Danaer-Geschenk?

Die US-Regierung will Europa unter den Schirm ihres teuren, noch bestenfalls "rudimentären" Raketenabwehrsystems holen, angeblich zum Schutz vor iranischen Langstreckenraketen - Polen oder die Tschechische Republik sind für die Stationierung von Abfangraketen im Gespräch

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Raketenabwehrsystem, das die Bush-Regierung seit Amtsantritt massiv forciert hat und in das jährlich 10 Milliarden US-Dollar geflossen sind, ist bislang eines der teuersten Rüstungsprojekte und nach Ansicht vieler Kritiker bislang eine Pleite. Obgleich es zahlreiche Mängel aufweist und kaum wirklich einen Schutz gegen eine Langstreckenrakete garantiert, hatte sich das Pentagon beeilt, noch vor den letzten Präsidentschaftswahlen erste Abfangraketen in Alaska und auf der Luftwaffenbasis Vandenberg in Kalifornien zu installieren. Gerne würden die USA, auch zur weiteren Finanzierung, befreundete Länder unter den „Schutzschild“ holen und so technisch und militärisch zu binden (Die große Mauer). Bislang mit wenig Erfolg. Nun versucht die US-Regierung ihr Glück in Polen. Schützen soll das unausgereifte Rüstungsprojekt angeblich gegen mögliche iranische Raketen, eine Installation dürfte aber vor allem Folgen für die Beziehungen zu Russland haben.

Allerdings hatte die US-Regierung immerhin Japan von einer Kooperation für das seegestützte Aegis-System überzeugen können – Dänemark und Großbritannien wollen bislang nur jeweils ein Frühwarnungs-Radarsystem installieren, in Japan soll demnächst die erste X-Band-Radarstation in Tsugaru eingerichtet werden. Im März wurde bereist ein erster Test mit einer gemeinsam entwickelten Abfangrakete durchgeführt. Japan ist immer noch Mitglied der von Bush organisierten „Koalition der Willigen“, die mit dem Amtsantritt von Prodi weiter am Bröckeln ist, aber es ist neben anderen wechselseitigen Geschäften wohl die Nähe zu Nordkorea und China, die der japanischen Regierung das amerikanische Raketenabwehrsystem schmackhaft machte.

Start einer Abfangrakete vom Ronald Reagan Testgelände auf den Marshall Islands. Bild: MDA

Als Legitimation für die in den USA stationierten Abfangraketen wurde ebenfalls der Schutz vor allem vor nordkoreanische Langstreckenraketen angeführt. Zwar wurde trotz aller Mängel das System mit seinen „begrenzten Kapazitäten“, wie man selbst im Pentagon einräumte, für funktionsfähig erklärt, im Gegensatz zu anderen Rüstungsprojekten will man aber Tests zur Evaluierung umgehen, indem das System „evolutionär“ oder „spiralförmig“ entwickelt wird, es soll also ständig weiterentwickelt und modernisiert werden. Vordringlich ging es aber darum, die ersten Installationen zu begründen ("Sie starten eine Rakete, wir schießen sie ab"). Im April berichtete das Pentagon, nun sei ein „rudimentäres Raketenabwehrsystem“ vorhanden, was wichtig sei, weil bereits 25 Länder ballistische Raketen hätten und 9 Länder mit ihren Raketen die USA oder einen ihrer Alliierten treffen könnten:

The United States today has all the pieces in place needed to intercept an incoming long-range ballistic missile: ground-based interceptors in Alaska and California; a network of ground-, sea- and space-based sensors; a command-and-control network; and, most importantly, trained servicemen and women ready to operate the system.

Peter C.W. Flory, Pentagon-Staatssekretär für die internationale Sicherheitspolitik

Bislang fanden die Tests allerdings unter nicht realistischen Situationen statt, nämlich zu den Tageszeiten mit den besten Sichtbedingungen, mit Zusatzdaten, die im Ernstfall nicht verfügbar wären, mit nur einer Sprengkopf-Attrappe und ohne den Einsatz von mehreren Spreng- oder von Störkörpern oder den vielen möglichen Täuschungsmitteln, die von jedem Feind, der Langstreckenraketen besitzt, leicht eingesetzt werden könnten. Die Russen haben zumindest schon einmal gesagt, dass sie ein Raketensystem entwickelt und erfolgreich getestet hätten, mit denen sich das amerikanische Raketenabwehrsystem umgehen lasse. Damit werde das strategische Gleichgewicht wieder hergestellt. Gleich, ob ein solches System bereits vorhanden ist oder nicht, belegt dies, dass man mit dem Raketenabwehrsystem längst wieder in die Phase eines Wettrüstens eingetreten ist.

Für das Raketenabwehrsystem hat die Bush-Regierung für das Haushaltsjahr 2007 mit 11,2 Milliarden US-Dollar mehr als bislang gefordert. Neben der weiteren Entwicklung sollen mehr Abfangraketen auf dem Land installiert werden. Auch die ersten seegestützten, in den Tests besser funktionierenden Aegis-Abfangraketen sollen einsatzbereit gemacht werden. 10 Abfangraketen sollten aber ab 2010 auch in Europa stationiert werden. Der Plan wurde schon 2004 bekannt, damals hieß es, man wolle 2006 mit dem Bau der Infrastruktur beginnen, damals wurde an Ungarn, Polen oder die Tschechei gedacht. Für das Haushaltsjahr 2007 wollte das Pentagon 118 Millionen Dollar, um nach einem entsprechenden Ort zu suchen. Wie die New York Times jetzt berichtete, scheint man sich inzwischen am stärksten Polen und der Tschechei zuzuwenden, Verteidigungsminister Rumsfeld soll noch in diesem Jahr eine Empfehlung geben.

Seegestütztes X-Band-Radarsystem. Bild: MDA

Allerdings ist das Raketenabwehrsystem auch im Kongress unter Beschuss geraten. Der zuständige Streitkräfteausschuss des Repräsentantenhauses hat einige erhebliche Streichungen vorgeschlagen. So sollen die Gelder für die weitere Entwicklung des Airborne Laser (ABL) gestrichen oder weitgehend gekürzt werden. Gekürzt werden sollen auch die Gelder für das Multiple Kill Vehicle (MKV), das Kinetic Energy Intercept-Programm und das High Altitude Airship (HAA). Im Kongress ist man aber weiter bereit, dafür mehr Geld in das seegestützte Aegis-System zu stecken. Da es gegenüber dem landgestützten Ground Midcourse Defense-System (GMD) erheblich Bedenken aufgrund der mangelnden Fortschritte gibt, soll auch das Geld für die in Europa geplante Stationierung von den gewünschten 118 auf 56 Millionen zusammengestrichen werden. Der Ausschuss hätte am liebsten das gesamte Geld gestrichen, doch der Streitkräfteausschuss des Senats war dagegen, weswegen man sich auf die Hälfte einigte.

Angeblich sollen, wie die NYT berichtet, die vielleicht einmal in Polen stationierten Abfangraketen Europa und auch die USA vor einem Angriff iranischer Atombomben schützen. Das aber ist wohl nur ein Versuch, die Diskussion abzulenken und die Bedrohung durch Iran weiter hochzuspielen. Die Einrichtung einer Basis des Raketenabwehrsystems in Polen, wo man schon lange Gespräche führt und offenbar auf offene Ohren stößt, oder in der Tschechischen Republik ist auf jeden Fall eine deutliche Geste gegenüber Russland und zugleich die Bekräftigung, dass das strategische Wettrüsten wieder begonnen und damit die Phase nach dem Ende des Kalten Kriegs abgeschlossen ist. Dafür spricht auch die Neuorientierung der Atomwaffenpolitik (US-Regierung plant die Herstellung neuer Atomwaffen) und das „Global Strike“-Konzept, das besagt, innerhalb einer Stunde ein beliebiges Ziel irgendwo auf der Welt mit einer konventionellen Rakete treffen zu können (CONPLAN 8022). Neben dem globalen Krieg gegen den Terrorismus und die geopolitische Sicherung der Energieversorgung tritt nun wieder stärker die Bedrohung durch Russland und China. Russland hat die USA bereits davor gewarnt, dass auch die Ausstattung interkontinentalen ballistischen Raketen (ICBM) mit konventionellen Sprengköpfen, wie im „Global Strike“-Konzept vorgesehen, zu einer unumkehrbaren Reaktion von Staaten führen könne, die Kernwaffen besitzen.

Der russische Verteidigungsminister hat schon deutlich gemacht, dass die Stationierung von Abfangraketen in Polen „einen negativen Einfluss auf das gesamte eurpäisch-atlantische Sicherheitssystem“ haben werde: „Die Wahl des Ortes zur Stationierung dieser Systeme ist seltsam, um es vorsichtig zu sagen.“ Der Konflikt weitet sich auch wieder einmal auf Lateinamerika aus. Venezuela will bekanntlich seine F-16 Kampfjets verkaufen, auch an Iran, weil dafür die Ersatzteile fehlen, dafür aber 100 Kampfflugzeuge aus Russland kaufen. Die russische Regierung will sich dem Druck der USA nicht beugen. Man habe eigene nationalen Interessen und die Beziehungen zur US-Regierung würden dadurch auch nicht schlechter, als sie jetzt schon sind.