Dämmen macht unsinnlich

Seite 3: Let air in, let air out

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So wie die Stadt idealiter empfänglich für Frischlufteinfall und das Hineinfließen von Landschaft ist, sollte auch die Hülle des Hauses durchlässig sein. Das ist architektonisch auf verschiedene Weisen darstellbar. Die technischen Werte können diesem Ansatz untergeordnet werden. Der Widersinn des Kunststoff-Dämmens auf Teufel komm raus liegt doch vielmehr darin, dass es die Bewohner optimal bis überoptimal vor einer Außenluft schützen soll, die zur Erneuerung des Innenraumklimas benötigt wird. Da kann kein Mensch richtig lüften. Der Stoffwechsel von Mensch und Natur ist gestört.

Die Krux ist die Einseitigkeit, die zur Fraktionsbildung im Dämmstreit beiträgt. Dabei kommt es doch auf die richtige Mischung aus Dichtung und Durchlässigkeit an. Und noch besser: Schutz durch Durchlässigkeit. Es gehört zu den ältesten Gebäudetechniken, die Natur eindringen zu lassen, um sie mit ihren eigenen Mitteln zu domestizieren. Das Schwarzzelt der Nomaden sei es im Mittleren Atlas, sei es in Tibet, ist traditionell aus dem Haar schwarzer Ziegen hergestellt. Dringt Regenwasser ein, quillt das Gewebe auf, und die groben Poren schließen sich. Die Zelte sind mit Wasser gegen Wasser gewappnet. Sie sind auch, da von flexibler Konstruktion, gut klimatisiert.

Schwarzzelt, Marokko. Bild: H. Grobe / CC-BY-SA-3.0

Auf solche aussterbenden Techniken, die mit durchlässigen Texturen arbeiten, verwies Christiane Sauer auf einer Veranstaltung des "Deutschen Architektur Zentrums" (DAZ) Berlin. Sie experimentiert selbst an der Kunsthochschule Weißensee mit gehärtetem Textil als konstruktivem Element. Sie nennt es "gestrickte Wand". Auf der Veranstaltung wurden darüber hinaus zwei realisierte und prämierte Projekte nachhaltigen Bauens vorgestellt, die Wärmedämmverbundsystemen abschwören.

Anna Weber und PeterTschada stellten 2018 in Berlin-Friedrichshain ein Haus mit 13 Wohn- und zwei Gewerbeeinheiten fertig. Die Wärmedämmung besteht aus übereinander gestapelten Mineralwollblöcken in gesteckter, nicht geklebter Fügung. Die Dämmebene wird von Holzbrettern begrenzt, gefolgt von einer textilen Unterspannbahn mit Hinterlüftung, Den Abschluss der Fassade bildet eine schwarze textile Netzverkleidung zur Verschattung und gegen Starkregen. Der Sinn dieser Schichtung erschließt sich durch die leichte Demontierbarkeit und das sortenreine Recycling nach Ende der Nutzungsdauer.

Wohn- und Geschäftshaus in Friedrichshain von "orange architekten Tschada Weber". Bild: Bernhard Wiens

Dieses Prinzip zieht sich durch das ganze Haus, das über ein außen liegendes Treppenhaus und Laubengänge verfügt. Die "einfache Architektur" macht jederzeit eine Umnutzung möglich. Die Raumstrukturen sind, da nicht von tragenden Wänden begrenzt, flexibel. Das Raumgefüge ist gut durchlüftet, und die Baumassen im Inneren speichern den Wärmeeintrag durch Sonnenlicht.

Das zweite Projekt nennt sich "Cubity". Darmstädter Studierende entwickelten 2014 im Rahmen eines Wettbewerbs ein Studierendenwohnheim im Plusenergiestandard. Dieses Gebäude soll mehr Energie gewinnen als ihm von außen zugeführt wird. Zwölf Wohnkuben mit einer Netto-Grundfläche von je 7,13 qm sind paarweise gestapelt nach dem Haus-in-Haus-Prinzip. Die modulare Bauweise gewährleistet, die aus größtenteils nachwachsenden Materialien gefertigten Bauelemente rückbauen und umnutzen zu können.

"Cubity". Bild: Valeria Anzolin / SDE Versailles 2014 / CC BY-NC-SA 2.0

Die minimierten Kuben, in die auch Sanitärzellen inbegriffen sind, machen Platz für einen großen Gemeinschaftsbereich, der jedoch "klimatisch zoniert" ist, will heißen: Die Beheizung ist nur für mittlere Außentemperaturen ausgelegt. Hier fingen die Schwierigkeiten an. Die studentischen Bewohner stellten eigene mobile Heizkörper auf. Sie vermehrten die wenigen Steckdosen. Sie bemängelten die zentrale Gebäudesteuerung und die automatisierten Lüftungsszenarien. Sie hätten gerne einmal Hand angelegt beim Öffnen der Außenfenster.

Die Energiebilanz war ernüchternd. Was wurde falsch gemacht? Die Gründe dürften wieder einmal im Gesellschaftlichen liegen. Die bunt zusammengewürfelten Studierenden der ersten Staffel, die 2016 einzogen, kannten sich nicht untereinander. So ansprechend und gründlich dieses Werk des Architekturnachwuchses ist, kommt es doch an die Untiefen des PodSharing heran, wo sich die Bewohner gleichgültig sind, obwohl sich alles in einer Wohnung abspielt. Das ist die letztendliche Aufkündigung des Gemeinschaftsgedankens, der das studentische Wohnen der 68er-Bewegung geprägt hat. Was von der Bewegung in den Dekaden des Dämmens und Sanierens übriggeblieben ist, ist der "Faktor Mensch", der nur noch stört. Die Störung liegt schon im Begriff: Der Faktor ignoriert den Menschen.

Die mangelnde Verantwortung und Passivität, die überall in den Wohnverhältnissen von Vorgefertigtem verursacht ist, kann nicht wiederhergestellt werden, indem Häuser verklebt und Modernisierungskosten an die Mieter durchgereicht werden. Klimaschutz sollte nicht zwischen Gewinnstreben hier und Sonntagsreden da zerrieben werden. Er kommt nur in dem Maße voran, wie sich die Gesellschaft ihrer eigenen Widersprüche bewusst wird.

Die Veranstaltung im DAZ wirkte wie ein Pfeifen im Walde. Der Architektenstand wird von der Frage eingeholt, ob er im Land der Hartschaumgötzen-Dämmung überhaupt noch gebraucht wird. Aber der "Bund Deutscher Architekten" gibt nicht auf und mahnt: "Damit ökologische Verhaltensweisen akzeptiert und praktiziert werden, müssen sie vorstellbar und erlebbar werden - sinnlich und wirklichkeitsnah."2 Das kann Architektur.