"Das Brüssel, das wir heute kennen, ist eine Festung!"
Seite 2: "Demokratisierung der Wirtschaft muss das Herz jedes ökonomischen Masterplans gerade bei der Bekämpfung der Umweltkrise sein"
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- "Weg von zentralisierten Banken, hin zu public domains!"
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Im Moment ist die Umweltbewegung ja wieder mal in Mode. Im Gegensatz zu Ansätzen in der Ökologie-Bewegung der 80er allerdings ohne gesellschaftskritischen Ansatz. In Deutschland wurde ja oft kritisiert, dass die Klimawende auf Kosten der Ärmsten geht, z.B. über die EEG-Umlage in den Stromrechnungen. Nun wird gar eine CO2-Steuer diskutiert. Lassen sich denn überhaupt vernünftige Ökologie und vernünftige Sozialpolitik vereinen? In for a penny - in for a Dollar, wie die Kalifornier sagen?
Yanis Varoufakis: Es ist unglaublich inspirierend zu sehen, wie die Diskussionen um den Klimawandel in letzter Zeit die politische Agenda erobert haben. Wir sind hier mit einer existenziellen Krise konfrontiert - und es erfordert dringend notwendige und rasche Schritte, um diesem großen Leiden gegenüber unserem Planeten und allen Lebewesen auf ihm entschlossen entgegenzutreten. So oder so, die breite gesellschaftliche Anerkennung des Klima-Problems zwingt alle Beteiligten zum Handeln - auch europäische Konservative, die sich dem über Jahrzehnte verweigert haben.
Es ist schön, es ist gut, dass der bisherige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Klima-Aktivistin Greta Thunberg so massiv den Rücken stärkt in der Öffentlichkeit - ja, und es ist schön, und es ist gut, dass auch Michel Barnier angekündigt hat, so etwas wie einen "EU Green New Deal" zu unterstützen.
Aber das kann nicht alles sein in diesen Zeiten, denn genau jetzt müssen wir darauf achten, dass dieses neue Interesse auch der European People Party (EPP) - also dem konservativen Parteienbündnis im Europäischen Parlament, dem u.a. auch die CDU und die CSU angehören - an den ach so "grünen" Themen nicht nur von den Interessen der Wirtschaft geleitet wird, also in reine Monetarisierung und "Finanzialisierungen", in mehr Privatisierung, in mehr wirtschaftliche Ungleichheit.
In Kalifornien, in New York City, im Schwabenländle, in Berlin ist Öko chic - aber die Gelbwesten aus den Pariser Vororten formulierten auf Plakaten: "Ihr redet vom Ende der Welt, wir reden über das Ende des Monats!" Ist dieser Einwand nicht berechtigt?
Yanis Varoufakis: Das ist das Problem, wegen welchem wir so hart für einen wirklichen Green New Deal für Europa kämpfen als DIEM25. Unser Vorschlag: die Demokratisierung der Wirtschaft. Das muss das Herz jedes ökonomischen Masterplans sein, gerade jetzt und bei der Bekämpfung der Umweltkrise. Der Notfall Klima ist eben beides - eine große Gefahr und eine große Chance für einen "radical shift" in der Art und Weise: Wir haben jetzt verstanden, wie diese Wirtschaft funktioniert, und wir wissen, wer den Benefit hat, wir wissen, wer davon profitiert. Es wäre verschwendete Zeit - wenn wir das jetzt nicht nutzen, um wirklich etwas zu ändern in der Wirtschaft.
"We will fight! - das ist die einzige Wahl, die wir haben"
But cut to the chase - oder wie wir in Hamburg sagen: Nu ma Budda bei die Fische: Haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die positive Kraft der Menschheit, das "Gute im Menschen"? Denn bedrohlicherweise votieren Menschen historisch wie aktuell aus freien Stücken ja auch für das Autoritäre und haben "Furcht vor der Freiheit" (Erich Fromm) ...
Yanis Varoufakis: Of course - to borrow a phrase: Auch, wenn mein Verstand mich pessimistisch werden lässt, so werde ich das Optimistische immer mit meinem Willen aufrechterhalten. Es gab sie schon immer, es wird sie wohl immer geben - diese Schwindler, die nur, um ihren eigenen persönlichen Interessen zu dienen, die Interessen der Bevölkerung, der Mehrheit, die diesen Personen vertrauen, auf's Schändlichste verraten.
Da denkt man an die 62 Prozent im Oxi-Referendum vom Sommer 2016 und was in einer Nacht später dann in Brüssel geschah ...
Yanis Varoufakis: Und das ist der Grund, warum wir heute nicht in unseren ach so gemütlichen Schreibtisch-Sesseln sitzen - wie luxuriös auch immer so mancher wohl sein muss. Wir werden kämpfen! Für die Elemente der Zivilisation, die wirklich zivilisiert sind. Wir werden kämpfen! Auf dass eine Welt alsbald entsteht, die das Wort Menschlichkeit verdient. "We will fight!" - das ist die einzige Wahl, die wir haben.
Wie jeder vernünftige Mensch sind Sie Kosmopolit. Aber auch Menschen, die nicht rechtspopulistisch sind, verstehen oft nicht, wie die EU in Brüssel so funktioniert, Beispielsweise beschäftigen die dortigen Institutionen nach eigener Auskunft über 60.000 Angestellte alleine in den Kernbehörden. Nun laufen in Deutschland ja große Werbekampagnen für die EU vor der Europa-Wahl … Aber was hat ein Hartz-IV-Empfänger in Rostock oder Dortmund davon, dass in Brüssel so viele Leute "für ihn" arbeiten? Soll der sich in seiner mehr als verständlichen Verzweiflung an ein melancholisches Sprichwort aus dem schönen, aber genauso benachteiligten Spanischen Viertel Neapels halten: non e vero … ma io credo - Ich weiß, dass es nicht stimmt, aber ich glaube trotzdem daran? Wie stellen Sie sich die EU der Zukunft across the board vor - eine, von der jeder Europäer etwas hat?
Yanis Varoufakis: Die konkrete Idee, die wir als Zusammenschluss im DIEM25 haben, wäre eine radikale Veränderung der EU und des Systems von Brüssel - und eine radikale, eine wirkliche Umverteilung der Macht überall in Europa!
Das hatten schon einige Politiker angekündigt - und selbst ein zutiefst liberaler, gar nicht linker Intellektueller wie Ralf Dahrendorf ist in seinen Reden am undemokratischen Zustand der EU und Europas verzweifelt …
Yanis Varoufakis: Das Brüssel, das wir heute kennen - das ist eine Festung! Und die Frage stellt sich: Wo hat der Mensch, der Bürger denn seine Bedeutung in diesem System der Bürokraten? Die 35.000 Lobbyisten, die es in Brüssel gibt etwa, die kennen das Layout dieser Struktur so gut wie ihre eigenen Hände. Aber für alle anderen, die normalen Leute, die nicht in diesen Strukturen arbeiten, für die Menschen ist es völlig undurchsichtig, was dort vor sich geht. Eins ist klar: so kann es nicht bleiben!
Brüssel - das könnte, das könnte(!) ein Fest der Demokratie sein, ein wahrlich schönes Fest, a beautiful celebration! Brüssel - das könnte eine offene Stadt sein, die mit offenen Armen alle Bürger empfängt, sich ihre Geschichten anhört, ihre persönlichen Geschichten anhört.
… ein urdemokratisches story-telling wie im Ur-HipHop oder im leidklagenden Gospel, eine kollektive speaker's corner wie dereinst in London …
Yanis Varoufakis: Es könnte eine Plattform sein, die den Bürgern hilft, die sich alle ihre Sorgen anhört. Und auf diese Weise könnte dann die Zukunft des Kontinents Europa entwickelt werden. Wir von der DIEM25 möchten den Vorschlag einbringen, dazu ganz neue Instrumente zu schaffen, um den Einfluss mächtiger Lobby-Gruppen und Lobbyisten einzuschränken. Diese Drehtür muss geschlossen werden - stattdessen müssen wirklich "normale" Bürger Zugang zu den innersten Prozessen der EU-Entscheidungen bekommen.
Aber wir müssen weit über Brüssel hinausdenken. So, wie es jetzt ist, damit können wir nicht weiter machen: Immer mehr und immer mehr Macht geht an einen geschlossenen Kreis von Leuten über, den "decision-makers", den sogenannten Entscheidungsträgern in Brüssel. Zum Beispiel: Dieser Green New Deal, den wir als DIEM25 vorschlagen, dieser Vorschlag sieht so aus, dass eine Art öffentliche Agentur ohne verschlossene Türen entsteht, die dann wiederum Bürger in Bürgerversammlungen an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt, wohin dann staatliche Investitionen fließen sollen. Die Bürger sollen in direkter und konkreter Demokratie an der Entscheidung beteiligt werden, wohin die Gelder fließen, worin investiert wird. Die Zentralisierung muss umgekehrt werden. Das lokale Level muss gestärkt werden - die Städte, die Communities, sollen selber entscheiden, wie sie leben möchten: So muss Regieren in Europa gehen.
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