Corona-Jahr 2020: "Untersterblichkeit" in Deutschland
- Corona-Jahr 2020: "Untersterblichkeit" in Deutschland
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Studie ermittelt höhere Sterblichkeit für Spanien und Schweden. Wie kann man zu einer gesünderen Gesellschaft kommen?
Es ist Herbst. Kälteres und nasseres Wetter erleichtert den Erkältungsviren die Verbreitung. Wie erwartet steigt nun auch wieder die Anzahl der positiven Coronatests.
Laut Zahlen des RKI sind nun ziemlich genau zwei Drittel der Deutschen vollständig geimpft. Zusätzlich wurden rund 1,5 Millionen Auffrischungsimpfungen vergeben.
Allerdings zeigt ein Vergleich nach Bundesländern deutliche Unterschiede: Im Nordwesten (sowie Berlin und dem Saarland) ist die Impfquote mit 66 bis 76 Prozent besonders hoch. Im Südosten liegt sie jedoch zwischen 56 und 64 Prozent.
Während auf Bundesebene diskutiert wird, die "pandemische Lage" auslaufen zu lassen, streitet man sich andernorts darüber, ob 2G- oder 3G-Maßnahmen für Veranstaltungen besser geeignet sind. Mit anderen Worten: Werden auch Menschen, die weder geimpft, noch als genesen registriert sind, mit einem negativen Testergebnis zugelassen?
Sterblichkeit im Corona-Jahr 2020
In diesem Klima mit seinen weiterhin offenen Fragen und Unsicherheiten berichtete nun die Universität Duisburg-Essen (Motto: "Offen im Denken") von einer Studie aus dem eigenen Haus: Mediziner um Priv.-Doz. Dr. Dr. Bernd Kowall vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie am Universitätsklinikum Essen haben die Sterbezahlen Deutschlands im Jahr 2020 mit denen Spaniens und Schwedens verglichen (vgl. Studie: 2020 sind weniger Menschen in Deutschland gestorben).
Spanien wurde von der Pandemie besonders hart getroffen. Schweden begegnete ihr bekanntermaßen mit vergleichsweise leichten Regeln: Hier setzte man anfangs auf ein möglichst schnelles Erreichen der "Herdenimmunität".
Die Studie der Essener Mediziner wurde extern begutachtet und ist online erschienen. Ein besonderer Clou besteht darin, auch Trends in der Altersentwicklung und Lebenserwartung der Bevölkerung mitzuberücksichtigen.
Bei den Todesursachen streitet man sich darum, ob jemand "an" oder "mit" dem Coronavirus gestorben ist. Auch wenn wir gerne die Ursache benennen wollen, kommen im echten Leben oft mehrere Faktoren zusammen. Diese Schwierigkeit umgeht die neue Studie, indem sie schlicht die Sterbezahlen von 2020 mit den Vorjahren 2016 bis 2019 vergleicht.
Untersterblichkeit in Deutschland
Das Ergebnis dürfte viele überraschen: Wenn man die zunehmende Alterung der Gesellschaft berücksichtigt, sind in Deutschland im Jahr 2020 2,4 Prozent weniger Menschen gestorben, als man es aufgrund der Vorjahre erwartet hätte. Anders so in Schweden und Spanien: Hier ließ sich eine Übersterblichkeit von rund 3 beziehungsweise 15 Prozent feststellen.
Diese Untersterblichkeit könnte laut den Medizinern damit zu tun haben, dass aufgrund der Coronamaßnahmen vom März bis Juni 2020 18 Prozent weniger Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen. Auch seien in den beiden Wintern kaum Menschen an der saisonalen Grippe gestorben. Und von denen, die 2020 an oder mit Corona gestorben sind, hätten viele das Jahr ohne die Virusinfektion aufgrund anderer Erkrankungen wahrscheinlich nicht überlebt.
Für die anderen Länder verweisen Kowall und Kollegen auf die wissenschaftliche Fachdiskussion: In Schweden habe man wohl die Möglichkeit der Pflegeheime überschätzt, angemessen auf die Pandemie zu reagieren. In Spanien habe ein großer Mangel an Ärzten, Pflegepersonal, Test- und Schutzausrüstung zu einer schlechten Ausgangslage geführt.
Unterm Strich ist Deutschland damit vergleichsweise gut durch die Coronapandemie gekommen. Im Jahr 2020 hat sich die Lebenserwartung in der Bevölkerung laut der Studie weder nennenswert verbessert, noch verschlechtert. Und das trotz der schwersten Pandemie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs!
Gesellschaftliche Interpretation
Demnach scheint das Coronavirus in Deutschland auf ein relativ gut funktionierendes Gesundheitssystem gestoßen zu sein. Das lag zu einem wesentlichen Teil natürlich am harten Einsatz der Menschen in den Pflege- und Heilberufen. Dafür noch einmal: Hut ab! Dazu kamen Schutzmaßnahmen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Im Einzelfall kann man natürlich darüber streiten, welche Maßnahmen wirklich nötig waren. Die Bundesländer haben mitunter verschiedene Wege gewählt. So sieht es das föderale System vor. Zudem haben Gerichte korrigierend eingegriffen, wenn Verbote zu weit gefasst oder nicht gut genug begründet waren.
Nun wurde beispielsweise in den Tagesthemen vom 22.10. mit dem Musiker Clueso darüber gesprochen, ob bei Kulturveranstaltungen 3G- oder die strengeren 2G-Regeln gelten sollten. Reicht es, ein negatives Testergebnis vorzuweisen?
Doch welchen Sinn hat diese Diskussion? Erstens wissen wir inzwischen, dass auch geimpfte und genesene Menschen das Coronavirus übertragen können. Zudem war von Anfang an klar, dass die Impfstoffe nicht zu 100 Prozent schützen.
Zweitens weist ein negativer PCR-Test nach, dass bei der getesteten Person keine Virenbestandteile gefunden wurden. Man könnte also argumentieren, dass ein Testergebnis sogar ein besserer (weil aktuellerer) Unbedenklichkeitsnachweis ist als der Impfstatus.
Insofern kann man es nicht ganz von der Hand weisen, wenn jemand 2G-Regeln als indirekten Impfzwang wahrnimmt. Und unter Ausklammerung von Kindern unter 12 Jahren, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist, hat sich bisher rund ein Drittel der Bevölkerung nicht für die (vollständige) Impfung entschieden. Das muss in einer Demokratie auch berücksichtigt werden.