Corona: Tauziehen im Teil-Lockdown

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Bund und Länder ringen erfolglos um Verschärfungen. Merkel kündigt aber für nächste Woche "sehr viel weitergehende und längerdauernde Beschlüsse" sowie Rechtsänderungen an. "Es müssen 75 Prozent Kontakte weniger sein."

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Angela Merkel ist on fire. Im März galt ihre Reaktion auf das Infektionsgeschehen noch als besonnen, in der zweiten Welle agiert sie aufgeregt und wie getrieben. Könnte das mit ihrem neuen Corona-Berater zusammenhängen? Michael Meyer-Hermann ist Professor an der Technischen Universität Braunschweig und Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.

Meyer-Hermann erforscht die Pandemie anhand von mathematischen Modellen, das klingt dann etwa so: "Ausgehend von unserem aktuellen Kontaktverhalten können wir die Entwicklung umkehren, wenn jeder die Zahl seiner Kontakte - private, berufliche und zufällige Kontakte - viertelt. Eine Halbierung reicht laut der Simulationen nicht ganz aus."

Anders als Publikumsliebling Christian Drosten hält er sich in der Öffentlichkeit eher zurück. Doch man weiß, dass er harte Maßnahmen für nötig hält. Macht Meyer-Hermann der Kanzlerin Druck? Er soll in einem Vortrag im Oktober gesagt haben, dass es eigentlich zu spät sei für Deutschland, um noch halbwegs glimpflich aus der Krise wieder herauszukommen, es sei nicht etwa fünf vor zwölf, sondern bereits fünf nach zwölf. Am vergangenen Donnerstag war er zugeschaltet, als Kanzleramtsminister Helge Braun und die Chefs der Staats- und Senatskanzleien telefoniert haben und plädierte für einen schärferen Lockdown.

Die heutige Beschlussvorlage des Kanzleramtes forderte dementsprechend strengere Kontaktbeschränkungen, auch sollte das Tragen einer Maske für Schüler aller Jahrgänge und für Lehrer auf dem Schulgelände und während des Unterrichts zwingend vorgeschrieben werden. Gruppengrößen in Klassenräumen sollten halbiert werden. Menschen mit Erkältungssymptomen müssten eine Woche in Schnupfen-Quarantäne.

Statt zu einer Einigung kam es aber erstmal zu einem kleinen Eklat: Denn die Länder empfanden das Papier als maßloses Vorpreschen und leisteten Widerstand.

"Das ist kein Vorschlag, der mit den Ländern besprochen oder abgestimmt ist. Im Gegenteil. Mit Blick auf Kinder, Jugendliche & Schule unverhältnismäßig. Vorgehen des Kanzleramtes führt zur Verunsicherung anstatt zur gemeinsamen Orientierung für die Bevölkerung", twitterte etwa Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD).

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der nordrhein-westfälische Amtskollege Armin Laschet (CDU), FDP-Chef Christian Lindner, sowie Linke und Grüne distanzierten sich von der Vorlage. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte schon im Vorfeld, dass neue Regeln Parlamentsentscheidungen bedürften.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock kritisierte, dass Kinder und Jugendliche befohlen werde, sich privat nur noch mit einem festen Freund zu treffen. Kinder seien "keine kleinen Erwachsenen": "Kinder haben ein Recht nicht nur auf Bildung, sondern auch auf kindliche Entwicklung."

In einem Gegenentwurf der Länder wird Berichten zufolge mehr auf Verantwortung als auf Verbote gesetzt. Überflüssig zu erwähnen, dass Markus Söder d’accord mit den von Merkel geplanten Verschärfungen ist. Die meisten davon hat er in Bayern ohnehin schon umgesetzt.

"Nächste Woche ist die Woche der Entscheidung"

Nach einer Schaltkonferenz mit den Ländern, die über fünf Stunden dauerte, informierte Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), und dessen Stellvertreter, dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), am Abend über die Ergebnisse.

Die abgespeckten Beschlüsse sehen nun Folgendes für Deutschlands Bürgerinnen und Bürger vor: Es gibt heute keine neuen Beschlüsse, aber die Aussicht auf Rechtsänderungen "sehr viel weitergehende und längerdauernde Beschlüsse" in der nächsten Konferenz. "Es müssen 75 Prozent Kontakte weniger sein", so Merkel.

Merkel wirkte leicht angeschlagen und genervt, selbst als sie betonte, dass sie über Eines froh sei: "Wir haben das exponentielle Wachstum gestoppt."

"Nächste Woche ist die Woche der Entscheidung", so Markus Söder, "Wir müssen diese Zahlen weiter drücken. Ganz Europa tut dies übrigens. Ich habe wenig Hoffnung, dass Ende November wieder alles gut ist."