Dämmen macht unsinnlich

Seite 2: Ingenieurs-Dekor

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Aus dem Sündenbock für Fehlverhalten im frischgedämmten Haus wird eine Melkkuh. Die Kosten der energetischen Modernisierung dürfen mit jährlich acht bis elf Prozent auf die Kaltmiete umgelegt werden. An dieser Stelle wird schon wieder ein Versprechen gemacht: Die höhere Mietenbelastung werde durch die sinkenden Energiekosten wieder hereingeholt. Aber die Amortisation liegt in weiter Ferne, und vorher ist die Lebensdauer der Installationen erreicht. Private Wohnungseigentümer sind nicht minder betroffen.

Prognosen über den Investitionsbedarf und -verlauf werden zunächst von Energieberatern erstellt. Hier ist die Cui-bono-Frage angebracht: Wem nützt ihre Arbeit? Dann wundern die vielen Meldungen über die Schönrechnung von Kosten nicht mehr, auf dem Bau eh kein unübliches Phänomen. Die Preisentwicklung von Energieträgern wird von den Beratern gerne zu hoch angesetzt, und "Ohnehinkosten" werden herausgerechnet, um eine Sanierung schmackhaft zu machen. Ob die Vorausschätzungen zutreffen, wird nicht ausreichend evaluiert. Der Vertreter einer Architektenkammer: "Die theoretisch errechnete Energieersparnis stellt sich so definitiv nicht ein."

Die Agenten der Schaumstoffdämmung erschlagen mit einer technokratischen Argumentation eine Debatte über den Klimaschutz, die die gesellschaftlichen Implikationen reflektieren sollte. Ihr physikalisches Hausmodell ist ein Würfel, und ihr Fetisch ist der "Wärmedurchgangskoeffizient", kurz U-Wert. Aber ein guter U-Wert muss nicht immer zu einer guten Wärmedämmung führen. Im "Mantel der Dämmung" ersticken Differenzierungen, Abweichungen von der Norm. Ob Dämmen "sich lohnt", wird zur Glückssache.

Entgegen der U-Wert-Dogmatik ist das Gebäude "mit seinen Bauteilen, technischen Einrichtungen und Bewohner-Gepflogenheiten energetisch zu interpretieren, um eine intelligente Energienutzung zu verfolgen."1 Der Standort, die Typologie, das Baualter, die Belichtung, die Materialität der Oberflächen und generell die Qualität des Gebäudes sollten ebenso sorgfältig abgewogen werden wie die Ausrichtung und die aerodynamische Stellung zu den Windströmungen der Stadt. Klimaschutz ist eine ganzheitlich städtebauliche Aufgabe.

Das geltende Regelwerk, die Energie-Einsparverordnung (EnEV), blendet auch ökonomische Disparitäten aus. Private Eigentümer haben unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten und Zeithorizonte. Sie können, etwa wenn sie altersbedingt keine adäquaten Kredite mehr erhalten, nicht gleich loslegen, wie es die EnEV trotz Ausnahmeregelungen vorschreibt.

Die "kompakte europäische Stadt", die auf physische Massen basiert ist, verwandelt sich in die Illusion aufgeklebter Fassaden und die Fiktion von isolierten technischen Werten. Stadtentwicklung wird von Dekorateuren und Ingenieuren vorgegeben. Die Häuser fangen an zu schwitzen, und die Architekten haben das Nachsehen. Neubauten, die den energetischen Vorgaben folgen, werden immer gleichförmiger. Auch die Grundrisse. Die Beziehung von Konstruktion und Oberfläche wird allenfalls über den technischen Kamm geschoren. Die Ästhetik ist abgehängt.

Wohin die Häuser ausgerichtet werden, ist egal. Sie werden gegen regionale Besonderheiten abgeschottet. Gerade diese Besonderheiten wurden einmal dem Klimaschutz dienstbar gemacht. Bernard Rudofsky, der sich der Erforschung vorneuzeitlicher, indigener Gebäude- und Siedlungstypologien widmete, die klima-adaptiv sind, leitete daraus die Maxime ab, nicht länger die Natur zu erobern, was ein Kolonisierungsprozess ist, sondern sich an sie anzupassen und ihr einzugliedern. Für Planer sind die Fragen aktueller denn je: Wie beeinflussen sich die Gebäude wechselseitig, wie sind die Grünflächen der Umgebung situiert?

Eine nachhaltige, klimapositive Stadtentwicklung und die Hausdämmung kämen auf einer Ebene zusammen, wenn das Klima als Ganzes als Bestandteil des Architekturraums betrachtet wird. Es geht nicht um die Addition einzelner Elemente und die Isolierung technischer Maßnahmen, sondern die Architektur muss auf die klimatische Herausforderung mit der Entwicklung einer neuen Formensprache reagieren, die mit unterschiedlichen Typologien auf die jeweiligen Umweltbedingungen eingeht.

Als abschreckendes Beispiel könnte das "Bauhaus" gelten, das sich um solche Fragen nicht geschert hat. Aber zum einen haben dessen Architekten sehr wohl die Umgebung einbezogen, wie deutlich beim Haus Tugendhat in Brünn zu sehen ist, und zum anderen können in energetischer Hinsicht verpönte Vorhang-Glasfassaden wie die in Dessau in anderer Verwendung und Machart zur energiesparenden Belüftung und Klimatisierung des Hauses dienen, wofür es genügend Beispiele sogar in Afrika gibt. Eine Weiterentwicklung jener gläsernen Vorhänge wäre heute etwa das "Haus-in-Haus"-Prinzip.

Der Fokus liegt auf der Durchlässigkeit der Beziehung von Umwelt, gebautem Raum und menschlichen Körper. Die Befürworter des Plastik-Dämmens weisen darauf hin, dass Faktoren wie Diffusion, Osmose und kapillare Ausbreitung viel zu geringfügig sind, um ins Gewicht zu fallen. Aber sie sollten nicht die gesellschaftliche Diskussion darüber abblocken, was Öffnung sowohl sozialräumlich als auch technisch bedeutet. Es wäre eine Diskussion über Öffnungen des umbauten Raumes zur Gesellschaft, über Annäherungen und Abstoßungen von menschlichen und sachlichen Körpern und über den Austausch des Eigenen mit dem Fremden. Dämmen, wie es zur Zeit gleichsam ahistorisch betrieben wird, ist eine aseptische Abwehr.

Das Bauhaus steht dafür, dass seit dem Aufbruch in die Moderne die Räume ineinander verfließen. Klimagerecht Bauen heißt, das Haus im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten pulsieren zu lassen. Die Fassade des atmenden Hauses ist seine Atmosphäre. Die Oberfläche der Häuser wurde sogar als soziales Element bezeichnet, weil sie etwas über das Verhältnis von Innen und Außen, von Individuum und Gesellschaft aussagt.