Corona-Proteste: Schnittmengen zwischen den beteiligten Milieus

Anthroposophie spielt in Teilen der Bewegung eine Schlüsselrolle. Das Rudolf-Steiner-Haus in Tübingen. Foto: Qwave / CC-BY-SA-4.0

Ehemalige Grünen- und Linke-Wähler sind unter "Querdenkern" laut einer Umfrage nicht selten. Was verbindet sie mit "Reichsbürgern" und "QAnon"-Jüngern? (Teil 3 und Schluss)

Während die Corona-Proteste in Ostdeutschland vor allem durch die AfD getragen werden, wurde sie in Westdeutschland, vor allem in Baden-Württemberg, vornehmlich durch die "Querdenken"-Bewegung angeführt, die jetzt teilweise in der Partei "dieBasis" aufgegangen ist. Im November erschien Studie "Quellen des 'Querdenkertums‘", die einen Blick auf die Milieus wirft, von denen die Bewegung getragen wurde und noch immer getragen wird.

Ein Forschungsteam um Oliver Nachtwey, Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel, hatte dafür bei den Aktionen von "Querdenken" zahlreiche Interviews mit Teilnehmern geführt. In Auftrag gegeben hatte die Heinrich-Böll-Stiftung die Studie.

"Es ist eine Bewegung, die teilweise von links kommt, sich aber nach rechts bewegt", heißt es darin. Viele der Studienteilnehmer hätten angegeben, bei der Bundestagswahl 2017 Bündnis90/Die Grünen gewählt zu haben – nämlich 23 Prozent, während die Grünen damals nur 8,9 der insgesamt abgegebenen Stimmen erreicht hatten. 18 Prozent der Befragten gaben an, 2017 Die Linke gewählt zu haben, die insgesamt 9,2 Prozent der Stimmen erhalten hatte.

Bei der nächsten Wahl wollten sich nach eigener Aussage 27 Prozent der Befragten für die AfD und 61 Prozent für bisher nicht etablierte Kleinparteien entscheiden.

Nicht links, aber oft traditionell oft "grün": Anthroposophen

Der Anteil von ursprünglichen Grünen- und Linke-Wählern unter den "Querdenkern" ist laut der Studie in Baden-Württemberg doppelt so hoch wie bei den Protesten in Ostdeutschland. Beide Gruppen werden hier ursprünglich dem linken Lager zugerechnet. An dieser Stelle muss jedoch interveniert werden: Bei Wahlen sein Kreuz bei den Grünen zu machen, muss kein Zeichen einer linken politischen Einstellung sein.

Die Forscher beleuchten in ihrer Studie den Einfluss der Anthroposophie auf die grüne Wählerschaft und auf die Partei – und eine Ideologie, die von Rassismus und Antisemitismus durchsetzt ist, kann man nur schwerlich im linken politischen Spektrum verorten. In der Vergangenheit wurde in zahlreichen Büchern darauf verwiesen, zum Beispiel in "Entspannt in die Barbarei" von Jutta Dithfurt, "Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister" von Peter Bierl oder in Teilen auch in "Rechte Ökologie" von Oliver Geden.

Die Baseler Forscher kommen zu einem ähnlichen Ergebnis wie Autoren der bereits vorgestellten Midem-Studie: In der "Querdenken"-Bewegung manifestierte sich ein Vertrauensverlust in demokratische Institutionen. Angesichts der massiven Freiheitseinschränkungen seitens der Regierenden zeigte sich auch eine Entfremdung von der repräsentativen Demokratie.

Dennoch bleibt für sie die Frage, weshalb sich ein so unterschiedliches Publikum aus Friedensbewegten, Esoterikern, "Reichsbürgern" oder Selbstständigen, "die sich politisch eher links-grün verorten" zusammenfinden. Die ideologische Klammer finden sie in einem libertären Freiheitsverständnis, "in dessen Konzeption das Individuum vor staatlichen Einschränkungen abgeschirmt werden soll".

Selbstbestimmung und Eigenverantwortung dürften auch in der Pandemie nicht relativiert werden. Freiheit werde dabei als völlige Unabhängigkeit gedacht. Vor allem bei Personen "aus der Mittelschicht mit höherem Bildungskapital" verfingen demnach diese Positionen. Dazu heißt es in der Studie der Uni Basel:

Bei den coronabedingten Maßnahmen, die zum eigenen Schutz wie zum Schutz Anderer konzipiert sind, handelt es sich um einen temporären Eingriff in die Lebensführung aller. Einen derartigen Eingriff durch staatliche Intervention sind aber vor allem Personen aus der Mittel- und Oberklasse, im Unterschied zur Arbeiter:innenklasse und ALG-II-Bezieher:innen, nicht gewohnt.

Quellen des "Querdenkertums". Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg / S. 22

Getragen werde die "Querdenker"-Bewegung vor allem durch zwei Milieus: den sogenannten Alternativen und den Anthroposophen; in sehr geringem Ausmaß auch von evangelikalen Gemeinschaften. Das sogenannte Alternativmilieu hat seinen Ursprung in der 1968er-Bewegung, unterscheidet sich aber inzwischen von ihr deutlich.

Damals erhoben "Akademiker mit hoher Qualifikation und Berufen mit hohem Sozialprestige und gutem Einkommen" den Anspruch auf "Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung, Individualität und Authentizität". Später geht das in Bedürfnissen "nach Konsum, Abwechslung und Erlebnissen als ‚ichbezogenes Privileg ohne einschränkende Verpflichtungen‘" auf. Dieses Milieu ist durch ihre Opposition zu Institutionen, Parteien und Staat geprägt.

Die Forscher betonen aber, dass es keinen direkten Weg vom linksalternativen Milieu zur Querdenken-Bewegung gibt. Eine Transformation des Milieus habe stattgefunden. Von "den linken Politikformen wie Hausbesetzungen, feministischen Kollektiven etc. und linken Werten wie Solidarität und Gleichheit" sei im Grunde nichts mehr übriggeblieben.

Geblieben sind vor allem Lebensstile der Körperpolitik und der Selbstverwirklichung, die Idee der Ganzheitlichkeit, häufig (aber nicht immer) eine spirituelle und vor allem anthroposophische Überzeugung und ein libertäres Freiheitsverständnis.

S. 32

Dieses Milieu legt Wert auf Yoga, Meditation und alternativmedizinische Heilmethoden. Man lehnt die Corona-Maßnahmen der Regierung ab und beurteilt sie als Bevormundung. Jeder soll für die eigene Gesundheit Verantwortung übernehmen. Man strebt deshalb danach, das Immunsystem zu stärken und "Alternativpräparate" gegen die Erkrankung einzunehmen.

Wenn Individuen allein für ihre Gesundheit verantwortlich sein sollen

Wo aber der Einzelne die alleinige Verantwortung für seine Gesundheit haben soll, ist es nicht weit, dem Einzelnen im Krankheitsfall die Schuld für die Erkrankung zu geben. Er hätte ja weniger nachlässig handeln können.

Neben dem Alternativmilieu spielen die Anthroposophen eine große Rolle für das "Querdenkertum". Rassismus und Antisemitismus sind in der Lehre von Rudolf Steiners tief verwurzelt. Und eine Nähe zum Nazismus ist bis heute nicht wirklich aufgearbeitet.

Die herausragende Rolle der Anthroposophen für das "Querdenkertum" hatte schon die ZDF-Satiresendung "Die Anstalt" Anfang Dezember beleuchtet – und den Umstand, dass das Land Baden-Württemberg die Anthroposophie auf verschiedene Weise fördert, zum Beispiel in Form staatlicher Zuschüsse für Waldorfschulen, die nicht nur bei Corona-Impfskeptikern, sondern auch und gerade bei generellen Impfgegnern beliebt sind.

Die anthroposophische Lehre von Rudolf Steiner hat viele Elemente der Lebensreformbewegung des 19. Jahrhunderts übernommen. "Romantisches Denken ist verknüpft mit dem Anliegen, das Affekt- und Gefühlvolle dem Verstandesmäßigen, dem ‚rationalistischen Denkstil‘, nicht länger unterzuordnen", heißt es in der Studie. Man sucht nach Authentizität, Autonomie, Selbstverwirklichung und einem originellen Dasein.

Das Ablehnen von Impfungen gehört zu den Grundlagen anthroposophischer Medizin. Die Corona-Maßnahmen werden von Anthroposophen abgelehnt mit einer "Kritik an fehlender Freiheit, Selbstbestimmung und Mitsprache". Es sind die libertären Positionen, die Berührungspunkte zwischen den Milieus, aber auch zu Kreisen innerhalb der AfD bieten.

Allerdings konnte diese Partei in Westdeutschland kaum von den Protesten profitieren. Stattdessen gelang dies der Szene der "Reichsbürger" – nicht zuletzt, weil die Führung der Querdenker-Bewegung bewusst die Nähe zu ihnen und der QAnon-Bewegung suchte.

"Im Verlauf der Proteste habe sich die 'Kritik an den staatlichen Maßnahmen zu Reichsbürger-typischen Narrativen und einem hohen Maß an Staatsfeindlichkeit' entwickelt, was 'zunehmend aus den Reihen der Querdenken-Organisatoren selbst vorangetrieben' wurde", heißt es in der Studie. Zu untersuchen, welche Schnittmengen sich über libertären Positionen zwischen "Querdenkern", "Reichsbürgern" und der QAnon-Bewegung bilden, wäre sicherlich ein lohnendes Forschungsfeld.

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