"Das Brüssel, das wir heute kennen, ist eine Festung!"
Seite 3: "Weg von zentralisierten Banken, hin zu public domains!"
- "Das Brüssel, das wir heute kennen, ist eine Festung!"
- "Demokratisierung der Wirtschaft muss das Herz jedes ökonomischen Masterplans gerade bei der Bekämpfung der Umweltkrise sein"
- "Weg von zentralisierten Banken, hin zu public domains!"
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In den politischen Diskussionen von heute geht es aber vor allem um Wohlstandswachstum, -bewahrung, -verteidigung. Unter Bildung versteht man heute vor allem die Vorbereitung auf die Karriere, unter Entspannung das Ausruhen, um wieder für die Arbeit fit zu sein. Über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft wird viel diskutiert, real aber wird vor allem auf den Mehrwert und den Benefit gesetzt. Wie sollte sich die Arbeitsgesellschaft verändern, wenn es nach DIEM geht? Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Lösung, denn auch linke Ökonomen kritisieren es als unbedachte Umverteilung mit der Gießkanne?
Yanis Varoufakis: Um die Frage nach dem Grundeinkommen genauer zu machen. Naja, also wir erwähnen das BGE/UBI zwar in unserem Programm, aber es ist kein Allheilmittel, und wir behaupten auch nicht, dass wir nur wie Zauberer einfach mit dem Finger schnipsen könnten und dann über Nacht ergießt sich ein Regen von Geld über alles und jeden.
Unser Vorschlag dazu ist Teil eines wohl durchdachten Plans zur Demokratisierung der gesamten Wirtschaft. Es geht darum, langfristig das Eigentum, genauer: das große Vermögen in einen anderen Besitz, einen Besitz für jeden zu überführen. Geistige Errungenschaften - wem gehören sie? Anteile an großen Unternehmen, Beteiligungen an Banken - all das muss doch jedem nutzen. Weg von zentralisierten Banken, hin zu public domains! Diese bis jetzt ungenutzten "Reserven des Vermögens", wie man sie nennen könnte, durch sie könnten wir alle sozial wachsen.
Der Wohlstand Europas muss umverteilt werden auf alle Bürger Europas: durch eine universale Basis-Dividende für jeden Bürger! Es wäre ein Plan, der diese Wirtschaft nach einem ganz anderen Modell ausrichtet: einem Post-Kapitalismus, eine Post-Extraktion - eine Art von Wirtschaft, die keinen ausschließt! Denn das müssen wir hinter uns lassen.
Philsophisch kann man dem Kapitalismus ja Absurdität unterstellen, aber realiter ist er doch durchaus auch ein funktioneller Kreislauf aus Arbeit, Zerstörung und Wiederaufbau, von dem immer irgendjemand profitiert, während ein anderer zahlt: Die Wellness-Industrie floriert gleichzeitig mit steigenden Krankschreibungen, der Kokainimport auf der Linie Südamerika-Europa ist laut DEA und BKA auf einem Höchststand, die Kartelle wollen die Märkte fluten, sogar Präsident Trump musste einräumen, dass Drogen nun ein Problem der middle class seien. Aber auch der "war on drugs" in den USA ist ein Riesenmarkt, von dem viele profitieren: privatisierte Gefängnis-Industrie, Armeen von Sozialarbeitern, Therapeuten - der "Mehrwert des Verbrechens" (Marx). Könnte man also nicht auch sagen: Der Kapitalismus funktioniert eigentlich ganz gut - er produziert permanent Wohlstand durch das Umsetzen von Gütern und Diensten jeder Art?
Yanis Varoufakis: Der Kapitalismus wird wohl nie aufhören, uns mit seiner Kreativität zu imponieren, zu beeindrucken, aber am "beeindruckendsten" wird der Kapitalismus wohl immer darin bleiben, immer neue Wege zu finden, Profit zu machen - und zwar aus der Armut anderer.
Um noch einmal in der geistigen Hängematte frei das Eigentum Bertolt Brechts umzuverteilen: "Wär' ich nicht arm, wär' der nicht reich!" Psychisch Kranke, Wohnungslose, Heimkinder, Arme, Opfer von Gewalt - viele kommen in den Twitter-Debatten von heute gar nicht mehr vor, in der Politik und der Rechtspraxis spielen wirkliche Minderheiten keine Rolle, das EU-Parlament debattierte jahrelang über das Recht auf einen kostenlosen Anwalt für jeden, bisher ohne reales Ergebnis. In Rumänien, Bulgarien und Ungarn leben Hunderttausende Roma in einer Armut, die an Barbarei erinnert - von der Welt vergessen, "born dead", um es mit einem klugen Song-Titel von Ice-T zu sagen. Wenn man Europa "von unten" betrachtet, dann ist die Zivilisation auch in Europa ganz weit weg!?
Yanis Varoufakis: Das Konzept von einer Demokratie in Europa wurde leider völlig runter reduziert - hin zu einem nur noch pathetischen, wenn auch fühlbaren Akt: der Stimmabgabe. Was wir nun zu tun haben, das ist die Rettung der wahren, der wirklichen Demokratie - in seiner ganzen fantastischen, herrlichen Radikalität. Diese Radikalität - damit meine ich den Glauben an die Idee, dass wir alle als menschliche Wesen gleichberechtigt sind von Natur aus. Den Glauben daran, dass ein jeder von uns die Kraft und die Macht haben muss, über die Zukunft dieser Gesellschaft zu entscheiden - denn es ist unsere Gesellschaft, sie gehört uns! Den Glauben daran, dass jeder von uns das naturgegebene Recht hat auf die eigene Freiheit - frei von der Herrschaft, der Tyrannei der Mächtigen und der Starken.
Das ist es, warum ich mich selbst als einen "libertären Marxisten" bezeichne. Denn das wichtigste, das es im Leben gibt, das ist die Freiheit. Aber der Wert der Freiheit ist nicht zu erspüren, wenn nicht jeder die Chance hat auf ein Leben in Würde, auf ein erfülltes Leben, ein reiches Leben.
Über Yanis Varoufakis
Yanis Varoufakis, der zur Zeit in Berlin lebt und dort mit Initiativen gegen Zwangsräumungen kooperiert, stammt aus einer linken Familie. Während der faschistischen Militärdiktatur saß sein Vater vier Jahre im Gefängnis. Als promovierter Volkswirtschaftler und Statistiker mit dem Schwerpunkt mathematisch-empirischer Variantentheorie lehrte Varoufakis in Cambridge sowie als Professor unter anderem an Universitäten in Schottland, Australien, Griechenland und Texas.
Einer weltweiten Öffentlichkeit bekannt wurde der Ex-Punk als Finanzminister Griechenlands während der Euro-Krise 2015 unter dem Syriza-Ministerpräsidenten Alexis Tsipras - CNN zählte ihn zu "meinungsstärksten Politikern der Welt". Für Verärgerung innerhalb des EU-Establishments sorgten unter anderem seine Geheim-Mitschnitte der EU-Finanzministertreffen zum Schuldenerlass. Nach massiven Morddrohungen standen auch seine Familienangehörigen in Griechenland und Australien unter polizeilichem Personenschutz.
Bereits vor seiner Ernennung zum Finanzminister galt er als namhafter Finanzexperte mit Auftritten unter anderem bei Bloomberg und Gastbeiträgen als Wirtschafts-Experte z.B. für die New York Times, LeMonde und das Wall Street Journal, zudem als Unternehmensberater der internationalen IT-Firma Valve. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen vor allem "Der globale Minotaurus" (2011), Time for Change" (2013) und "Die ganze Geschichte" (2017, über die EU-Verhandlungen in 2015). Varoufakis ist verheiratet mit der Künstlerin und Polit-Aktivistin Danae Stratou .Heute folgen ihm auf seinem Twitter-Account fast eine Million Nutzer.
DIEM25 gründete zusammen mit Bernie Sanders, der als Kandidat der Demokraten gegen Trump für die US-Präsidentenwahl 2020 antritt, den transatlantischen Verbund Progessive International, dem auch Brasiliens Oppositionsführer Fernando Haddad angehört.
Im Gegensatz zu den Medien in Deutschland rief nicht nur die Gründung von DIEM25, sondern auch die diesjährige Varoufakis-Kandidatur für das EU-Parlament in der internationalen Presse ein breites Echo hervor - unter anderem der Guardian und Independent luden ihn zu ausführlichen Gastbeiträgen ein, um seine Positionen für eine moderne EU zu präsentieren, es gab lange Features z.B. in der BBC, für Reuters, im Figaro, in El Pais oder im Fortune.
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