Das Banksystem der Armen
Informelle Geldüberweisungssysteme bilden eine erfolgreiche Schattenwirtschaft, die den herkömmlichen Banken ein Dorn im Auge ist
Im Zuge der Ermittlungen zum Anschlags auf das World Trade Center kam "Hawala", ein weltweites, öffentliches Geldtransfersystem in Verruf (vgl. Auf der Jagd nach den Schätzen von Terror, Inc.). Al Qaeda soll die traditionelle Form der Geldüberweisung, besonders populär in Asien und dem Mittleren Osten, für ihre Zwecke nutzen. Es scheint jedoch so, als ob das Wort "Al Qaeda" genügt, um ein unabhängiges, kostengünstiges, sich selbst regulierendes und sozial effektives System zu diskreditieren - und es möglicherweise zu eliminieren.
Anfang April fand in Abu Dhabi nun zum zweiten Mal eine große Internationale Konferenz zum Thema "Hawala" statt, um über die Zukunft des Geldtransfersystems zu beraten. Bereits 2002 hatten sich dort 400 Finanz- und Sicherheitsexperten aus 58 Ländern getroffen.
In erster Linie ging es um Erfahrungsberichte unterschiedlicher internationaler Institutionen wie der Weltbank, der UNO, sowie nationaler Zentralbanken und "Law Enforcement-Organisationen". Regionale Schwerpunkte waren Asien, der Mittlere Osten und Lateinamerika. Geklärt werden sollte, inwieweit "Informal Money Transfer Systems" (IMTS) von Terroristen, Drogendealern und anderweitigen Kriminellen missbraucht wird und wie man das IMTS am besten kontrollieren kann. Im Juni letzten Jahres hatten die Zentralbank der Vereinigten Emirate bereits über 60 Lizenzen für "Hawala-Geschäfte" vergeben, um einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der möglichen illegalen Missbrauch verhindern soll.
"Hawala" ist nicht das einzige, öffentliche Geldtransfersystem, das unabhängig vom normalen Bankverkehr existiert. In Pakistan wird es "hundi" genannt, in China ist es das "fei ch'ein" und in Lateinamerika das "Kolumbianische System".
Schnell, kostengünstig und sicher
Lässt man nationale Besonderheiten einmal beiseite, funktionieren alle IMTS nach den gleichen Richtlinien und verfolgen den selben Zweck: Möglichst schnell und kostengünstig, auf sicherste Weise Geld von einem Land in ein anderes zu transferieren. Nimmt man den normalen Bankweg, dann muss man nicht nur gültige Papiere vorlegen, sondern auch einige Seiten ausfüllen. Zudem sind die Gebühren des Banktransfers teuer und kann bis zu zwei Wochen dauern. Mit Western Union geht es zwar schneller, aber die Kosten bleiben hoch. Besonders für Emigranten und Gastarbeiter, die monatlich Kleinstsummen in ihre Heimatländer schicken, völlig unrentabel.
Zudem sind Banken in Entwicklungsländern oft nur in größeren Städten vorhanden, auf dem Land so gut wie gar nicht. Schickt also ein Sohn, der sich in Saudi-Arabien als Hilfsarbeiter verdingt, seiner Familie in Pakistan oder Indien 50 Dollar, dann muss der Vater nicht extra zwei, drei Tage in die nächst größere Stadt fahren. Er kann das Geld beim Lebensmittelhändler, im Goldgeschäft oder einem Elektroladen im nächst größeren Dorf oder einer nahe gelegenen Kleinstadt abholen. Und das eine Stunde später, nachdem der Sohn das Geld in Riad oder Mekka eingezahlt hat.
Die "Überweisung", die in der Regel nur 0,5 bis 1,25 Prozent kostet und den günstigeren Devisenwechselkurs des Schwarzmarkts berücksichtigt, basiert auf Vertrauen und dem "Gewohnheitsrecht". Der IMTS-Operator ("hawaladar") in Saudi-Arabien schickt ein Fax, eine Email oder telefoniert einfach mit seinem Kontaktmann in Pakistan oder Indien, teilt ihm die Summe und das Codewort mit, das zum Empfang des Geldes berechtigt. Der Kontaktmann kann aus der eigenen Familie sein oder stammt aus einer Familie, die seit Generationen im "Überweisungsgeschäft" tätig ist.
In den rund 200 Jahren, in denen IMTS in Asien und im Mittleren Osten bereits existiert, haben sich feste Strukturen entwickelt. Missbrauch, Korruption, Veruntreuung sind sehr selten. Nur ein einziger Betrug oder kleiner Fehltritt bedeutet für den "Transfervermittler" eine lebenslange Berufssperre.
Das "fei ch'ien" soll bereits im Alten China existiert haben, mit einem Kontosystem für Händler, damit sie ohne Angst vor Raub reisen konnten. Das "Kolumbianische System" in Lateinamerika ist weit aus jünger und stammt aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und ist ein Resultat des "Peso-Exchange-Schwarzmarkts".
Dorn im Auge der Banken
Das IMTS ist das "Banksystem der Armen", das insbesondere von den weltweit rund 300 Millionen Emigranten genutzt wird. Sie machen den weitaus größten Teil des internationalen Transferumsatzes aus. Wie viel genau "überwiesen" wird, kann nur sehr vage geschätzt werden. Laut einem Bericht des Commonwealth sollen es jährlich zwischen 100 bis 300 Milliarden Dollar sein. In Indien davon alleine zwischen 10 und 20 Milliarden und in Pakistan rund 5 Milliarden. In den USA soll der Umsatz des IMTS 4 bis 10 Prozent des GDPs (Bruttosozialprodukt) ausmachen und in Europa, so wird geschätzt, 7 bis 16 Prozent.
Diese "Schattenwirtschaft" ist und war allen Banken und Finanzbehörden der Welt ein Dorn im Auge. Für die Banken ist das IMTS eine nicht zu schlagende Konkurrenz, für die Finanzämter ein herber Verlust an Steuern und für die Zentralbanken mit vorgeschrieben, fixen Wechselkursen eine Absage an ihre Devisenpolitik.
In den letzten Jahren versuchte man dem IMTS immer wieder ein Ende zu bereiten. "Wellsfargo" bot ein System für Mexikaner an, auch ganz ohne Dokumente, Geld für reduzierte Bedingungen nach Hause zu verschicken. Western Union senkte ihre Gebühren um über 50 %. Im Libanon, Ägypten und Jordanien reduzierten die Banken ebenfalls die allgemeinen Transferkosten und entwickelten einen Schlüssel speziell für "Gastarbeiter". Doch alle Versuche, den riesigen Wirtschaftszweig zu übernehmen oder nur einen kleinen Teil des Kuchens zu bekommen, schlugen fehl. Ein System, das, wie auch ein Interpolbericht zugibt, "kostengünstig, effektiv, vertrauensvoll und völlig unbürokratisch ist", kann man einfach nicht so leicht schlagen.
Da kommt nun der Vorwurf des Missbrauchs durch "Terrororganisationen" gerade recht. Das Wort "Al Qaeda" genügt, um ein unabhängiges, kostengünstiges, sich selbst regulierendes und sozial effektives System zu diskreditieren und es möglicherweise zu eliminieren.
Nach dem 11/9 hieß es, "hawala" sei von den Flugzeugentführern benutzt worden, um ihre Aktion zu finanzieren. Dabei ist es erwiesen, wie auch der Commonwealth Report bestätigt, dass die Attentäter ihr Geld über Western Union und andere, ganz legale Bankwege verschickt und empfangen haben.
Hawala - kein "Underground-Bank-System"
Gemessen an den Millionen Normalbenutzern, dürfte die Zahl der illegalen Nutznießer von "Hawala" zu vernachlässigen sein. Die Möglichkeit, dass IMTS durch Terroristen, Drogendealer, Geldwäscher korrumpiert wird, ist äußerst gering. Jeder IMTS Operator, der sich auf Dauer mit einer dieser kriminellen Gruppen einlässt, wird früher oder später von seinen nationalen wie internationalen Kollegen mit einem Berufsverbot belegt. Man gibt ihm keine Aufträge mehr und nimmt auch von ihm keine mehr an. Ohnehin benutzen kriminelle Organisationen bevorzugt legale Bankwege, um große Summen zu transferieren oder zu waschen.
Regelmäßig Hunderttausende oder Millionen Dollar über IMTS zu verschicken, ohne jegliche offizielle Referenz ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst die Taleban haben es in Afghanistan nicht geschafft, das "Hawala" für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, geschweige denn zu kontrollieren.
Gerade in Afghanistan benutzen noch heute internationale Hilfsorganisationen bevorzugt das traditionelle Überweisungssystem, um Geld innerhalb des Landes zu verschicken.
IMTS ist kein "Underground-Bank-System", es ist gemeinhin öffentlich und für jedermann zugänglich. Es ist historisch eins der sichersten Systeme, Geld zu transferieren und erfüllt eine wichtige ökonomische Funktion.
Den meisten Teilnehmern der Konferenz in Abu Dhabi hielten es lieber mit der Definition der Zeitschrift "Time", die in einem Artikel (5. Oktober 2001) von "einem Banksystem für den Terrorismus" sprach. J. Orlin Grabbe, ein ehemaliger Professor der Wharton School of Business, der heute in Dubai lebt, macht auf ironische Weise deutlich wie absurd diese Einordnung ist:
Im einem der Stockwerke der Citibank in Manhattan scheint niemand zu arbeiten, bis das Telefon plötzlich läutet. Dann werden Notizen gemacht, Instruktionen geflüstert, die Tastaturen der Computer klappern. Die Männer dort transferieren Geld, zu Exporteuren, zu Drogenhändlern, Steuerflüchtlingen, an korrupte Politiker. Und an Terroristen. Ganz klar, es ist Zeit, die Citibank zu schließen.