Vertrauensverlust und vertrauensbildende Maßnahmen
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Corona-Krise: Die Spaltung der Gesellschaft ist gefährlich. Vertrauensverlust in die politische Führung und das Ausbleiben vertrauensbildender Maßnahmen bilden einen Teil der Erklärung (Teil 4)
Der erste Teil der Artikelserie konstatierte eine besorgniserregende Spaltung der Gesellschaft, die teilweise auch von Politik und Medien aktiv gefordert wird. Der zweite Teil beschäftigte sich mit der Gefahr eines eindimensionalen Narrativs und der nach wie vor erstaunlich unsicheren Datenlage. Der dritte Teil thematisierte eine Reihe von ausgebliebenen Maßnahmen und Fehlern, die es – nicht zuletzt - schwer nachvollziehbar machen, wie die anvisierte allgemeine Impfpflicht der Voraussetzung gerecht werden kann, dass sie das "absolut letzte Mittel" (WHO) sei.
Die unterlassenen Maßnahmen und Fehler, die in den ersten drei Teilen der Artikelserie aufgeführt worden sind, erheben keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Angesichts der komplexen Krise, die seit fast zwei Jahren die Welt mehr oder minder beherrscht, ist es sicherlich verwegen und unangemessen von der Regierung eine fehlerlose Politik zu erwarten.
Ebenso sollte es aber auch von der politischen Führung erwartet werden können, selbst möglichst viele Fehler zu bestimmen und zu korrigieren sowie wichtige Maßnahmen, die unterblieben sind, möglichst rasch einzuführen. Dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein, bevor der Fokus der Politik einzig auf eine Maßnahme gerichtet wird, die nur mittelfristig Wirkung zeigen kann, das Problem nur bedingt behebt und zu einer fundamentalen und langanhaltenden Spaltung der Gesellschaft führt: die allgemeine Impfpflicht. Eine solche Politik führt zu einem Verlust des Vertrauens in die Regierung, in den Staat und in die Maßnahmen.
Überzeugung nicht Zwang
In Deutschland herrschte lange Zeit eine klare Meinung vor. So betonte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor einem Jahr: "Wir setzen auf Argumente, auf Information und Vertrauen in den Impfstoff". Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel argumentierte ähnlich und forderte Werbung für die Impfung statt Zwang.
Auch der Chef der Stiko, Thomas Mertens, unterstrich, er befürworte Überzeugung, nicht Zwang. Ähnliches war auch wiederholt in den Kommentaren der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen zu hören (hier oder hier)
Die Ablehnung von Zwang und die Fokussierung auf die Überzeugung der Nicht-Überzeugten, die in Deutschland weit verbreiteter Konsens war, stand auch auf wissenschaftlichen Füßen. So hatte bereits 2019 der Ethikrat eine Studie über eine Impfpflicht bei Masern verfasst und davor gewarnt, "dass bereits die Androhung von Zwang das Vertrauen in Impfungen und die Bereitschaft zur freiwilligen Impfung senkte".
Aus heutiger Sicht erscheint die Schlussfolgerung besonders erwähnenswert: "Die Einführung einer De-facto-Impfpflicht wäre in Deutschland medizinisch ineffektiv, juristisch problematisch und soziologisch wahrscheinlich kontraproduktiv, was einen so tiefen Eingriff in fundamentale Grundrechte nicht legitimierbar macht."
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine aktuelle Studie der Universität Konstanz. Aufschlussreich eine Erkenntnis der Studie: "Wer dem Staat misstraut, mag sich nicht zum Impfen zwingen lassen."
Konsequent auf Überzeugung der Argumente zu setzen, erscheint also in jeder Hinsicht der richtige Weg zu sein: Denn mithilfe von Transparenz und Argumenten schafft die Regierung Vertrauen in die eigene Maßnahme, es werden mehr Menschen von der Impfung überzeugt und eine Spaltung der Gesellschaft verhindert.
Wortbruch
Vertrauen hat die Regierung (die alte sowie die neue) aber beim Thema der allgemeinen Impfpflicht verspielt. Lenz Jacobsen spricht in "Die Zeit" vom "eklatantesten Wortbruch in der jüngeren Geschichte der deutschen Politik". Wie er ausführlich darlegt, wurde das Versprechen x-mal wiederholt.
Schon am 16. Mai 2020 sagte der Kanzleramtsminister und Mediziner Helge Braun auf die Frage, ob es eine Impfpflicht geben werde: "Nein. Diese Diskussion verstehe ich nicht."
Kein Konjunktiv, kein "hoffentlich", kein "ich glaube" – sondern eine definitive und verbindliche Garantie. Im Februar 2021 und noch mal im Juli sagte Brauns Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, in Interviews, dass man "zugesagt" habe, dass es keine Impfpflicht geben werde. Gesundheitsminister Jens Spahn ließ sogar ein Sharepic für Facebook basteln mit diesem Versprechen, in das auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder einstimmte.
SPD-Corona-Experte Karl Lauterbach erklärte, die Impfung sei entweder gut und würde dann auch freiwillig angenommen, oder sie sei einfach zu schlecht. Eine Impfpflicht sei "daher nie sinnvoll". Und der CDU-Altvordere und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erklärte kategorisch: "Eine Impfpflicht wird es nicht geben. Das will niemand, der Verantwortung trägt."
Jacobsen stellt daher die Frage: "Es war ein offensichtlich falsches Versprechen des Staates an seine Bürgerinnen und Bürger. Müsste nicht jetzt jemand Verantwortung dafür übernehmen, um den dadurch angerichteten Schaden, um den Vertrauensverlust in die Politik zumindest zu begrenzen?"
Bis heute ist dies nicht geschehen. So verliert die Politik sehenden Auges Vertrauen. Aber gerade in einer Krise, die die Gesundheit jedes einzelnen Menschen betrifft, ist Vertrauen von wesentlicher Bedeutung. Misstrauen und Spaltung ein in jeder Hinsicht besorgniserregendes Resultat.
Transparenz
Es gibt eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen, die die Regierung unternehmen könnte, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen bzw. zu erhöhen. Zuvorderst ist hier natürlich die Forderung nach einer größtmöglichen Transparenz zu nennen. Transparenz der Regierung ist eine wichtige Grundbedingung von Vertrauen. Transparenz ist gerade im Hinblick auf die Datensicherheit in möglichst hohem Maß erforderlich. Doch wie verhält es sich mit der Datensicherheit und der Transparenz in Deutschland?
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit bezeichnet die Datenerhebung in Deutschland als "Datenerhebungskatastrophe". Der Medizinstatistiker Gert Antes, der sich seit April 2020 vehement für die Notwendigkeit möglichst stabiler Daten stark macht und immer wieder vor einem kontinuierlichen Blindflug warnt, erklärte angesprochen auf die Datenqualität des RKI, ein Student in der Universität müsste bei dieser Qualität vermutlich das Seminar noch einmal wiederholen.
Transparenz ist rund 22 Monate nach Beginn der Krise auch in anderer Hinsicht ein massives Problem. In Deutschland sind Zahlen zu den Genesen so gut wie nicht vorhanden, da nicht sie bisher kaum erhoben werden. Entsprechend kann man wenig über die Wahrscheinlichkeit einer Refinfektion sagen, über deren Schwere oder über die Wahrscheinlichkeit schwerer Impfnebenwirkungen.
Das Divi veröffentlicht weiterhin nicht die Daten zum Impfstatus von Intensivpatienten in Deutschland. Und das RKI erklärt auf Anfrage von Telepolis, dass es beim vorletzten Wochenbericht, der überraschenderweise darauf hindeutete, dass sich nur etwa fünf Prozent der Ungeimpften mit Omikron infizierten, leider zu einem Tippfehler gekommen sei: "statt 186 sind es 1.097 ungeimpfte Personen mit Omikron-Infektion".
Auf Anfrage des Welt-Journalisten Tim Röhn, wie hoch der Anteil der Erstgeimpften an den Omikron-Infizierten sei, vermochte das RKI keine Daten zu nennen. Und die Stadt Hamburg, die vor kurzem dadurch aufgefallen war, dass sie schlicht Covid-Patienten, deren Impfstatus unbekannt war, als ungeimpft katalogisierte, vermag ihrem Versprechen, bis Ende des Jahres 2021 die bereinigten Zahlen von geimpften und ungeimpften Infizierten zu beziffern, nicht nachzukommen.
Ähnliches lässt sich aus Bayern berichten. Aufgrund der wiederholt deutlich überhöhten Inzidenzen für Ungeimpfte, die der bayerische Ministerpräsident Markus Söder genannt hatte, kommentierte Die Welt: "Die Obrigkeit will offenbar ihr Herrschaftswissen behalten. Im Kampf gegen Corona versagt der Staat in der Kommunikation. Statistiken werden unverständlich aufbereitet oder gar zurückgehalten. Das geschieht offenbar bewusst: Die Bürger sollen die Fakten gar nicht kennen, um nicht eigene Rückschlüsse zu ziehen."
Konsequenz: Fast 60 Prozent der Deutschen vertrauen den Zahlen des RKI nicht mehr.
Leider passt es da auch ins wenig vertrauenserweckende Bild, dass der Betrugsverdacht in deutschen Krankenhäusern weiterhin unaufgeklärt bleibt, wie der MDR berichtete:
In der Pandemie hat die Politik die Krankenhäuser mit Milliarden Euro subventioniert. 10,2 Milliarden Euro flossen an sogenannten Ausgleichszahlungen, 686 Millionen Euro für neue Intensivbetten. Doch bis heute ist nicht geklärt, ob zu Recht. Der Bundesrechnungshof legte im Juni sogar einen Bericht vor, in dem er den Betrugsverdacht nährte. Divi-Gate – so wird der Verdacht seither genannt. Die Aufklärung kommt nicht voran.
MDR
So entsteht kein Vertrauen in die Regierung, sondern Misstrauen.