Crowdsourcing und Cloudworking: Schöne neue Arbeitswelt

Seite 3: Webbasierte Kontrolle der Internet-Tagelöhner

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Diese angestrebte Bindungslosigkeit des neuen Internetproletariats ist für die Unternehmen Segen und Fluch zugleich. Der Verzicht auf einen Arbeitsplatz mitsamt fester Anstellung, Büroflächen, Sozialabgaben und Arbeitsausrüstung lässt auch keinerlei Verbindlichkeit, Loyalitäten oder sonstiger Bindungsgefühle seitens des neuen digitalen Prekariats aufkommen. Eine Identifizierung des Tagelöhners mit dem Konzern - der für gewöhnlich eine spezifische Corporate Identity kreiert - ist somit nicht mehr möglich. Hierdurch fällt der Kernbelegschaft auch die Sicherung einer zuverlässigen Mitarbeit der Tagelöhner, mitunter der Qualitätskontrolle der abgelieferten Arbeit, sehr schwer.

Nach dem Ende des jeweiligen "Projekts" findet sich ein "Cloud Worker" wieder arbeitslos in der Wolke wieder, sodass die üblichen Anreize der kontinuierlichen Karrierelaufbahn, wie sie bei Angestellten noch zum Tragen kommen, nicht mehr greifen. Die umfassende gruppenbedingte Kontrolle des Angestellten am Arbeitsplatz, die sich ja bereits in der gläsernen Transparenzarchitektur vieler postmoderner Bürohochhäuser widerspiegelt, kann bei den vereinzelten Monaden in dem webbasierenden Schwarm des Kapitals naturgemäß nicht mehr aufrecht gehalten werden und muss durch andere webgestützte Formen der Disziplinierung und Leistungsbewertung ersetzt werden.

Genau daran wird in der Branche mit Hochdruck gearbeitet, während erste Ansätze webgestützter Leistungskontrolle bereits umgesetzt wurden. Die von dem deutschen IT-Riesen SAP aufgekaufte Firma Success Factor gilt beispielsweise als ein Pionier eines auf Cloud-Basis durchgeführten "Human Capital Management". Sobald Unternehmen einen Großteil ihrer IT-Infrastruktur auflösen und stattdessen die Datenverarbeitung an externe Anbieter von Cloud-Computing auslagern, sinken die Kosten extremster Kontrolle dramatisch. Die Anbieter solcher Datenwolken erledigten nicht nur die klassischen betriebswirtschaftlichen IT-Aufgaben. Firmen wie "Success Factor" bieten zudem Software an, die in der Datenwolke "Fehlzeiten, Arbeitszeiten, Vertragsabschlüsse, oder sonstige der Leistungsnachweise" der Lohnabhängigen analysiert, berichtete am 17. Mai 2012 die FAZ.

Die Leistungen der Angestellten könnten somit quasi in Echtzeit im Rahmen einer Dienstleistung eines externen Cloudanbieters "gemessen, bewertet und verglichen" werden, ohne dass das betreffende Unternehmen größere Investitionen tätigen müsste. Der Preis für "professionelle" Leistungsüberwachung und Kontrolle würde deswegen dramatisch sinken, so die FAZ: "Denn mit den neuen Cloud-Angeboten können die Kunden [der Cloud-Anbieter T.K.] die Programme für ihre Computer quasi aus der Steckdose ziehen." Im Klartext: Bald kann sich jeder Kleinbetrieb das "Human Ressource Management" eines Großkonzerns leisten - inklusive der entsprechenden Ausbeutungsraten und des korrespondierenden Rationalisierungspotenzials.

Was "Success Factor" an der Datenwolke einzelner Unternahmen vollführt, wird künftig auch an der "menschlichen Wolke" der prekarisierten Internet-Tagelöhner durchexerziert werden. Die Leistungen der Cloud-Worker würden dann durch webgestützte Programme und Portale ebenfalls bis ins Kleinste "gemessen, bewertet und verglichen", ohne dass die Beteiligten dieses Orwellschen Überwachungsprozesses in der "Human Cloud" auch nur ein einziges Mal einander ansichtig werden müssten. Das Karlsruhe Service Research Institute (KSRI) beschäftigte sich zwischen Juni 2010 und Mai 2012 in einem Forschungsprojekt mit den "People Clouds", die laut Projektbeschreibung "das Cloud-Computing-Paradigma auf menschliche Arbeitsleistung" übertragen sollen. Eine "besondere Herausforderung" dieses neuen Arbeitskonzepts stelle aber "das Qualitätsmanagement dar, da man sich wegen der eingeschränkten Kontrolle über die beteiligten Crowdworker nur bedingt auf einzelne Arbeitsergebnisse verlassen kann".

Um diesen Mangel zu beheben, habe das KSRI in dem Projekt "skalierbare Qualitätsmanagementmechanismen entwickelt, welche die Arbeitsergebnisse mehrerer Crowdworker in einer effizienten Art und Weise kombinieren, um verlässliche Resultate zu garantieren". Hierdurch solle ein "integriertes Qualitätsmanagementkonzept" entstehen, so das KRSI, dessen Ausbeutungsforschung unter anderem von IBM gefördert wird. Andere Anbieter wie die US-Unternehmen Salesforce oder Saba, drängen mit ihren Lösungen für das "Human-Cloud-Management" bereist auf den Markt. Saba etwa will eine "revolutionäre" Software für die People-Cloud entwickelt haben, die einen "People-Quotient" ermittelt, der "den Einfluss, die Reputation und die Wirkung" der jeweiligen Cloud-Worker misst.

Der gläserne "Selbstunternehmer" in der People Cloud

Grundlage der webbasierten Arbeitskontrolle bildet ein regelrechter Zwang zur Transparenz. Die prekären Internet-Proletarier werden ihre Fähigkeiten und Zertifizierungen auf den besagten Job-Portalen wie Top-Coder öffentlich "ausstellen". Doch zugleich werden sich dort die Bewertungen aller ehemaligen Unternehmer finden, die künftig auf Grundlage der derzeit entwickelten Verfahren des "Human-Cloud-Management" ermittelt werden. Ein jeder ehemaliger "Arbeitgeber" wird so die Leistungen der Cloud-Worker nach Abschluss des jeweiligen Projekts bewerten können, was den Erfolgsdruck dieser Tagelöhner trotz prekärer Stellung ungemein steigern dürfte. Absolut transparente Bewertungen auf offenen Internetplattformen werden das grausamste und auch zuverlässigste Kontroll- und Disziplinierungsmittel in der "People Cloud" darstellen.

Hier können durchaus Parallelen zu den Bewertungen von Online-Versandhändlern gezogen werden, wie sie bei eBay oder in Preisvergleichsportalen bereits heutzutage üblich sind. Dies ist im Rahmen des spätkapitalistischen Ökonomismus nur konsequent: Die allgegenwärtige Forderung nach Transparenz gilt dann auch für die prekarisierten "Unternehmer ihrer selbst", die nichts anderes immer billiger losschlagen können als ihre Arbeitskraft. Der derzeitige "Arbeitgeber" wird somit zum "Kunden" des Selbstunternehmers, womit die neoliberale Umwertung aller Werte in der Arbeitswelt abgeschlossen wäre.

Ein weiteres Mittel der Kontrolle in der schönen neuen Arbeitswelt des Web 2.0 bildet der Prozess der Fortbildung und der Erlangung neuer Fähigkeiten, der den Pries der Ware Arbeitskraft der Cloud-Worker steigen ließe. Die auf den Web-Portalen ihre Fähigkeiten feilbietenden Internet-Proleten müssen einen Nachweis erbringen, diese Fertigkeiten tatsächlich auch anwenden zu können. Dies geschieht über den Prozess der Zertifizierung, bei dem Arbeitskräfte spezielle Kurse oder Prüfungen absolvieren, in denen das entsprechende Fachwissen abverlangt oder vermittelt wird. Diese kostenpflichtigen Kurse bieten den IT-Konzernen die Möglichkeit der Ausformung und Kontrolle des entsprechenden Fachwissens.

Darüber hinaus stellen sie eine zusätzliche und zuverlässige Einnahmequelle, wenn beispielsweise Cloud-Worker nur dann bestimmte Aufträge ergattern können, wenn sie die entsprechenden Kurse absolviert haben. IBM ist auch im Zertifizierungsgeschäft führend, dessen IBM Professional Certification Program laut Eigenaussage "international anerkannte Qualifizierungsstandards" setzt. IBM wirbt bereits mit der entsprechenden Logik für diese Dienstleistung: "Weisen Sie über eine Zertifizierung Ihre Qualifikation im IBM Produktumfeld nach und steigern Sie so Ihren Marktwert. Das lohnt sich für Ihre Karriere."