"Das Bild von China ist interessengeleitet"
Seite 2: Patriotismus als Kitt einer gespaltenen Gesellschaft
- "Das Bild von China ist interessengeleitet"
- Patriotismus als Kitt einer gespaltenen Gesellschaft
- China als Alternative zum Westen für Afrika, Südamerika und auch Zentralasien
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Wie erleben Sie den Blick der Menschen in China auf ihr Land?
Andreas Seifert: Die meisten Chinesen sind sehr loyal zu ihrem Land – zumindest dieser Eindruck entsteht, wenn man sich mit den Privilegierten unterhält, denen man hier begegnet: Studierende, Unternehmer und Unternehmerinnen, Touristen.
Der gezeigte Patriotismus ist anerzogen und verinnerlicht und funktioniert als Kitt für eine sozial tief gespaltene Gesellschaft. Chinesen haben tatsächlich allen Grund stolz zu sein, auf das, was sie die letzten vierzig Jahre geleistet haben, und sie verschließen den Blick gegenüber den negativen Nebeneffekten nicht - nur öffentlich darüber sprechen, schon gar mit Ausländern, werden sie nicht mehr.
Und unser Blick?
Andreas Seifert: Unsere Debatte hier braucht aber einen unverstellten Blick auf China, um zu verstehen, was dort passiert und nicht jeder, der einen kritischen Blick pflegt, befüttert die "Dämonisierung" der Volksrepublik.
Wer hier in einer linken Debatte Kritik an der VR China ausspart und als "China-Bashing" abtut, hantiert mit einem verklärten China-Bild. Die Relativierung chinesischer Zustände oder Verhaltensweisen zu dem keineswegs zu verharmlosenden aggressiven ökonomischen Verhalten des Westens, insbesondere zum Gebaren der USA, verhilft zu keiner tragfähigen Beurteilung der VR China.
In den 30 Jahren, in denen ich die Volksrepublik China bereist und erforscht habe, hat sich das Land wesentlich gewandelt, haben sich Einstellungen geändert und Mentalitäten angepasst. Die Größe des Landes und seine Vielfalt sind dabei eine Herausforderung für jede Berichterstattung: Verkürzungen und Pauschalitäten führen in die Irre.
Wie bewerten Sie die Sicherheitspolitik? Oder, anders gefragt: Wer bedroht wen?
Andreas Seifert: Beginnend mit der Politik der Vier Modernisierungen hat China schon in den 1970er-Jahren begonnen, seinem Militär eine neue Struktur zu geben, es zu verschlanken, aber auch technologisch aufzurüsten.
Ziel aller Bemühungen war es lange Zeit, eine Landesverteidigung aufzubauen, die es mit jedem Angreifer aufnehmen kann. Die Demobilisierung von Soldaten und aktive Reduktion der Truppenstärke war dabei immer begleitet, von einer qualitativen Aufrüstung. Insbesondere seit den 2000er-Jahren hat es dabei einen deutlichen Ausbau der Marine und anderer technologieintensiver Truppenteile gegeben.
Die Dimension dieses Ausbaus ist sowohl Reaktion auf eine empfundene Bedrohung durch andere – vor allem die USA und Japan – wie sie auch selbst Ängste bei Anrainern auslöst.
Vietnam und die Philippinen sehen sich ganz unmittelbar von den immer öfter militärisch abgesicherten Explorationen und Gebiets- und Regelungsansprüchen der Volksrepublik in die Ecke gedrückt.
Die mediale Begleitung des Flottenaufbaus in den chinesischen Medien und insbesondere der Konflikt um das Südchinesische Meer sind von scharfer nationalistischer Rhetorik und gewichtigen Bildern geprägt.
Eine Art nationaler Endkampf, den die Marine bis zum letzten Mann zu kämpfen bereit ist. Volksrepublikanische Fischer fühlten sich ermuntert, vietnamesische Fischerboote selbst in einer gedachten 200-Meilen-Zone zu rammen und zu bedrohen.
Geht das alles aber nur von China aus? Welche Rolle spielen der Westen und die Nato?
Andreas Seifert: Beijing sieht sich massiv durch das militärische Engagement der USA und Japans bedroht. Die Rivalität zu Indien und zu den Anrainern am Südchinesischen Meer untermauern den Gedanken einer realen Einkreisung und Abriegelung.
Dieses Containment durch die USA findet nicht nur militärisch real an der Peripherie der chinesischen Grenzen statt, es ist auch Gegenstand diplomatischer und ökonomischer Bemühungen. Und es ist begleitet von der einseitigen medialen Inszenierung der VR als dem einzigen Aggressor in der Region. Es ist eine Inszenierung.
China verfügt über keinen ungehinderten Zugang zum Pazifik oder in den Indischen Ozean und auf dem Weg nach Europa oder Afrika gibt es mehr als eine Engstelle, die ein chinesisches Handels- oder Kriegsschiff passieren muss.
Hierin liegt die strategische Bedeutung der Paracel- und Spratly-Inseln, wie auch der Senkaku-/Diaoyu-Inseln. Der Aufbau militärischer Infrastruktur weit ab der eigenen Küste vor der Küste Malaysias kann man als defensiv interpretieren und hinzufügen, dass diese Anlage militärisch letztlich nur von geringem Nutzen ist. Man kann aber auch fragen, warum Beijing eigentlich in eine (scheinbar so offensichtlich nutzlose) Anlage so viel Energie und Geld steckt.
Sicher lässt sich Chinas Aufrüstung als Reaktion auf die westliche Eindämmungspolitik beschreiben, ist sie aber deshalb frei von Kritik, wenn sie doch etwa massiv dazu beiträgt, regionale Rüstungsdynamiken zu befeuern?
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