an bestimmten Zahlen:
• Die Gruppe der Genesenen war keine Erhebung wert und fiel immer wieder durch den Untersuchungsraster, wie ausführlich auf Telepolis thematisiert wurde.
• Im Krankenhaus wurde nicht festgehalten, wie hoch der Anteil von Genesenen auf der Intensivstation war (sodass es auch niemals möglich war, der Frage nachzugehen, wie sehr eine natürliche Immunität vor einer schweren Wiedererkrankung schützt).
• Die Anzahl der erhaltenen Impfdosen wurde bei der Feststellung von Impfnebenwirkungen nicht notiert. Daher kann man auch keine Aussage basierend auf Zahlen aus Deutschland treffen, ob die Wahrscheinlichkeit schwerer Impfnebenwirkungen bei jeder Dosis konstant bleibt, zu – oder abnimmt.
Selbstverständlich wäre das aber eine wichtige Information, gerade im Hinblick auf die Kosten- und Nutzen von Boosterimpfungen.
• Streckenweise war sogar nicht bekannt, wie viele Covid-Intensivpatienten geimpft waren oder nicht.
• Seit Januar 2022 schätzte das RKI Inzidenzen nur noch
• Seit Ende April 2022 veröffentlichte das RKI keine Zahlen zur Impfeffizienz mehr.
Kann es verwundern, dass angesichts dieser "Datenerhebungskatastrophe" die Mehrheit der Deutschen schon am 3. Januar 2022 den Corona-Daten des Robert Koch-Instituts misstraute?
Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier betont die Bedeutung dieses Aspektes in rechtlicher Hinsicht:
Geht es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie im Falle der Pandemiebekämpfung, dürfen Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen grundsätzlich nicht dauerhaft zulasten der Grundrechtsträger gehen.
Es ist deshalb besonders fatal für den Grundrechtsschutz anzusehen, dass die eklatanten Mängel der Erkenntnisgewinnung in weitem Umfang selbst am Ende der Pandemie bestanden, weil die verantwortlichen staatlichen Stellen es unterlassen haben, die für eine Evaluierung notwendigen Daten zu erheben.
Hans-Jürgen Papier
Nicht nachvollziehbare Entscheidungen
In diesem Licht kann ein weiterer Aspekt der Corona-Krise nicht überraschen. Einige Entscheidungen wurden nicht ausreichend sachlich begründet und konnten daher leicht willkürlich erscheine (was selbstverständlich kaum zum Vertrauen in die Corona-Politik geführt haben dürfte).
Ein besonders sprechendes Beispiel war die bereits angesprochene Behandlung von Genesenen. Die Frage, wie lange Genesene eigentlich gegen eine Reinfektion geschützt waren, war in Deutschland aufgrund der Datenlage kaum zu beantworten.
Die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass Genesene wegen einer Infektion ins Krankenhaus mussten, noch weniger. Dies verwundert umso mehr, als ein Staat ein besonderes Interesse an der Aufklärung dieser Frage haben müsste, weil sie möglicherweise beweisen könnte, dass eine deutlich weniger restriktive und kostengünstigere Politik zielführend gewesen wäre.
Stattdessen wurde der Genesenenstatus in Deutschland auf 3 Monate halbiert (und galt erst ab dem 28. Tag nach der Infektion – bei einer Impfung waren es hingegen nur 14 Tage -, was für die betroffene Person in dieser Zeit, in der sie noch nicht offiziell als genesen galt und damit bei der 2G-Regelung vor verschlossenen Türen stand, zu Problemen geführt haben dürfte).
Telepolis hat wiederholt über dieses Thema berichtet. (Beispielsweise hier und hier)
Auf Anfrage von Telepolis erklärte das RKI vielsagend, den Genesenenstatus auf drei Monate zu halbieren sei "eine politische Entscheidung" gewesen.
Aufgrund der Tatsache, dass dies streckenweise darüber entschied, ob die betroffenen Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben (und teilweise auch aus dem beruflichen Leben) ausgeschlossen wurden und damit massive Einschränkungen und Verluste hinnehmen mussten, ist dies sicherlich keine Lappalie.
Einmal mehr ein Thema für einen Untersuchungsausschuss.
Lockdown
Im Hinblick auf massive Grundrechtseinschränkungen ist selbst verständlich der Lockdown zu nennen. Das RKI hatte intern am 16. Dezember 2020 kritisch bewertet:
"Lockdowns haben zum Teil schwerere Konsequenzen als Covid selbst."
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Das unbegreifliche Desinteresse an den Genesenen
Gerade weil die Konsequenzen eines Lockdowns vielfältig, zahlreich und durchaus gravierend sind, stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Daher muss eine Analyse zwingend Teil einer Untersuchung sein, um die Frage zu klären, inwiefern die Lockdowns in Deutschland gesamtgesellschaftlich zu mehr Schaden oder mehr Schutz geführt haben.
Stellvertretend für die Kritiker sei hier Boris Kotchoubey, Professor am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen, angeführt:
Jedes entwickelte Land besaß bereits vor Corona einen ausgearbeiteten Pandemieplan, so auch Deutschland. Keiner dieser Pläne schloss eine komplette Ausschaltung des öffentlichen Lebens ein. (…)
Die von der Politik immer wieder zitierte Studie, nach welcher ein harter Lockdown mehrere Millionen Leben erhalten könne, war ein mathematisches Modell, bei dessen Berechnung im Übrigen die Daten dreier Länder, die nicht zum Konzept passten, ausgeschlossen wurden.
Die Studie verglich den kompletten Lockdown mit Null-Maßnahmen (also mit einer Laissez-faire-Taktik), obwohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Daten zur Wirksamkeit gezielter hygienischer Maßnahmen bekannt waren.
Eine Aufforderung zum richtigen Händewaschen kann demnach allein nahezu den gleichen Effekt haben wie ein totaler Lockdown.
Bei der ersten Covid-Welle verringerten die Menschen aus eigenen Stücken und ohne staatlichen Zwang ihre Mobilität, wodurch der Reproduktionswert in allen untersuchten Ländern auf nahe 1,0 fiel, der darauffolgende Lockdown hat diesem Wert nur wenig hinzugefügt.
Dänemark stellte ein einzigartiges Experiment, indem benachbarte Gemeinden verglichen wurden, die in allen relevanten Parametern identisch waren. In einigen Dörfern wurde härtester Lockdown verhängt, in anderen nur moderate Einschränkungen, aber es gab keinen Unterschied in der Weiterverbreitung der Infektion.
Boris Kotchoubey, Cicero
Auf der Suche nach der Herdenimmunität
Ein fundamentales Thema der Polarisierung in der Gesellschaft waren die Impfung und insbesondere die Maßnahmen rund um die Impfung. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein – auch um der Polarisierung der Gesellschaft vertrauensbildende Maßnahmen entgegenzusetzen, dass eine transparente Untersuchung sich diesem Thema ebenfalls annehmen sollte.
Das erlösende Ziel der Herdenimmunität machte sehr früh die Runde. Im April 2020 war beispielsweise auf Spiegel Online zu lesen:
Der Covid-19-Ausbruch gilt erst als überwunden, wenn ein Großteil der Bevölkerung immun gegen das Coronavirus ist – entweder, weil ein wirksamer Impfstoff gefunden wurde, oder weil 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Infektion durchgemacht und daraufhin Antikörper gegen das Virus gebildet haben. Dann, so nennen es Experten, gibt es eine Herdenimmunität.
Spiegel
An der Zuversicht, dass sich durch die Impfung eine Herdenimmunität erreichen ließe, kamen aber bald Zweifel auf, denn der Bevölkerungsanteil, der hierfür geimpft sein musste, stieg über die Monate immer mehr an.
Im Juni 2021 ging man noch von einer Impfquote von zwei Drittel, die für das Erreichen einer Herdenimmunität erforderlich seien.
Im August waren es dann 85 Prozent. Im November waren es sogar 90 Prozent.
Zu diesem Zeitpunkt strich der damalige RKI-Chef Robert Wieler das Wort "Herdenimmunität" aus seinem Vokabular, wie die Tagesschau berichtete.
Dennoch plädierte Robert Habeck vier Monate später im Bundestag für die allgemeine Impfpflicht, indem er forderte:
Stimmen Sie deswegen für einen Antrag, der die Herdenimmunität in Deutschland hochhält, damit wir das Virus besiegen können.
Robert Habeck
Auf der Suche nach 95 Prozent Impfschutz
Die erlösende Pressemitteilung von Biontech ging am 18. November 2020 um die Welt:
Die Wirksamkeit war über alle Alters- und Geschlechtsgruppen und die gesamte diverse Studienpopulation hin konsistent; der Impfschutz bei Erwachsenen über 65 Jahren lag bei über 94 Prozent.
Biontech, Pressemitteilung
Eine nahezu perfekte Impfung, die Tür und Tor für die Erlösung in Form von Fremdschutz und Herdenimmunität zu garantieren schien. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb ganz in diesem Sinne:
Über die neunzig Prozent Erfolgsquote sollten wir uns aber auch noch aus einem anderen Grund freuen: Wenn der Impfstoff bei fast allen wirkt und sie sich nicht mehr infizieren, dann ist es auch wahrscheinlich, dass die Menschen insgesamt weniger das Virus verbreiten. Die Chancen, die Pandemie zu besiegen, steigen dann beträchtlich.
Und zwar werden die Chancen umso größer, je mehr Menschen sich auch wirklich impfen lassen. Um es auf eine Zahl zu bringen: Ungefähr zwei Drittel müssen geimpft werden, dann sind so viele Menschen immun gegen das Virus, dass das Virus ganz schlechte Karten hat, noch andere Menschen zu finden, in denen es sich weiter vermehren kann. Die Pandemie wird dann gestoppt. "Herdenimmunität" nennt man das.
FAZ
Warum wurde das Ziel dann aber nicht erreicht?
Der Teufel steckt in einem kleinen, aber feinen Detail. Dem Unterschied zwischen Infektion und Erkrankung, wie auf Telepolis dargestellt wurde.
Auch wenn während der Corona-Jahre oft ein positives Testergebnis als eine Erkrankung verstanden wurde, bei der es nur zu unterscheiden galt, ob Symptome existierten oder nicht, wurde aber seit jeher ein fundamentaler Unterschied zwischen Infektion und Erkrankung gemacht.
Die Apotheken-Umschau beschreibt den Unterschied anschaulich:
Nicht jeder mit einem positiven Test wird zwangsläufig krank! Ist jemand infiziert ("angesteckt"), bedeutet das zunächst einmal nur: Das Virus hat es geschafft, in den Körper zu gelangen und sich dort zu vermehren.
In den meisten Fällen erfolgt die Ansteckung über Speicheltröpfchen, die ein Infizierter zum Beispiel beim Husten, Niesen oder Sprechen verbreitet. Sie gelangen über Mund, Nase oder Augen in den Rachen anderer Menschen, wo sie sich vermehren. (…)
Nicht alle, die sich angesteckt haben, werden krank. Bleiben Symptome aus, sprechen Ärzte und Ärztinnen von einer asymptomatischen Infektion.
Apotheken-Rundschau
Die berühmten 95 Prozent beziehen sich auf den Schutz vor Erkrankung, nicht vor Infektion. Von Politik und Medien wurde dies oft – aus welchem Grund auch immer – durcheinander gebracht.
Die Impfung erschien ihnen als Freifahrtschein, weil sie einen 95-prozentigen Schutz und damit auch einen fast perfekten Fremdschutz garantierte, sodass der Rückkehr in ein normales Leben für Geimpfte nichts mehr im Wege zu stehen schien und entsprechend die 3G- bzw. 2G-Regelung getroffen wurde.
Auf der Suche nach dem Fremdschutz
Ein sehr gut nachvollziehbares Ziel der Impfung war der Fremdschutz, also der Schutz, andere Menschen anzustecken. Ganz in diesem Sinne lautete die Impfkampagne der Bundesregierung Anfang des Jahres 2022:
"Impfen hilft. Auch allen, die du liebst"
Und Bundeskanzler Olaf Scholz hob im Januar 2022 auf Twitter eine zentrale Aussage seines Interview mit der Süddeutschen Zeitung hervor:
Wer sich entscheidet, sich nicht impfen zu lassen, trifft die Entscheidung nicht für sich allein. Er entscheidet mit über das Schicksal all derer, die sich deshalb infizieren.
Die Botschaft war deutlich: Impfen ist vor allem ein Akt der Solidarität. Insbesondere für gesunde Menschen, die ein sehr geringes Risiko vor den Folgen einer Infektion haben.
Jörg Phil Friedrich kommentierte die Worte des Bundeskanzlers:
"Ende Januar 2022, eine freie Spekulation ohne jeden wissenschaftlichen Halt – ja, sie widerspricht allen vorliegenden internationalen Erkenntnissen über die Ausbreitung der inzwischen vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus."
Bei "Markus Lanz" betonte der Virologe Hendrik Streeck zur gleichen Zeit:
Ein Fehler in meinen Augen in der Kommunikation war von Anfang an zu sagen: Wir haben einen Schutz vor der Infektion. Es ist ein Fremdschutz, wir kriegen eine Herdenimmunität. Das haben wir ja nicht. Die einzelne Person schützt sich selber, macht was zur Gesundheitsvorsorge.
Hendrik Streeck
Daher lautet seine Konsequenz: "Wir können die Pandemie nicht wegimpfen."
In einer Diskussionsrunde bei der Welt wurde er noch eindeutiger:
"Es ist eben ein reiner Eigenschutz und kein Fremdschutz. Wir erreichen keine Herdenimmunität damit."
Fehlende Untersuchung
Besonders pikant jedoch: Der Impfstoff wurde niemals darauf getestet, ob er den viel beschworenen Fremdschutz überhaupt erreichen kann. Im Gutachten der Ema zum Antrag von Biontech auf Notfallzulassung vom 19. Februar 2021 heißt es explizit:
Derzeit ist nicht bekannt, ob der Impfstoff vor asymptomatischen Infektionen schützt und wie er sich auf die Virusübertragung auswirkt. Die Dauer des Schutzes ist nicht bekannt.
Ema-Gutachten, S. 97
Und:
Die Zulassungsstudie war nicht darauf ausgelegt, die Wirkung des Impfstoffs gegen die Übertragung von Sars-CoV-2 bei Personen zu bewerten, die nach der Impfung infiziert sind. Die Wirksamkeit des Impfstoffs bei der Verhinderung der Sars-CoV-2-Ausscheidung und -Übertragung, insbesondere bei Personen mit asymptomatischer Infektion, kann erst nach der Zulassung in epidemiologischen oder spezifischen klinischen Studien bewertet werden.
Ema-Gutachten, S. 132
Auf eine damalige Nachfrage von Telepolis schrieb Biontech, dass die Studie auf die Beurteilung der Wirksamkeit zum Schutz vor Erkrankung, nicht aber vor einer asymptomatischen Infektion angelegt war. Eine transparente Untersuchung müsste dringend aufklären, weshalb oftmals der Eindruck erweckt wurde, die Impfung diene dem Fremdschutz.
Die 2G-Regelung
Die sogenannte 2G-Regelung wurde in den verschiedenen Bundesländern im Verlauf des Winters 2021/22 eingeführt. Dabei wurde der Zutritt zu Gastronomie, Kultureinrichtungen, Freizeiteinrichtungen etc. nur Menschen gestattet, die offiziell als Geimpfte oder Genesene galten (der Status war bekanntermaßen von einer beschränkten Dauer).
Ein negativer Test reichte als Eintritt nicht mehr aus. Es war gewissermaßen ein "Lockdown für Ungeimpfte". Die Ausweitung der 2G-Regel sei ein "Beitrag zur Normalisierung des öffentlichen Lebens" erklärte etwa der Ministerpräsident Niedersachsens Stephan Weil in seiner Regierungserklärung.
Vollständig geimpfte Menschen hätten das Anrecht, "ihr altes Leben" wieder "uneingeschränkt" führen zu können. Erwachsene, die sich gegen eine Schutzimpfung entschieden, müssten hingegen "für die Folgen ihrer Entscheidung einstehen".
Die zugrunde liegende Überzeugung: Die Impfung verschaffe in hohem Maße einen Fremdschutz. Karl Lauterbach war sich im November 2021 sicher:
2G ist die einzig wirksame Maßnahme gegen die Corona-Pandemie. (…) Ohne den Mut, ganz drastisch und auch mit harten Kontrollen flächendeckend 2G einzuführen, werden wir diese Welle nicht in den Griff bekommen.
Der FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki stellte im Januar dieses Jahres die Frage, ob "die Bundesregierung im Angesicht der jüngsten Äußerungen an der Feststellung festhält, dass die Einführung der 2G-Regel in der Corona-Pandemie eine wirksame Maßnahme war, und wenn ja, warum?"
Die Antwort beinhaltete jedoch nur indirekt einen Bezug auf die zu kontrollierende Welle:
"Eine Überlastung des Gesundheitssystems konnte während der Gültigkeit der Regelung insgesamt verhindert werden."
Kubicki hält dies für eine "Unverschämtheit", denn:
"Eine Überlastung des Gesundheitssystems hat es auch sonst zu keinem Zeitpunkt der Pandemie gegeben."
Womit wir wieder beim Thema Datenerhebung sind. Waren die Krankenhäuser jemals bedroht? Wenn nein, warum wurde es so kommuniziert und grundrechtseinschränkende Maßnahmen durchgeführt, die hierdurch begründet wurden?
Wenn die Krankenhäuser tatsächlich bedroht waren, wann genau war dies der Fall und was tat die Regierung konkret, um die Belastungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu verbessern?
Und wenn massiv grundrechtseinschränkende Maßnahmen erlassen wurden, um das Gesundheitssystem zu schützen, inwiefern öffnet das Tür und Tor andere selbstschädigende Verhaltensweisen zu verbieten (Rauchen, Alkohol) und gesundheitsfördernde Verhaltensweisen zu erzwingen (Sport etc.)?
Und nicht zuletzt sollte man da nicht an einen zentralen Aspekt der Corona-Jahre erinnern:
Es gibt eine bittere, aber zentrale Wahrheit der Pandemie, die bei der Aufarbeitung oft in Vergessenheit gerät. Hätte es in den Kliniken mehr Pflegepersonal gegeben, wären weniger Betten gesperrt worden, etwa auf der Intensivstation, dann hätten mehr Patienten aufgenommen können. Und das Gesundheitssystem insgesamt wäre funktionstüchtiger gewesen.
Welt
Eine Frage drängt sich auf: Was ist bis heute – gut vier Jahre später – eigentlich geschehen, um das Gesundheitssystem in Deutschland krisenfest zu machen?
Aber zurück zur Antwort des BMG: Der Epidemiologe Klaus Stöhr kritisierte diese scharf:
Sowohl Bundesgesundheitsministerium als auch Ministerpräsidenten der Länder haben offenbar nie verstanden, dass man mit einer Impfung niemals die SARS-CoV-2 Ausscheidung und Infektion verhindern kann. (…) Das Bundesgesundheitsministerium gesteht hier mit anderen Worten ein, dass es eine Impfung als Kontaktreduktion bewertet und das auch noch für wirksam, notwendig und verhältnismäßig hält.
Klaus Stöhr
Der erste, der ein anderes, vielleicht plausibleres Motiv für 2G an die Öffentlichkeit brachte, war RKI-Chef Lothar Wieler. Ziel der 2G-Maßnahme sei es, die Impfquote zu erhöhen, sagte Wieler im November 2021 der Apotheken Umschau:
Einen großen Teil der rund 16 Millionen Menschen ab 12 Jahren könnte man so überzeugen. Die, die sich nicht impfen lassen, müssten sich dann zunehmend entscheiden, ob sie vom öffentlichen Leben ausgeschlossen bleiben wollen. Es kann doch nicht sein, dass die Ungeimpften das Leben von Geimpften in einem solchen Maße beeinflussen, wie das momentan der Fall ist.
Lothar Wieler
Kubicki hierauf:
"Es ging darum, den sozialen Druck zu erhöhen. Medizinische oder infektiologische Gründe hat es für diese Maßnahme wahrscheinlich gar nicht gegeben."
Unsicherheit: Ausmaß der Impfnebenwirkungen
Die Frage nach der Grundlage für die massiv Grundrechte einschränkenden Maßnahmen ist im Hinblick auf die möglichen Nebenwirkungen der Impfungen von besonderer Bedeutung. Nicht zuletzt, weil es sich durchaus schwierig gestaltet offizielle Zahlen zu diesem Thema zu erhalten, wie an anderer Stelle hier bereits ausgeführt wurde.
Dass sich die Äußerung von Karl Lauterbach, die Impfung sei nebenwirkungsfrei, nicht halten lässt, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Wie häufig es aber tatsächlich zu Nebenwirkungen gekommen ist, bleibt eines der weiterhin umstrittensten Themen, insbesondere weil hier die notwendige Transparenz fehlt.
Die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle und der Kardiologe Christian Eick aus Rottenburg erheben im SWR "den alarmierenden Vorwurf: Die Politik habe offenbar kein Interesse daran, die Impfrisiken transparent zu machen. Sie weigere sich, entsprechende Daten zu erheben – obwohl das möglich wäre. Ein Vorwurf, mit dem sie nicht allein sind".
Der Hintergrund, so berichtet der SWR: Die Meldekette funktioniere nicht. Der einfache Grund: Das Ausfüllen der entsprechenden Formulare dauere so lange, dass die meisten Ärzte weder Zeit noch Lust hätten. Etwa 20 Minuten müsse man rechnen, meine Christian Eick, der nach eigenen Angaben selbst viele Meldungen gemacht habe.
Während also Ärzte für das Impfen eine Aufwandsentschädigung erhielten, war die Erklärung der Nebenwirkung: unbezahlte Arbeit. Aufgrund der Zweifel, inwiefern der Verdacht auf Nebenwirkungen in einem ausreichenden Maße gemeldet wurde, sind die offiziellen Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts wahrscheinlich mit Vorsicht zu genießen.
Der letzte Sicherheitsbericht, der den Zeitraum bis Ende März 2023 umfasst, spricht von 0,28 Verdachtsfällen schwerer Impfnebenwirkungen auf 1.000 Impfdosen von Biontech.
Inwiefern daraus folgt, dass die Wahrscheinlichkeit des Verdachts einer schweren Nebenwirkung bei vierfach Geimpften bei einem Promille liegt, ist bisher eine – nach dem Wissensstand des Autors – wichtige, aber nicht beantwortete Frage.
Wie Karl Lauterbach aber zu der Überzeugung gelangt, schwere Nebenwirkungen würden in der Größenordnung von "weniger als 1 auf 10.000 Impfungen" (siehe 01:50) auftreten, bleibt ein Geheimnis.
Zahlen aus den USA
Einen Hinweis über die Häufigkeit der Nebenwirkungen bietet nun eine aktuelle Studie, die vom US-Gesundheitsministerium und dem Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Auftrag gegeben wurde.
Sie wertete die Daten von mehr als 99 Millionen geimpften Menschen aus und erschien vor wenigen Wochen. Die Studie ist eine konservative Schätzung der Impf-Nebenwirkungen.
Beispielsweise wurden Schlaganfälle als mögliche Nebenwirkung der Impfung nicht erfasst. Zudem wurden nur der relativ kurze Zeitraum von sechs Wochen nach der Impfung berücksichtigt.
Im Ergebnis haben Geimpfte je nach Impfstoff und Dosis
* ein um die Faktoren 2,01 bis 6,1 erhöhtes Risiko, an Myokarditis (Herzmuskelentzündung) zu erkranken.
* ein um die Faktoren 1,74 bis 6,91 erhöhtes Risiko an Perikarditis zu erkranken (Eine Entzündung des Beutels, der das Herz schützt)
* ein bei Moderna um den Faktor 3,78 erhöhtes Risiko an disseminierter Enzephalomyelitis zu erkranken. (Diese führt zu einer Schwellung des Gehirns und des Rückenmarks)
* ein bei AstraZeneca um den Faktor 3,23 erhöhtes Risiko an einer zerebralen Sinusvenenthrombose zu erkranken (diese führt zu einer Minderdurchblutung des Gehirns)
* ein bei AstraZeneca um den Faktor 2,49 erhöhtes Risiko an der Autoimmunerkrankung Guillain-Barré-Syndrom zu erkranken.
An dieser Frage stellt sich zwingend die Frage: Die Bevölkerung hat zu einem sehr großen Anteil den offiziellen Aussagen und Daten vertraut.
Aber hat die deutsche Politik alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Nebenwirkungen des Impfstoffs, der eine Notfallzulassung erhalten hatte, möglichst exakt und objektiv feststellen zu können und damit dem Vertrauen der Bürger gerecht zu werden?
Exkurs: Übersterblichkeit
In Deutschland ist in den Jahren 2021 und 2022 eine deutliche Übersterblichkeit zu verzeichnen, wie hier an anderer Stelle bereits ausführlich berichtet wurde 4289919
Die Frage, wie die 115.000 – 163.000 Todesfälle, dieser beiden Jahre, die statistisch nicht zu erwarten waren, zu erklären sind, ist nach wie vor nicht beantwortet. Wie Urs Garsche auf Infosperber feststellt, ist das Problem der Übersterblichkeit auch im Jahr 2023 noch ein Thema:
"In fast allen westlichen Ländern starben im letzten Jahr deutlich mehr Menschen, als statistisch erwartet wurde: In den USA und in Europa jeweils über 200.000 Menschen mehr, in Deutschland etwa 70.000 mehr (...) als erwartet. Das geht aus der Übersterblichkeits-Statistik der OECD hervor. Prozentual starben in Deutschland 7,7 Prozent mehr Menschen als erwartet, in der Schweiz vier Prozent mehr und in den USA 7,8 Prozent. Diese Zahlen sind für die ersten 44 Wochen des letzten Jahres ausgewiesen. Die OECD macht darauf aufmerksam, dass die zuletzt erfassten Wochen wahrscheinlich noch nicht alle Todesfälle enthalten."
Es muss an dieser Stelle ausdrücklich betont werden, dass es keinen zwingenden Beleg dafür gibt, die Corona-Maßnahmen seien ein oder gar der Grund der Übersterblichkeit.
Da allerdings zumindest die Vermutung besteht, es könnte ein Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und der Übersterblichkeit bestehen, sollte die Frage nach den Ursachen der vielen Toten zwingend Teil einer transparenten Untersuchung sein.
Nicht zuletzt, um Klarheit zu erhalten. Sollte das bisher nicht erklärte Sterben von etwa 200.000 Menschen nicht Grund genug sein, dass eine wissenschaftlich transparente Untersuchung umgehend eingesetzt wird?
Christof Kuhbandner, Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Regensburg, und Matthias Reitzner, ein Mathematik-Professor aus Osnabrück, haben gemeinsam eine viel diskutierte peer-reviewte Studie über die Übersterblichkeit der Jahre 2021 und 2022 in Deutschland geschrieben.
Ihrem Wunsch nach transparenter Aufklärung ist zuzustimmen:
Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Ursachen der Übersterblichkeit müssen ermittelt werden. Und dabei müssen alle möglichen Erklärungen wirklich wissenschaftlich valide geprüft werden, anstatt durch das Vorbringen von nicht stichhaltigen Erklärungen von möglichen Erklärungen abzulenken, welche mit unliebsamen Konsequenzen verbunden wären.
Kuhbandner und Reitzner
Ebenso sollte auch der drastische Anstieg von Einsätzen wegen Herzproblemen und Schlaganfall-Symptomen in Berlin untersucht werden.
Auch hier darf man nicht aus plötzlich auftretenden massiven Gesundheitsproblemen auf die Impfung als eine oder die Ursache schließen, aber sollte nicht das Auftreten eines solch gravierenden gesundheitlichen Problems Grund genug sein, dass die Ursachen hierfür untersucht und benannt werden?
Fragen an den Rechtsstaat
Es stellt sich die Frage, wie aus heutiger Sicht die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen – nicht zuletzt gegen Ungeimpfte - bewertet werden müssen und wie es zu diesen Entscheidungen gekommen ist, obwohl vieles darauf hindeutet, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt keine ausreichende Faktenbasis hierfür gegeben war, um diese tiefgreifenden Entscheidungen wie 2G zu rechtfertigen, die die größten Eingriffe in die Grundrechte der Deutschen seit Staatsgründung darstellen.
Dabei gilt zu berücksichtigen, was der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier zu Bedenken gibt:
Es steht völlig außer Zweifel, dass die Grundrechte des Grundgesetzes auch in Zeiten von Notlagen gelten müssen. Unsere verfassungsmäßige Ordnung kennt keine Notstandsverfassung, die eine völlige oder auch nur partielle Suspendierung der Grundrechte gestattet.
Hans-Jürgen Papier
Nutzen und Risiko der Impfung
Lisa Federle beanstandet, "die Bundesregierung habe bis heute keine Daten vorgelegt, anhand derer man Nutzen und Risiko einer Impfung tatsächlich abschätzen könne. Dabei wäre das aus ihrer Sicht längst möglich gewesen".
Eine transparente Untersuchung muss das Ziel haben, auch die Frage nach dem Ausmaß der Nebenwirkungen, insbesondere der schweren und tödlichen, möglichst genau beantworten zu können und Schritte zu unternehmen, um die Datenerfassung deutlich zu verbessern.
Angesichts des aktuellen Wissensstandes, dass die Impfung keine Herdenimmunität erreicht, einen deutlich begrenzten Fremdschutz gewährt, man nicht von einer "Pandemie der Ungeimpften" sprechen kann, liegt der Schluss nahe, dass die Impfung eine persönliche Entscheidung ist, die jedem Menschen zubilligt, für sich selbst Nutzen und Risiko abzuwägen und sich entsprechend zu entscheiden.
Dies war in Deutschland jedoch nicht der Fall. Die Gründe hierfür sollten daher unbedingt untersucht werden.
Sozialer Druck, Ausgrenzung und Diffamierung scheinen aus heutiger Sicht eine nicht zu rechtfertigende Verhaltensweise zu sein. Dies ist ein Fokus des dritten und letzten Teils der Artikelserie, ebenso wie die Notwendigkeit einer juristischen Aufarbeitung.