Cyber-Wohngemeinschaft

Big Brother droht private Konkurrenz

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Auch wir sind nicht allein - hoffen inzwischen fast 30 junge Leute und haben sich zu einer Cyber-WG zusammengeschlossen. Wie beim großen Kommerz-Onkel "Big Brother" findet man auf der Seite www.cyber-wg.de Webcams, die Bilder und Livestreams aus dem privaten Leben der Wohngemeinschaftsinsasssen übertragen, allerdings nicht wie beim Endemol-Containerprojekt rund um die Uhr, sondern zufällig oder zu vorher bekannt gegebenen Uhrzeiten.

Wer dort allerdings Spektakuläres erwartet, der wird trotz des kecken Mottos eines WG-Bewohners - "switch off the lousy tv-program and watch the neighbour next door!" - eher enttäuscht sein. Was zu sehen ist, sind halt Szenen aus dem Alltag, die genauso prall oder dröge sind wie bei Jürgen, Andrea, John und Co.. Obwohl eine junge Dame namens Babe verspricht, dass sie "die erotischste Girlcam der Alpen" bei sich daheim stehen hat. Das jedoch lässt sich nur überprüfen, wenn man zuvor bei einer Firma Kreditkartennummer usw. angibt und sich so für etwa 40 DM im Jahr eine "Adult Check ID" besorgt.

Dass die Alpen eine schnelle Nummer wert sind, ist ja seit den Lederhosenfilmen der frühen 70er Jahre sowieso nichts Neues. Ansonsten geht's in der WG nämlich prüde zu. Und bei einer Diskussion im angeschlossenen Netzforum war man sich dann auch schnell einig, dass man zwar grundsätzlich nichts dagegen hat, wenn "sich jemand aus Spaß an der Freud oder besonderen Neigungen hin und wieder mal etwas nackig präsentiert," aber nur wenn die Bilder und Filme keinen pornografischen Inhalt haben.

Gestartet ist die Cyber-WG am vergangenen Montag mir nur drei Cams. Nach vier Tagen meldet Tim, der das Projekt initiiert hat, bereits 25 WG-Mitbewohner. Außerdem liegen ihm noch weitere acht Anmeldungen vor, die er nun erst einmal 24 Stunden lang überprüft, damit sich kein professioneller Porno-Anbieter heimlich in die WG einschleicht. Sein "visionäres Ziel", erläutert Tim, "ist die Schaffung eines Netzwerkes, welches auch die visuellen Mittel des Internets integriert. Dabei gehe ich davon aus, dass Flatrates auch für Privatleute erschwinglicher werden und die Verbreitung von Webcams wegen der dadurch sinkenden Betriebskosten zunimmt. Wenn es langfristig gelingt, eine große Zahl von WG-Bewohnern zusammen zu bekommen und diese auch aktiv an der Community zu beteiligen, dann kann dieses die Keimzelle einer ,Parallelgesellschaft im Cyberspace' werden."

Klingt ein wenig arg nach Sciencefiction, aber das Bedürfnis, sich im anonymen Netz zu Gemeinschaften zusammenschließen, scheint ja, wie nicht nur der schnelle Zuwachs dieser Cyber-WG beweist, tatsächlich vorhanden zu sein. Dennoch: Vor dem Monitor sitzt jeder allein. Und das wird sich so schnell auch nicht ändern.