Dämmen macht unsinnlich
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Die Kunststoff-Verblendung unserer Städte im Namen des Klimaschutzes stößt auf wachsenden Widerstand bei Architekten
Als die Bürger von Schilda ihr neugebautes Rathaus einweihen wollten, stellten sie fest, dass es innen stockdunkel war. Ihr Einfall, das Licht in Säcken und Eimern ins Haus zu tragen, half ihnen nichts. Es blieb dunkel, bis einer entdeckte: Wir haben die Fenster vergessen. Die Bürger von Schilda waren für die bauphysikalischen Gesetze unserer Zeit ein Vorbild. Das beste wärmegedämmte Haus ist vollkommen in Styropor verpackt. Fenster haben schlechte Wärmedurchgangswerte. Aber, lautet die Antithese, wenn Fensteröffnungen nach Süden ausgerichtet sind, können sie doch positiv zur Energiebilanz beitragen. Sie sollten größer sein. Die Widersprüche beim Hausbau heutzutage sind größer als die der Schildbürger.
Bei einem Längsschnitt-Vergleich identischer Häuser aus den 50er Jahren, die unterschiedlich energetisch saniert wurden, schnitt das Passivhausrechnerisch am schlechtesten ab. Die Technik funktionierte nicht oder war zu kompliziert zu bedienen. Ein Vertreter der Hauseigentümerin zog Bilanz: "Sparsame Menschen haben vorher schon Energie gespart, Vielverbraucher verbrauchen auch weiterhin viel."
Der Mensch wird zum Risikofaktor der Technik. Wenn etwas mit der Dämmung nicht klappt, liegt die Schuld immer beim Nutzer. Während er vor der energetischen Sanierung im Zustand der Unschuld lebte, zugige Fenster und mäßige Temperaturen bei eingespieltem Raumklima hinnahm, lautet nach der Sanierung, wenn sich Schimmel insbesondere an Wärmebrücken bildet, die Anklage: Er lüftet falsch. Als wäre er verantwortlich für das Hin- und Herspringen des Taupunktes in der wärmegedämmten Wand und die Bildung von Kondensat.
Aber für einen kompletten Freispruch des Nutzers vor allem in Gestalt des Mieters reicht es auch nicht. Den Einspareffekt kompensiert er durch die Hochregelung der Raumtemperatur. Das ist der Rebound-Effekt: Eine relative Verringerung des Einsatzes an Heizenergie wird durch eine absolute Vermehrung der eingesetzten Menge kompensiert. Der Effekt trifft auch auf die Energiebilanz in Deutschland insgesamt zu. Das ist die neue Kollektivschuld.
An unsere Ahnen zu erinnern, die in der Mehrzahl nur ungeheizte Schlafzimmer kannten, klingt scheinbar romantisch, aber für diese war es eine ganz sachliche und ressourcenschonende Einrichtung. Sie schliefen unter dicken Betten, die sie mit Bettpfannen vorwärmen konnten. Die luftigen Federbetten waren die optimale Wärmehülle, denn sie schmiegte sich dem menschlichen Körper an.
Heute wird das ganze Haus umhüllt. Der Nutzer sitzt dem Versprechen der Industrie auf Behaglichkeit allüberall auf. Dass dies ein Fake ist, geht allein aus einem Faltblatt des "Qualitätsgedämmt e.V." hervor, das sich über Ulrich Wickert, den fernsehtauglichen Spitzenbotschafter der Polystyrol-Behaglichkeit auslässt: "Sein Gesicht und der Klang seiner Stimme "stehen für den allen vertrauten Überbringer verlässlicher Informationen in sämtlichen großen Fragen." In der Umkehrung mag es zutreffen: Eine energetische Sanierung ist wenig verlässlich.
Wickert war einer der bekanntesten ARD-Moderatoren. In seinem jüngsten Buch "Identifiziert euch!" plädiert er für ein neues Heimatgefühl. Das bekommt er auch. Die Städte werden gerade in Styropor wie neu gebaut. Das Nachmodellieren von Gründerzeitfassaden in Hartschaum setzt der Phantasie und dem Schneidewerkzeug keine Grenzen. Der verstorbene Dämmkritiker Konrad Fischer sprach von "Dämmschaum-Gekröpfe". Durch die Verdickung der Häuser stimmen auch die Proportionen nicht mehr. Bei Fenstern von Nachkriegsbauten stellt sich der Schießscharteneffekt ein.