Corona-Strategie in den USA: Gezielt planlos?

US-Präsident Trump und Gesundheitsminister Alex Azar bei der Unterzeichnung eines Gesetzes zur Finanzierung der coronavirus response, 6. März 2020. Bild: Weißes Haus/gemeinfrei

Laut einem Enthüllungsbericht wurden detaillierte Pläne für eine amerikanische Teststrategie entworfen. Doch die Pläne wurden nie umgesetzt

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In der Politik, so eine möglicherweise gut gemeinte Handreichung, könne man einer Nachricht erst glauben, wenn sie offiziell dementiert wurde. Ob diese Empfehlung, wie oft behauptet wird, tatsächlich von Reichskanzler Otto von Bismarck stammt, ist nicht sicher. Der Satz wird seit langem immer wieder gerne weiter gereicht.

Bestimmt nicht von Bismarck stammt der Begriff der "plausible deniability" ("glaubhafte Abstreitbarkeit"), deren Zweck es ist, Dementis weniger durchschaubar wirken zu lassen. Gemäß diesem Konzept werden Vorgänge, deren Bekanntwerden für negative Reaktionen sorgen könnte, so organisiert, dass man die Verantwortung abstreiten oder anderen in die Schuhe schieben kann. Oft geht die Rechnung jedoch nicht auf, auch weil viele Dementis einfach nicht plausibel sind.

Ob plausibel oder nicht, jedenfalls hat Kayleigh McEnany, die Pressesprecherin des Weißen Hauses, kürzlich einen Bericht dementiert, demzufolge die Trump-Regierung Pläne für eine bundesweite Coronavirus-Strategie verworfen haben soll, auch mit der Intention, demokratisch regierten Bundesstaaten zu schaden. Der Plan liege seit Monaten vor, so der Bericht, sei aber aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit nicht umgesetzt worden.

"In Luft aufgelöst"

Eine Schlüsselfigur des Investigativberichts, der von der Zeitschrift Vanity Fair publiziert wurde, ist Jared Kushner, der Schwiegersohn von Donald Trump. Dieser soll im März, zu Beginn der Pandemie, ein Team geleitet haben, das an einem Plan für eine bundesweit koordinierte Strategie zur Bekämpfung von COVID-19 in den USA arbeitete.

Nach einem Stimmungswandel in der Regierung habe sich jedoch der Plan, so Vanity Fair, "in Luft aufgelöst". Dazu beigetragen habe die Fehlprognose einzelner Mitglieder der Coronavirus Task Force des Weißen Hauses, die bereits Anfang April davon ausgegangen seien, dass das Infektionsgeschehen bald nachlassen werde.

Womöglich entscheidend dafür, dass der Plan nicht umgesetzt wurde, war jedoch politische Zweckmäßigkeit: Nachdem das Virus Bundesstaaten mit demokratischen Gouverneuren, wie New York, Kalifornien und Washington, im Frühjahr disproportional stark traf, schien eine nationale Strategie, so der Bericht, nicht opportun. Denn ohne zentralen Plan habe die Möglichkeit bestanden, ein Versagen im Umgang mit der Pandemie den Demokraten in die Schuhe schieben.

"Das A-Team, das richtig ranklotzt"

Kushners Gruppe habe "Tag und Nacht" an dem Plan gearbeitet, der die Bereitstellung von Diagnose-Tests und ein flächendeckendes Monitoring-System zur Verfolgung von Infektionen vorsah. Dies hätte eine bundesweit koordinierte Vorgehensweise ermöglicht, anstatt die Bundesstaaten einer Situation zu überlassen, in der sie gegeneinander um knappe Ressourcen konkurrieren mussten.

Zur Organisierung des bundesweiten Corona-Programms setzte das Weiße Haus im März ein "SWAT-Team" ein, zu dem sowohl Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums als auch Mitarbeiter des Weißen Hauses gehörten. "Dies ist das A-Team von Leuten, die richtig ranklotzen", erklärte einer der Beteiligten über die Gruppe, zu der auch Banker und Milliardäre ohne operative Erfahrung im Gesundheitswesen zählten.

Allerdings scheint die Arbeit der "taktischen Spezialeinheit" unter Jared Kushner mit der Arbeit eines anderen Teams des Gesundheitsministeriums unter Führung von Brett Giroir, eines Admirals des United States Public Health Service, nicht optimal koordiniert worden zu sein. Vanity Fair berichtet, die verschiedenen Gruppen hätten sich in ihren je eigenen "Blasen" befunden.

In ihrem Dementi bestritt Kayleigh McEnany dies. "Jared und sein Team haben Hand in Hand mit Admiral Giroir gearbeitet", so die Pressesprecherin des Weißen Hauses. "Die öffentlich-privaten Teams waren bei Giroir eingebettet und stellten eine einzige und einheitliche Regierungsmaßnahme dar, die es geschafft hat, unser robustes Testregime schnell zu erweitern und Amerika Nummer eins beim Testen zu machen."

Vanity Fair erklärt, im Besitz des detaillierten Aktionsplanes zu sein, den Kushners Gruppe erarbeitet habe. Daraus wird zitiert: "Zu den aktuellen Herausforderungen, die gelöst werden müssen, gehören ungleiche Test-Kapazitäten und -Vorräte in den USA, sowohl zwischen als auch innerhalb von Regionen, erhebliche Verzögerungen in der Berichterstattung von Testergebnissen (4 bis 11 Tage) und Engpässe in den Lieferketten, z.B. bei Schutzausrüstung, Tupfern und bestimmten Reagenzien."

"Tests sind ein zweischneidiges Schwert"

Anfang April habe sich der Wind im Weißen Haus gedreht. Mitglieder von Trumps Corona-Task-Force hätten ein baldiges Abklingen der Infektionen prognostiziert. Zudem habe sich der Präsident um den Aktienmarkt und seine Wiederwahl gesorgt und befürchtet, dass mehr Tests zu vermehrter schlechter Publicity führen würden. Dies könnte dazu beigetragen haben, dass nie eine bundesweite Strategie umgesetzt wurde.

Bei einem wenig erfolgreichen Wahlkampfauftritt im Juni in Tulsa, Oklahoma, erklärte Trump, dass er von einer Ausweitung der Tests nur wenig halte. "Tests sind ein zweischneidiges Schwert", so Trump, der behauptete, dass zu diesem Zeitpunkt 25 Millionen Tests durchgeführt worden waren. "Wenn Sie in diesem Ausmaß testen, werden Sie mehr Leute finden, Sie werden mehr Fälle finden, also habe ich zu meinen Leuten gesagt: 'Bitte verlangsamt die Tests'." Das Dementi des Weißen Hauses folgte prompt: Trump habe sich mit dieser Bemerkung nur einen Jux erlaubt.

Doch den Ausschlag dafür, dass der Plan nie umgesetzt wurde, gab laut Vanity Fair-Bericht möglicherweise ein anderes Kalkül. Einem Mitglied von Kushners Gruppe zufolge sei ein nationaler Plan als unnötig und politisch unsinnig betrachtet worden, weil demokratisch regierte Bundesstaaten von dem Virus am stärksten betroffen waren.

"Die politischen Leute glaubten", wird ein Gesundheitsexperte mit Kontakten zur Task Force zitiert, "dass sie diese Gouverneure verantwortlich machen könnten, weil es an demokratische Staaten delegiert werden würde, und das wäre eine wirksame politische Strategie."

Brett Giroir, der als stellvertretender Gesundheitsminister für das Test-Programm offiziell verantwortlich ist, erklärt hingegen, die Mitglieder aller Teams hätten unter seiner Führung zusammengearbeitet. Teile des Plans von Kushner seien umgesetzt worden. "Ich habe noch nie etwas so absurdes gehört wie ‘Wir werden keinen nationalen Plan machen, weil demokratische Staaten betroffen sind", so Giroir auf Fox News.

Missachtete Warnungen

Vieles deutet darauf hin, dass die U.S.-Regierung unter Donald Trump sehr zögerlich auf die Pandemie reagiert hat, auch weil dies politisch opportun schien. Trump, so die Financial Times (FT) in einer sehr ausführlichen Analyse, habe in der ersten wirklichen Krise seiner Amtszeit versagt. Er habe frühzeitige Warnungen der Geheimdienste ignoriert und wertvolle Zeit verschwendet. Generell nehme er Leute nicht ernst, die behaupten mehr als er zu wissen, und er vertraue nur einem kleinen Kreis von Personen, zuvorderst seiner Tochter Ivanka und ihrem Ehemann Jared Kushner.

Kushner habe argumentiert, so zitiert die FT einen Vertrauten von Donald Trump, dass zu viele Corona-Tests die Finanzmärkte stören würden und dass man deswegen nicht mehr testen solle. "Dieser Rat wirkte bei ihm weitaus wirkungsvoller", so der Insider, "als das, was die Wissenschaftler sagten. Er denkt sie übertreiben immer."

Gerne werde in Trumps Umkreis der Angriff auf das World Trade Center als Vergleich herangezogen. George W. Bush habe Warnhinweise übersehen, jedoch nur eine direkte Warnung vor dem Angriff erhalten. Anders im Falle der Pandemie, so ein Gesundheitsexperte der Yale University, den die FT zitiert:

"Es ist, als ob wir monatelang sicher gewusst hätten, dass der 11. September stattfinden würde, nichts unternommen hätten, um uns darauf vorzubereiten und dann ein paar Tage später die Achseln gezuckt und gesagt hätten 'Na ja, wir können nicht viel dagegen tun.'"

Bei der Hilfevergabe habe die Regierung die Gouverneure der Bundesstaaten gegeneinander ausgespielt. Staaten unter republikanischer Führung hätten pro Kopf wesentlich mehr Beatmungsgeräte und Schutzkleidung erhalten als Staaten unter demokratischer Führung, obwohl sie zu dieser Zeit wesentlich weniger Krankenhausfälle hatten.

Amerikanische Gesundheitspolitik, dafür verdichten sich die Anzeichen, dient im Jahr 2020 als Fortsetzung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln.

Dr. habil. Thomas Schuster, ehem. Berater bei Roland Berger und ehem. Autor der Frankfurter Allgemeine ist Hochschullehrer für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Seine Bücher "Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit" und "Die Geldfalle. Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen" sind bei S. Fischer und im Rowohlt Verlag erschienen.