Daimler: Wie "mühsame Verhandlungen" mit dem Betriebsrat laufen

Seite 2: Flexibilisierung als Flächentarifvertrag

Den Forderungskatalog der Arbeitgeber für die Tarifrunde fasst die IG Metall übersichtlich zusammen:

Einschränkung der Alterssicherung: Aufweichen des Alterskündigungsschutzes und der -verdienstsicherung. Abschaffen von bezahlten Pausenregeln, z.B. von Dreischicht- und Erholzeitpause. Absenkung tarifvertraglicher Standards: Veränderung der Zuschlagszeiträume für Spät- und Nachtarbeit zum Nachteil der Beschäftigten. Urlaubs- und Weihnachtsgeld sollen durch die Betriebsparteien in Teilen variabilisiert und ertragsabhängig ausgestaltet werden können. Keine Entgeltsteigerungen, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht ist, in jedem Fall nicht vor 2022 - das entspricht einem Reallohnverlust. Kostenentlastung für alle Unternehmen: Die Arbeitskosten sollen sinken und Betriebe sollen tariflich verankert individuelle Möglichkeiten erhalten, um vom Flächentarif abzuweichen.

Scheibenwischer 2/21

Noch ein Stück übersichtlicher fasst es Arbeitgeberpräsident Wolf zusammen:

Wir wollen ja gar nicht an die Tabelle ran, müssen aber andere Möglichkeiten für Kostensenkungen finden.

Natürlich lehnt die IG Metall die "Horror-Liste" von Herrn Porth ab und stellt unter dem hübschen Motto "Beschäftigung sichern, Zukunft gestalten, Einkommen stärken" ihrerseits Forderungen. Nach ein paar Verhandlungsrunden sind beide Seiten zufrieden: "Ein wirklich guter Abschluss" (Wolf); "Beschäftigung und Zukunft gesichert, Angriffe der Arbeitgeber abgewehrt" (IG Metall). Bleibt die Frage, was das für die Beschäftigten bedeutet.

Tariferhöhungen jedenfalls nicht. Eine Corona-Prämie von 500 Euro haben sie sich mit ihrem erfolgreichen Einsatz für die Unternehmensbilanzen in Krisenzeiten aber verdient. Vor allem jedoch haben sie zu gewärtigen, dass ihnen in Zukunft wegen Krise, Transformation oder warum auch immer eine Arbeitszeitreduktion auf bis zu 28 Stunden ("4-Tage-Woche") angesagt werden kann, und das unbefristet. Gesichert wird also nur, dass ihre Beschäftigung weniger kostet - eine Sicherheit, die sich nicht einmal mit einem teilweisen Lohnausgleich durch ihre Arbeitgeber verträgt.

Sie können allerdings ab Februar 2022 selbst eine Sonderzahlung namens "Transformationsbaustein" einsetzen, also einen eigenen Lohnbestandteil als Mittel des Lohnausgleichs interpretieren. Diese neue, prozentual auf den Lohn bezogene Sonderzahlung erhalten alle Beschäftigten, ihr spezieller Reiz erschließt sich aber im Falle der verordneten Arbeitszeitabsenkung:

[Dann] gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Anwendung: 1. Alle Beschäftigten eines Betriebs tragen solidarisch mit einem Teil ihres Trafobausteins dazu bei, die Arbeitszeit-Absenkung von betroffenen Beschäftigten finanziell abzufedern. 2. Jeder Beschäftigte finanziert mit seinem Trafobaustein teilweise oder ganz seine eigene Arbeitszeitabsenkung. In diesem Fall kann der einzelne Beschäftigte seine Entgelteinbußen individuell weiter durch die Einbringung von Sonderzahlungen verringern.

Pressemitteilung der IG Metall vom 31.3.21

Für derartige Münchhausen-Manöver bleibt den Beschäftigten im Prinzip auch das 2018 vereinbarte "Tarifliche Zusatzgeld" erhalten, dessen vorangegangene Vereinnahmung durch Daimler die Blaupause für den neuen Baustein abgibt. Wo das T-ZUG noch nicht zwangsweise in freie Tage umgewandelt ist, sondern möglicherweise ausgezahlt wird, erfolgt das 2021 erst im Oktober und nicht wie sonst im Juli - im Juni gibt es ja schon die Corona-Prämie.

Außerdem sollte die Nettoumsatzrendite des Arbeitgebers nicht unter 2,3 Prozent gefallen sein. Für diesen Fall bekommt der Mitarbeiter nämlich Sinn und Zweck der Lohnzahlung handgreiflich zu spüren: Die Auszahlung wird verschoben oder gestrichen, als Automatismus aber vorerst nur in 2021. Auch das Weihnachtsgeld wird flexibel, wenn die Betriebsparteien sich darauf einigen, seine Höhe an das Betriebsergebnis "anzupassen": 50 Prozent sind drin, in beide Richtungen.

Und schließlich müssen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie noch zur Kenntnis nehmen, dass der Flächentarifvertrag ihren Betrieb und ihre Gewerkschaft gar nicht bindet, sondern freisetzt, abweichende "betriebliche Zukunftstarifverträge" zu schließen. Mit einem können sie fest rechnen: Für die Sicherung ihrer Beschäftigung wird wirklich alles getan.