Vertrauensverlust und vertrauensbildende Maßnahmen

Seite 4: Jede Krise ist eine Chance!

Auch die Corona-Krise scheint nach dem Gesetz aller Krisen im Kapitalismus zu laufen, die der Wirtschaftshistoriker Philip Mirowski so treffend mit dem Titel seines Buches beschrieb "Never Let A Serious Crisis Go to Waste".

Dass dies gerade auch nach der Finanzkrise 2008 auf ein gerütteltes Maß an Grundmisstrauen trifft, insbesondere weil der Staat einmal mehr dem unbegrenzten Gewinnstreben keine Grenzen aufzeigt, bedarf keiner soziologischen Feldstudie.

Eine sensible Politik, die die Gefahr eine Vertiefung des Spalts der Gesellschaft verhindern will, sollte und muss dies berücksichtigen, um das notwendige Fingerspitzengefühl entwickeln zu können.

Eine ungewöhnliche Begründung

Ein aktuelles Beispiel belegt leider, dass vertrauensbildende Maßnahmen nicht sehr weit oben auf der Tagesordnung der neuen Regierung steht. Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich noch vor einigen Monaten sich explizit gegen eine Impfpflicht ausgesprochen: "Das ist tatsächlich die Entscheidung eines jeden Einzelnen, eine freie Entscheidung, welches Risiko er hier trägt. Es kann auch von anderen nicht verlangt werden, dass ein Mensch so sicher lebt, dass er andere wiederum gar nicht gefährdet."

Seit wenigen Wochen hat er eine Kehrwendung vollzogen und vor wenigen Tagen seine Erklärung abgegeben, warum es gerade angesichts von Omikron dringend angeraten ist, möglichst schnell eine allgemeine Impfpflicht (auch ohne Impfregister) durchzusetzen: "Wir können nicht darauf warten, dass eine Impfpflicht überflüssig wird, weil wir eine sehr hohe Durchseuchung der Bevölkerung haben. Omikron als schmutzige Impfung ist keine Alternative zur Impfpflicht. Das wäre sehr gefährlich."

Die Argumentation ist erstaunlich. So sehr man das Argument noch nachvollziehen kann, dass Omikron zu gefährlich sei, als dass man dem Virus eine Durchseuchung der Bevölkerung erlauben könne, da dies mit auch mit schweren Erkrankungen und Todesverläufen einhergeht, so absurd erscheint das Vorhaben. Denn eine allgemeine Impfpflicht würde erst dann Wirkung zeigen, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach die Omikron-Welle deutlich ihren Höhepunkt überschritten hätte. In Südafrika hat dies gerade knapp vier Wochen gedauert.

Von Überzeugung und vertrauensbildenden Maßnahmen keine Spur mehr. Es scheint die Zeit der Hauruck-Methode gekommen.

Überraschende Diskussion

Überzeugender und vertrauensbildender wäre es, statt auf Lauterbachs Drängen auf die Argumente des Virologen Hendrik Streeck einzugehen, der sich im Interview mit n-tv kritisch äußerte:

Ich sehe das sehr skeptisch, dass man jetzt anfängt, auch schon über eine vierte Impfung zu reden. Im Grunde können wir nicht mit einem Impfstoff arbeiten, der alle sechs Monate gegeben wird, weil wir dann uns eingestehen müssen, dass der Impfstoff nicht gut funktioniert Und man müsste noch mal zurück quasi ins Labor gehen und bessere Impfstoffe finden. Ich finde da auch die Diskussion um die Impfpflicht etwas überraschend.

Bei einem Impfstoff, wo wir weder die Schutzdauer, die Schutzwirkung oder aber auch sagen können, welche Varianten im Moment abgedeckt werden von einem Impfstoff oder nicht und wie oft der angepasst werden wird. Dahingehend kann man ja gar keine guten Empfehlungen aussprechen, die langfristig sind.

Anders verhält es sich bei Impfstoffen wie gegen Masern oder damals Pocken, wo wir eine Impfpflicht hatten. Wo wir aber auch entweder das Virus ausrotten konnten oder potenziell das Virus mit ausrotten können. Wo wir eben einen dauerhaften Schutz haben und auch eine sterile Immunität, also einen Schutz vor der Infektion.

Hendrik Streeck

Das erste Studienergebnis in Israel zur vierten Impfdosis, wo seit Ende Dezember die neue Boosterungs-Runde gestartet wurde und das aktuell von Deutschland bei stark steigenden Infektionszahlen und Krankenhauseinlieferungen als Hochrisikogebiet eingestuft wird, ist eher enttäuschend, wie Die Welt" zusammenfasst:

Wir sehen einen bestimmten Anstieg der Antikörper, aber der Anstieg ist nicht sehr beeindruckend", sagte Professor Gili Regev der israelischen Nachrichtenseite "ynet" am Mittwoch zu vorläufigen Ergebnissen der Studie. Man sei kurz nach der vierten Impfung wieder auf demselben Antikörper-Stand wie kurz nach der dritten, sagte Regev. Sie habe sich von einer zweiten Booster-Impfung mehr erhofft. Es könne nicht das Ziel sein, sich etwa alle vier Monate erneut gegen das Coronavirus impfen zu lassen.

Die Welt

Weltmeister

Nach Berechnungen der Universität Oxford hat Deutschland weltweit die striktesten Corona-Maßnahmen. Inwiefern man stolz auf diesen Titel sein kann, auch wenn die deutschen Infektions-, Krankenhaus- und Todeszahlen kaum rechtfertigen, weshalb hierzulande die härtesten Maßnahmen gleichsam alternativlos sein sollen.

Im Gegenteil deutet sehr viel darauf hin, dass eine offene Diskussion über Alternativen Vertrauen zurückgewinnen könnte. Beispielsweise schlägt Detlev Krüger vor, der 27 Jahre lang die Berliner Charité geleitet hat, endlich dem Wohl von Kindern und Jugendlichen eine hohe Priorität einzuräumen und Quarantäneregeln an Schulen stark einzuschränken und die Massentestungen zu stoppen.

Angesichts der erschreckend hohen Zahl versuchter Selbstmorde bei Kindern in Deutschland und der Überlastung von Kinder- und Jugendpsychiatrien, die bereits im Mai gemeldet wurde, ein wichtiger Vorschlag. Über diesen könnte man doch mal offen und transparent diskutieren. Gleichsam als Übung.

Wenn sich die Regierung dann noch den vielen Beispielen fehlender Transparenz und vertrauensbildenden Maßnahmen annimmt, die bisher noch nicht durchgeführt wurden, wäre das ein wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung. Denn wie lautete eine Erkenntnis der Studie der Universität Konstanz? "Wer dem Staat misstraut, mag sich nicht zum Impfen zwingen lassen."

Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen sind in jeder Hinsicht zielführender und gesellschaftlich gesünder als eine allgemeine Impfpflicht.

Im fünften und letzten Teil der Artikelserie wird die Spaltung der Gesellschaft thematisiert.