Das Büro als Big Brother-Container?

Überwachung der Internetnutzung am Arbeitsplatz

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Porno in der Staatskanzlei: Beamte der Schaltzentrale des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber surften während der Dienstzeit auf den Erotik-Seiten des Internet. Sehr zum Missfallen des CSU-Vorsitzenden, der sich die IT-Initiative "Bayern Online" anders vorgestellt hatte. Konsequenz: Abmahnungen für die ertappten Staatsdiener und die Installation von Software, die den Zugang zu schlüpfrigen Web-Seiten sperrt.

Doch nicht nur im Münchner "Alpen-Kreml", auch in den Unternehmen vertreiben sich immer mehr Mitarbeiter die Zeit mit privatem Surfen in den Weiten des Internet. In den USA schätzt die Firma NetPartners Internet Solutions den volkswirtschaftlichen Schaden auf 450 Milliarden Dollar. Selbst wenn die Zahl hochgegriffen ist, so dürften auch hierzulande die Kosten für die Firmen in die Milliarden gehen, die von der Vergeudung der Arbeitszeit verursacht werden. "Surfer's Paradise" ist für die Arbeitgeber ein teurer Spaß.

Um dem Treiben ein Ende zu setzen, setzen sie Filtersoftware ein, die den Zugriff auf bestimmte WWW-Seiten verhindert. Welche Web-Angebote gesperrt werden, liegt in der Hand des Arbeitgebers. So kann er bei dem Programm Smartfilter der US-Firma Secure Computing unter 27 Kategorien auswählen, von denen er seine Beschäftigten während der Dienstzeit fernhalten will. Dazu zählen Sex, Sport, Kriminalität, Humor, Shopping, Jobsuche und Chat. Der deutsche IT-Riese Siemens ergänzt Smartfilter um deutschsprachige Web-Adressen. Wöchentlich aktualisiert Siemens die schätzungsweise 250.000 Einträge umfassende Adressliste, da gerade Seiten mit pornografischem oder kriminellem Inhalt häufig nur für kurze Zeit ins Internet gestellt werden. Marktführer ist SurfWatch von der US-Firma JSB Software Technologies mit weltweit 10 Millionen verkauften Kopien.

Rechtlich problematischer als das bloße Sperren von Web-Angeboten ist die von allen marktüblichen Programmen ermöglichte detaillierte Auswertung der Internet-Zugriffe, das sogenannte Monitoring. So protokolliert Surfcontrol unter anderem die Namen der Mitarbeiter, die besonders eifrig im Netz gesurft haben. Ergibt die Auswertung Verdachtsmomente gegen einzelne Beschäftigte, so kann man anhand von Log-files genau feststellen, welche Seiten der Nutzer aufgerufen hat. Zwar ist die Überwachung des Nutzerverhaltens im Netz auch ohne Monitoring-Programme möglich, aber für die Geschäftsleitung sind sie ein praktisches Werkzeug, ohne viel Aufwand Angestellten auf die Schliche zu kommen, die den Internetzugang zu privaten Zwecken missbrauchen. Während diese Software in den USA weit verbreitet ist, setzen in Deutschland vor allem Großunternehmen die neue Technik ein. In jüngster Zeit steigt aber auch im Mittelstand die Nachfrage.

Mit Stirnrunzeln betrachten die Juristen die minutiöse, an Big Brother erinnernde Kontrolle. Doch wie so oft in neuen Rechtsgebieten, sind sie auch hier geteilter Ansicht. Anselm Withöft, auf Online-Recht spezialisierter Anwalt aus Düsseldorf, hält den Einsatz von Monitoring-Programmen mit Verweis auf die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde für rechtswidrig. Dagegen meint Wolfgang Däubler, Arbeitsrecht-Professor an der Uni Bremen, der Arbeitgeber dürfe durchaus kontrollieren, ob seine Mitarbeiter zum Privatvergnügen im Internet surfen - vorausgesetzt, er hat das zuvor ausdrücklich untersagt. Withöft rät den Arbeitgebern, in den Arbeitsvertrag einen Passus aufzunehmen, wonach das Internet nur dienstlich genutzt werden dürfe. Ansonsten werde eine Vertragsstrafe fällig und es liege ein Kündigungsgrund vor.

Doch aus der Praxis ist dem Anwalt keine Kündigung aus diesem Grund bekannt. Seiner Erfahrung nach tolerieren Unternehmen im Regelfall gelegentliches privates Surfen. "Das ist so ähnlich wie bei privaten Telefonanrufen im Büro, das akzeptieren die Arbeitgeber auch, solange es sich im Rahmen hält", sagt Withöft. "Dennoch ist es eigentlich nicht erlaubt." Das Monitoring sieht er jedoch kritisch, "weil damit eine genaue statistische Leistungskontrolle möglich wird. Und die verstößt gegen die Menschenwürde nach Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes. Der Arbeitnehmer darf auch am Arbeitsplatz nicht zum gläsernen Menschen werden."

Professor Däubler verweist auf §87 Betriebsverfassungsgesetz, wonach der Betriebsrat dem Internet-Monitoring zustimmen muss. Wenn die Zustimmung vorliege und der Arbeitgeber die Beschäftigten ausdrücklich auf das Verbot des privaten Surfens aufmerksam gemacht habe, dann dürfe er auch kontrollieren, meint Däubler. Bedenklich findet er jedoch die Überwachung von dienstlich aufgerufenen Seiten. Das komme einer zu weitgehenden Leistungskontrolle gleich. Aus diesem Grund habe das Bundesverfassungsgericht auch die Beobachtung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz per Videokamera für rechtswidrig erklärt.

Klarheit, inwieweit die Surfer-Kontrolle legal ist, soll nun ein Gesetz bringen, dass zurzeit im Bundesarbeitsministerium ausgebrütet wird. Nachdem der vorab bekannt gewordene Entwurf in der Presse wegen seiner komplizierten und nicht praktikablen Regelungen heftig kritisiert worden war, distanzierte sich das Ministerium flugs von den "zu Papier gebrachten Überlegungen eines nicht leitenden Beamten". Erst im Laufe des Jahres sei mit einem überarbeiteten Entwurf zu rechnen, heißt es aus dem Ministerium von Walter Riester.

Auch bei Emails stellt sich die Frage nach der dienstlichen oder privaten Nutzung. Denn der vernetzte Mitarbeiter des anbrechenden dritten Jahrtausends verbringt inzwischen bis zu anderthalb Stunden täglich mit dem Sichten und Beantworten seiner Mails. Leitungsgebühren und vergeudete Arbeitszeit summieren sich schnell zu beachtlichen Kosten. Kein Wunder, dass die Arbeitgeber der übermäßigen privaten Nutzung des zu dienstlichen Zwecken eingerichteten Email-Systems einen Riegel vorschieben wollen. In den USA überwachen einer Studie der American Management Association zufolge 27 Prozent der Großunternehmen die Mail-Aktivitäten ihrer Beschäftigten. Sie allein erhalten und verschicken schätzungsweise eine Milliarde Mails pro Arbeitstag.

Die Konsequenzen bekamen im November 1999 23 Mitarbeiter der New York Times zu spüren. Sie erhielten den blauen Brief, nachdem ihnen das Versenden von "unangemessenen und anstößigen Mails" am Arbeitsplatz nachgewiesen werden konnte. Aus dem gleichen Grund hatte zuvor schon die Investmentfirma Edward Jones & Co. 19 Angestellte entlassen. Schnüffel-Software wie Little Brother, Investigator, Censorware, MailSweeper und Mail Cop erleichtern den Firmen die Jagd auf die schwarzen Schafe unter ihren Angestellten. Die Programme durchforsten ein- und ausgehende Mails nach Schlüsselwörtern und verdächtigen Inhalten. Doch auch ohne diese Software kann zumindest der Systemverantwortliche problemlos die elektronische Post lesen.

Die Rechtsexperten geben einmütig Betrieben den Rat, klar zu regeln, ob private Mails vom Büro aus versendet werden dürfen. Untersagt der Arbeitgeber dies, so darf er davon ausgehen, dass alle Mails dienstlicher Natur sind und ist daher berechtigt, sie zu lesen. Nachteil: Das Betriebsklima kann sich verschlechtern, da private Mails in vielen Unternehmen inzwischen gang und gäbe sind und stillschweigend toleriert werden.

Bettina Sokol, Landesbeauftragte für Datenschutz in Nordrhein-Westfalen, empfiehlt Firmen dennoch, private Elektropost zu untersagen, um Komplikationen aus dem Weg zu gehen. Denn andernfalls müsse der Arbeitgeber vor einer Überwachung einen richterlichen Beschluss erwirken. Dieser setze allerdings voraus, dass der Tatbestand des §100a der Strafprozessordnung erfüllt sei. Danach muss der Verdacht einer schweren Straftat vorliegen. Will die Geschäftsleitung gelegentliche Privat-Mails gestatten, rät Sokol zur eindeutigen Kennzeichnung als privat oder dienstlich im Betreff der Mail. Eine andere Idee hat Anwalt Anselm Withöft: Für private Post könne eine Mail-Adresse mit dem Vornamen, für dienstliche eine mit dem Nachnamen des Mitarbeiters eingerichtet werden. Will der Arbeitnehmer sichergehen und Ärger vermeiden, solle er seinen Chef fragen, inwieweit private Mails im Unternehmen gestattet sind. Ein klärendes persönliches Gespräch ist eben auch im Internetzeitalter noch das beste Kommunikationsmittel.