Corona- und Klimakrise: Von Nachhaltigkeit keine Spur

Die Energie- und Klimawochenschau: Von braven Umweltverbänden, unermüdlichen Jugendlichen, Arbeitsplatzkillern in der Unionsfraktion und irrationaler Wissenschaftsphobie

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich im Rahmen des Petersberger Klimadialogs am Dienstag dafür ausgesprochen, in Sachen Klimawandel wie auch der Corona-Krise auf die Wissenschaft zu hören. Doch bleibt die Frage, wie ernst es ihr damit ist. Ihre Politik in ihrer fast 15-jährigen Amtszeit passt nicht recht dazu. Die Ziele zur Verminderung der Treibhausgasemissionen bleiben weit hinter dem von den Klimawissenschaftlern als notwendig erachteten zurück.

In der EU die Emissionen bis 2030 auf 45 Prozent des Niveaus von 1990 abzusenken, wie von ihr nach langem Zögern und Zagen endlich unterstützt, wird bei weitem nicht reichen, um die globale Erwärmung auf "deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau", zu begrenzen. Da hilft es auch nicht, dass einige Journalisten sich nicht zu schade sind, Angela Merkel immer noch "Klimakanzlerin" zu nennen, die als solche in die Geschichte eingehen werde.

Dennoch gab es viel Lob von den Umweltverbänden, wie etwa dem World Wide Fund for Nature (WWF), der von "bemerkenswerten Anstößen für die Klimadiplomatie" spricht. Auch der BUND freut sich dass Merkel "klare Kante" gezeigt habe. Dass unter ihrer Ägide der Kohleausstieg bis 2036 hinausgezögert werden soll und die Kohlekonzerne obendrein noch Milliardengeschenke bekommen, scheint schon wieder vergessen. Nach lediglich einem Vierteljahr.

Jobvernichter

Auch scheinen die Umweltverbände irgendwie nicht mitbekommen zu haben, dass Angela Merkels Parteifreunde im Bundestag gerade auf dem besten Wege dahin sind, die deutsche Solarbranche zu killen. Es geht um den sogenannten Solardeckel. Bei 52 Gigawatt installierter Solarleistung ist Schluss, heißt es bisher im Erneuerbar-Energien-Gesetz (EEG). Danach gibt es für weitere Anlagen keine Förderung mehr.

Das Problem: Diese Latte wird vermutlich schon im Sommer, spätestens im Herbst gerissen. Aufgrund der inzwischen ziemlich niedrigen Preise für Solarmodule ist der Ausbau in den letzten Jahren nämlich endlich wieder angezogen. Die Vergütung für Strom aus neuen Solaranlagen beträgt je nach Standort (Dach oder Freifläche) und Größe im April nur noch 6,5 bis 9,44 Cent pro Kilowattstunde.

Solarstrom aus neuen Anlagen ist also inzwischen so billig wie aus einem neuem, noch nicht abgeschriebenen Kohlekraftwerk. Dennoch herrscht in der Branche denkbar schlechte Stimmung. Nach einer Umfrage des Bundesverbandes der Solarwirtschaft (BSW) sind die Geschäftserwartungen der Solarhandwerker und anderer Branchenbetriebe in den letzten Wochen massiv eingebrochen.

Eigentlich hatten sich Union und SPD schon 2018 in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, das EEG zu ändern und den Deckel anzuheben oder ganz abzuschaffen. Doch in der Unionsfraktion wird gemauert. Erst letzte Woche wurde das Thema im Bundestag erneut vertagt.

Der Solardeckel muss jetzt unverzüglich fallen, um in letzter Minuten gewaltigen Schaden von der Energiewende und unserer Branche abzuwenden! Die Verzögerung einer Gesetzesinitiative auf einen Zeitpunkt nach der Sommerpause ist keine Option, da der bei 52 Gigawatt installierter Solarleistung erreichte Förderdeckel im Falle von erwarteten Vorzieheffekten mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in diesem Sommer erreicht wird. Schon jetzt platzen immer mehr große Solardachprojekte, die nicht mehr rechtzeitig ans Netz gehen können.

Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW

Interessant, wie wenig sich die Union auf einmal für Arbeitsplätze interessiert. Immerhin arbeiten noch rund 40.000 Menschen in der Herstellung und vor allem der Installation von PV- und Solarthermieanlagen, etwa doppelt so viel wie im deutschen Braunkohletagebau und den angeschlossenen Kraftwerken. Ein erheblicher Teil davon wäre gefährdet, wenn der Solardeckel nicht schleunigst angehoben wird.

Die Blockade ist umso frustrierender, da sich bereits vor dem Ausbruch der Pandemie eine Rezession abzuzeichnen begann, die nun um so härter auszufallen droht. Aber eine nachhaltige Industriepolitik, die die Folgen der bevorstehenden schweren globalen Wirtschaftskrise abfedert und zugleich den Umbau der Energieversorgung vorantreibt, scheint von der Bundesregierung nicht zu erwarten zu sein.

Das Publikum wird derweil beruhigt und abgelenkt, indem man ihm - die Warnungen der Epidemiologen ignorierend - die Shopping Malls öffnet, wie in Nordrhein-Westfalen oder sogar verkaufsoffene Sonntage bietet, wie in Schleswig-Holstein.

Wen interessiert schon, dass die als Helden des Alltags gelobten - aber keinesfalls entsprechend entlohnten - Verkäuferinnen und Verkäufer wegen der Belastung durch die Corona-Krise ohnehin bereits ganz ausgelaugt sind.

Fridays for Future gibt nicht auf

Nur gut, dass wenigstens die Jugendlichen nicht von den schönen, aber folgenlosen Worten der Kanzlerin beeindrucken lassen und ihre Proteste fortsetzen. Am vergangenen Freitag gab es mal wieder einen globalen Aktionstag, der aber weitgehend in den sozialen Netzen stattfand, zum Beispiel indem Fotos mit Protestschildern gepostet wurden wie etwa aus Afghanistans Hauptstadt Kabul.

Immerhin gab es nach den Angaben auf der offiziellen Webseite in 1725 Städten in 153 Ländern Aktionen. In Deutschland waren in verschiedenen Städten Protestschilder vorher gesammelt worden, um mit ihnen stille Happenings wie hier in Hamburg oder vor dem Berliner Reichstagsgebäude zu organisieren. "Fight every Crisis" war auf dem dortigen Platz der Republik ganz groß zu lesen.

Schlusslicht Deutschland

Zu den Forderungen der Schülerinnen und Schüler gehört immer noch der Kohleausstieg bis 2030, wobei verlangt wird, dass ein Viertel der Kohlekapazitäten sofort abgeschaltet werden. Letzteres wäre angesichts des inzwischen über 50 Prozent betragenden Anteils der Erneuerbaren an der Nettostromerzeugung auch ohne weiteres möglich, denn auch die Braunkohlekraftwerke sind inzwischen so schlecht ausgelastet, dass sie für ihre Betreiber zur Zeit ein Minusgeschäft darstellen dürften.

Dennoch wird in Deutschland verbissen an der Kohle festgehalten. Vielleicht erhoffen sich RWE (Rheinland) und Leag (Ostdeutschland) ja noch ein paar weitere schöne Geschenke aus dem Steuersäckel. In Österreich und Schweden ist man da schon etwas weiter.

Dort schließen gerade die letzten Kohlekraftwerke, wie die Plattform Beyond Coal berichtet. Sechs weitere europäische Länder (Frankreich, Großbritannien, Slowakei, Italien, Irland und Portugal) würden bis spätestens 2025 folgen und fünf zusätzliche (Griechenland, Dänemark, Ungarn, Finland und die Niederlande) bis 2030.

Deutschland wird unter den westlichen EU-Mitgliedern also das Schlusslicht bilden. So viel zum Thema "Klimakanzlerin".

Morddrohungen gegen Wissenschaftler

Interessant war letzte Woche wie schon in den letzten Monaten zu sehen, wie die sich dem rationalen Argument verweigernden Muster in der Auseinandersetzung um die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie jenen im Umgang mit der Klimakrise ähneln.

Zum Teil sind es sogar die gleichen Menschen, die Wissenschaftler mit Verleumdungen überziehen, weil sie sachlich nichts aufzubieten haben.

Auch im Falle der Virologen und Epidemiologen geht es jetzt bis hin zu Morddrohungen. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Charité in Berlin und bekannt geworden unter anderem durch seine regelmäßigen Gespräche mit Journalisten des NDR, in denen er das Virus, die Pandemie und seine Bekämpfung erklärt, berichtet gegenüber der britischen Zeitung The Guardian von Morddrohungen, die er erhalten und an die Polizei weitergegeben habe.

Drosten ist für manchem zum Hassobjekt geworden, weil er eindringlich davor warnt, die Kontaktbeschränkungen schon jetzt zu lockern. Er hält dies für verfrüht und befürchtet eine zweite, womöglich noch heftigere Infektionswelle.

Ganz so übrigens, wie auch die in den Instituten der Helmholtz-Gesellschaft arbeitenden Epidemiologen, die am Ostermontag in einer wenig beachteten Stellungnahme auf verschiedene durchgerechnete Szenarien verwiesen und vor einer zu frühen Aufhebung der Beschränkungen gewarnt hatten.

Anti-Kohle-Demo verboten

Solche Stimmen werden aber zunehmend von jenen übertönt, die mal aus Angst um die Grundrechte, öfter aber im Interesse der Wirtschaft schnelle Lockerungen fordern. Dass Letzteres in der politischen Praxis eher eine Rolle spielt, ist unter anderem daran zu sehen, dass zwar Shopping Malls und Schulen wiedereröffnet werden, Spielplätze aber geschlossen bleiben und Demonstrationen weiter zum Teil unter dem Vorwand der Pandemie-Bekämpfung verboten werden.

So etwa am vergangenen Wochenende ein Fahrradkorso in Berlin für den Schutz der Flüchtlinge in den katastrophal überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln oder eine für den 30. April im Rheinland geplante Menschenkette gegen die fortgesetzte Zerstörung von Dörfern für den Braunkohletagebau.

Dabei sollte diese mit großem Abstand, Mundschutz und explizit auf 50 Teilnehmer begrenzt durchgeführt werden. Die Organisatoren des Bündnis "Alle Dörfer bleiben" haben gegen den Verbotsbescheid der Verwaltung inzwischen Klage eingereicht.

Klimaschutz als billige Ausrede

Zu den Politikern, die im Interesse der Wirtschaft und der Staatsfinanzen eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen forderten, gehörte am Wochenende auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Er führte dafür im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel am Sonntag ausgerechnet den Klimaschutz ins Feld.

Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt, all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun. Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämien einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiter zu machen wie bisher.

Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident

Zur Zeit der Abwrackprämie war Schäuble Bundesinnenminister und dadurch an dem entsprechenden Kabinettsbeschluss beteiligt. Zu der Zeit ist er wie auch sonst in den immerhin rund 20 Jahren, in denen er erst unter Helmut Kohl und später unter Angela Merkel Ministerämter bekleidet hat, nicht als Umwelt- oder gar Klimaschützer aufgefallen. Auch nicht in seinem Intermezzo als CDU-Vorsitzender oder in den neun Jahren als Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.