"Dann werden die USA ihr blaues Wunder erleben"
Telepolis im zweiten Teil des Gesprächs mit dem Politökonomen Elmar Altvater über die Weltwährungskonkurrenz, die wirtschaftliche Situation der USA und der EU, den "point of no return" und mögliche Alternativen
Herr Altvater, in ihrem neuesten Buch "Konkurrenz für das Empire" schildern Sie den sich anbahnenden Konflikt zwischen dem Euro und dem Dollar um die Position der Weltwährung. Welchen Vorteil hat ein Wirtschaftsblock, wenn seine Währung Leitwährung wird?
Elmar Altvater: Eine Menge. Die USA haben gegenwärtig den großen Vorteil, dass sie die Ölrechnungen in Dollar bezahlen können und den Dollar können sie selber drucken. Das ist so, als wenn sie eine Ölquelle in den Kellern der Zentralbank besäßen. Die Chinesen und andere, die Hunderte bis Tausende Milliarden von Dollar an Reserven halten, weil der Dollar eben Leitwährung ist, kreditieren den Konsumrausch der amerikanischen Mittelklasse und haben jetzt Schwierigkeiten, vom Dollar loszukommen. Denn wenn sie ihn sehr schnell verkaufen würden, würde der Dollarkurs zusammenkrachen und dann wären nicht die Amerikaner, sondern die Chinesen ärmer.
Diese vielen Vorteile werden auch als Seignioragevorteile bezeichnet (Seigneur, das ist der Herr), die mit einer Leitwährung verbunden sind. Heute haben wir es bereits mit einem multiplen Währungsstandard zu tun. Der Dollar ist zwar immer noch die führende Weltwährung, etwa siebzig Prozent der Währungsreserven werden in Dollar gehalten, aber der Euro ist von Jahr zu Jahr stärker geworden. Einige regionale Währungen, vor allem von großen Ländern wie China spielen inzwischen eine beträchtliche Rolle.
Im arabischen Raum gibt es den "Golf-Kooperationsrat", der dazu übergeht, eine gemeinsame Regionalwährung zu bilden, einen gemeinsamen Währungskorb zu schaffen, in dem auch die Öleinnahmen abgewickelt werden können. Noch aber ist der US-Dollar die führende Ölwährung. In der ersten Ölkrise 1973 war es nur möglich, dass die Petroeinnahmen der Öl-Exporteure in Dollar „recycled“ werden konnten. Heute gibt es nicht mehr nur den Petro-Dollar, sondern auch einige andere Währungen. Das ist eine ziemlich instabile und für die USA unangenehme Situation, die sie auch mit der Invasion im Irak zu bereinigen versuchten. Jedenfalls beschloss im Mai 2003 die OPEC, beim US-Dollar als Ölwährung zu bleiben. Es ist von Vorteil, wenn ein Land oder ein Wirtschaftsblock wie die EU eine Leitwährung hat, weil dann mehr Möglichkeiten bestehen, mit dieser Währung „auf Einkaufstour“ zu gehen. Mit einer schwachen Währung wäre dies nicht möglich.
„Deutschland hat letztes Jahr eine Milliarde Euro weniger für Ölimporte aufbringen müssen“
Allerdings darf man die Kehrseite nicht unberücksichtigt lassen, wenn der Euro stärker und zu einer globalen Reservewährung wird. Denn für die Exportwirtschaft ergeben sich gewisse Nachteile. Für die Importwirtschaft hat dies umgekehrt große Vorteile, es wird alles billiger. Man sollte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass trotz des hohen Ölpreises Deutschland im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro weniger für Ölimporte hat aufbringen müssen, als im Jahr zuvor. Das nicht, weil weniger Öl verbraucht wurde, sondern weil in Euro gerechnet der Ölpreis, der in Dollar ausgedrückt wird, sehr viel niedriger war. In dieser Situation wären Länder, die nicht über eine starke Währung verfügen, benachteiligt und hätten große Schwierigkeiten, ihre Importe zu finanzieren. Zuletzt gibt es eine ganze Reihe von Ländern, die ihre Ölrechnungen nicht bezahlen können und die daher auch, was ihre Produktionsmöglichkeiten anbelangt, ins Hintertreffen geraten. In einigen afrikanischen Ländern stehen dann oft die Lastwägen am Straßenrand, weil kein Öl da ist.
Warum ist der Dollar im Ab- und der Euro im Aufschwung und wie wird die weitere Entwicklung ihrer Meinung nach aussehen?
Elmar Altvater: Die Dollarabwertung hat mit vielen Dingen zu tun, vor allem aber mit dem Doppeldefizit in den Vereinigten Staaten. Sowohl der Staatshaushalt als auch die Leistungsbilanz sind in einem hohen strukturellen Defizit. Die Leistungsbilanz war im letzten Jahr mit etwa 800 Milliarden US-Dollar im Defizit und dieses muss vom Ausland finanziert werden. Also müssen sich die USA sich immer weiter nach Außen verschulden. Andere Länder, in erster Linie, aber nicht nur: China, bauen sehr hohe Dollarreserven auf und könnten diese gegenüber den USA einsetzen. Z.B. könnte China versuchen, in den USA auf Einkaufstour zu gehen, Ölgesellschaften zu kaufen oder etwas anderes. Oder Dubai: Auch ein sehr großes Überschussland gegenüber den USA. Dubai hat versucht, die amerikanischen Westküstenhäfen von Miami bis New York aufzukaufen, was allerdings von den USA dann politisch unterbunden wurde ebenso wie der Erwerb einer kalifornischen Ölgesellschaft durch China. Man will „strategische“ Objekte nicht in die Hand von sogenannten “Staatsfonds“ geben. Nun kommt also ein neuer ökonomischer Nationalismus in Zeiten der Globalisierung auf.
Point of no return
Das Defizit im Staatshaushalt, das in etwa dem der Leistungsbilanz entspricht, kommt durch die Aufrüstungspolitik der Regierung Bush zustande. Bei Bill Clinton war der Staatshaushalt ausgeglichen bzw. sogar überschüssig aber seit der Regierung Bush ist der sehr stark defizitär. Hinzu kommt die neoliberale Ideologie und Politik, den Reichen, den Leistungsträgern, wie unterstellt wird, Steuern zu erlassen, damit sie investieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Auf diese Weise, so ist die Hoffnung, kommen wieder neue Steuereinnahmen zustande, mit denen das Defizit gefüllt werden kann. Steuern sollt man also senken, weil die so zusätzlich entstehenden privaten Einkommen zu zusätzlichen Investitionen, zu Wachstum und weiter steigenden Einkommen und Steuern bei niedrigeren Sätzen beitragen. An diesen Zusammenhang haben die Leute geglaubt; das war auch, auch wenn es der gröbste Unfug ist, leicht, weil zumindest die Reichen davon profitierten. Die Steuersenkungen plus dem Ausgabenanstieg für die Kriege haben eben dazu geführt, dass der Staatshaushalt der USA defizitär ist. Allerdings gibt es Grenzen, denn die Defizite müssen vom Ausland finanziert werden. Wenn aber das Ausland nicht mehr bereit ist dies zu tun, dann werden die USA ihr blaues Wunder erleben. Dann wird der Dollar abschmieren und dann wird es zu dem “point of no return“ kommen. D.h. der amerikanische Mittelklasse, die durch die Defizite über Jahre in die Lage versetzt worden ist, ihre Sparquote negativ zu halten, also mehr zu konsumieren als überhaupt produziert worden ist, wird dies nicht mehr möglich sein.
Wenn der Dollar Leitwährungsdignität verlieren würde, was hätte dies zu bedeuten?
Elmar Altvater: Wenn der Dollar nicht mehr die Funktion der Leitwährung wahrnehmen kann, weil er nicht mehr akzeptiert wird und die Ölländer beispielsweise ihre Ölrechnungen nicht mehr in Dollar fakturieren, sondern in anderen Währungen, dann werden die USA in große Schwierigkeiten kommen, ihre Ölrechnung zu bezahlen. Dann müssen sie nämlich erst z.B. Euro verdienen, um das Öl zu bezahlen, das sie importieren müssen. Und sie müssen etwa siebzig Prozent des Ölverbrauchs importieren, auch dies ein Zeichen für peak oil. Denn bis in die frühen Siebziger Jahre hinein hatten die USA einen Ölüberschuss und konnten mehr Öl fördern als verbrauchen, also Öl exportieren.
Konsequenzen für die Weltwirtschaft
Aber das ist längst vorbei. Wenn sie jetzt das Öl importieren müssen und nicht mehr mit Dollar bezahlen können, dann müssen sie andere Währungen durch Steigerung der Exporte einnehmen, um die Ölrechnung zu begleichen. Die Steigerung der Exporteinnahmen geht nur, wenn der Dollar abgewertet wird. Das hat natürlich Konsequenzen für die gesamte Weltwirtschaft, auch für Europa. Deswegen wird sich auch für die Bundesrepublik in einer solchen Situation eine ganz neue Fragestellung ergeben: Ist es noch in Zukunft politisch machbar und weitsichtig, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung vor allem von Exporteinnahmen abhängig macht oder muss man nicht vielmehr die Binnenkaufkraft stärken, um sich von den Turbulenzen, die auf den Weltmärkten zu erwarten und z. T. schon eingetreten sind, etwas unabhängiger zu machen?
Können Sie gesellschaftliche Akteure (Ökonomen, Theoretiker, Bewegungen, Bürgerinitiativen) benennen, welche hierzulande der neoliberalen Entwicklung trotzen?
Elmar Altvater: Das ist leicht und schwer zugleich zu beantworten. Leicht insofern, weil es eine Reihe von Gruppierungen gibt, die sich mit Alternativen beschäftigen, z.B. die “Memorandum-Gruppe“, die Jahr für Jahr ihr Memorandum für eine andere Wirtschaftspolitik herausgibt und mit sehr konkreten Vorstellungen und Vorschlägen auftritt. Es gibt eine “Euro-Memorandum-Gruppe“, die auf europäischer Ebene etwas ähnliches tut und aufzeigt, wo die europäische Wirtschaftspolitik fehlerhaft, wo sie nicht konsistent ist, wo auch den sozialen Bedingungen für eine ökonomische Entwicklung nicht Rechnung getragen wird. Es gibt dann sehr viele Gruppen, die noch sehr viel radikaler an Alternativen herangehen, sei es in Richtung einer Vergenossenschaftlichung oder in Richtung einer sogenannten solidarischen Ökonomie. Dafür setzen sich nicht ganz unwesentliche soziale Bewegungen ein...
...welche Gruppen gibt es hier in Deutschland konkret?
Elmar Altvater: Naja, es gibt sie z. B., indem man Dinge selbst in die Hand nimmt, z. B. Elektrizitätsversorgung. Es gibt ja z. B. lokale oder regionale Elektrizitätsversorger, die genossenschaftlich organisiert sind. Bei der Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung gibt es ähnliche Beispiele. Das sind alles Klein-Klein-Geschichten, aber man muss sehen, sie passieren sehr häufig, sie summieren sich und es werden Erfahrungen gewonnen, die dann insgesamt für Alternativen von Bedeutung sind. Das sind sicher nicht die großen Kämpfe der Arbeiterklasse, aber doch seriöse Versuche, die Welt zu ändern. Dann sollte man auch ATTAC nicht vergessen. ATTAC ist eine Organisation, die ja bekanntlich 1998 vor genau zehn Jahren entstanden ist. Erstens als eine Antwort auf die Herausforderungen der großen Asienkrise 1997, als die Formel von James Tobin aus den frühen Siebziger Jahren, „den Finanzmärkten Sand ins Getriebe zu werfen“, durch “Le monde diplomatique“ in Politik umformuliert worden ist. Zweitens als ein Ausdruck der französischen Streikbewegung von 2008 in den Betrieben. Das alles wurde aufgegriffen von ATTAC.
Aber ATTAC ist mittlerweile sehr viel weiter und hat sehr viel mehr Forderungen entwickelt und auch begründet und theoretisch untermauert, die sich sowohl auf die Finanzmärkte als auch den Welthandel, die europäische Integration, die Arbeits- und Lebensbedingungen hierzulande, die Klimakrise usw. beziehen. Es gibt als einige Alternativbewegungen. Was man allerdings beklagen muss, das ist der Stillstand an den Universitäten. An den Universitäten wird, auch infolge der Übernahme des Bologna-Prozesses und der Einführung von BA und MA-Studiengängen fast keine kritische Wirtschaftstheorie und –analyse betrieben. Politische Ökonomie und Kritik der politischen Ökonomie, die Tradition, die sich auf Marx, aber nicht nur auf Marx beruft, ist an den Universitäten in Deutschland fast vollständig ausgemerzt, so dass von den Universitäten und der akademischen Welt gegenwärtig relativ wenig zu erwarten ist. Das mag sich ändern, das wird sich aber nur ändern können, wenn wieder so etwas wie eine Studentenbewegung entsteht. Sonst sehe ich für die Universitäten schwarz, aber außerhalb der Universitäten ist sehr viel Bewegung.