Das Ende der Westbindung? Warum die Türkei in Richtung Brics strebt
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Erdogan tanzt vor allem nach seiner eigenen Pfeife, meint unser Gastautor Jorge Heine. Jetzt bewegt er das Land in Richtung Brics. Was steckt dahinter?
Die Türkei neigt dazu, in internationalen Angelegenheiten nach ihrer eigenen Pfeife zu tanzen.
Wachsende Skepsis gegenüber dem Westen
Betrachten wir die Abstimmung bei den Vereinten Nationen am 14. Dezember 2022, als die Generalversammlung eine Resolution für eine neue internationale Wirtschaftsordnung verabschiedete. Rund 123 Mitgliedsstaaten – vor allem aus Afrika, Asien und Lateinamerika – stimmten dafür, nur 50 dagegen. Die Türkei enthielt sich als einziges Land der Stimme – ein Symbol für die Außenpolitik eines Landes, das die Kluft zwischen Europa und Asien, Ost und West, Nord und Süd überbrückt.
Oder denken wir an die jüngste NATO-Erweiterung: Fast zwei Jahre lang hat die Türkei ihre Unterstützung für den Beitritt Schwedens zurückgehalten, sehr zum Ärger der anderen Mitglieder.
Es war dennoch ein bemerkenswerter Moment, als die Türkei im September 2024 offiziell bekannt gab, dass sie einen Antrag auf Beitritt zur Brics Plus-Gruppe gestellt hatte – das erste Mal, dass ein NATO-Mitgliedsland die Mitgliedschaft in einem Club beantragt hat, der 2006 aus Unzufriedenheit mit den westlich dominierten globalen Governance-Mechanismen geboren wurde und seitdem von seinen ursprünglichen Mitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika erweitert wurde.
Keine Kleinigkeit angesichts der Tatsache, dass die NATO das Bollwerk des westlichen Bündnisses ist und die Brics als wichtige Herausforderer dieser etablierten Ordnung angesehen werden –insbesondere in einem Jahr, in dem die Brics von Russland angeführt wird, das derzeit Krieg gegen die Ukraine führt, und in dem die NATO-Mitglieder eifrig versuchen, die Ukraine auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen.
Der Schritt Ankaras, mit dem sich die USA inzwischen abgefunden haben, deutet auf eine wachsende Skepsis der Türkei hin, ihre außenpolitischen Ziele vornehmlich über westliche Institutionen zu erreichen.
Zwischen zwei Welten?
Das Interesse der Türkei an einer Brics-Mitgliedschaft kommt nicht von ungefähr. Bereits 2018, nach der Einladung zur Teilnahme am jährlichen Brics-Gipfel, spielte die Türkei mit dem Gedanken, der Organisation beizutreten. Rückblickend war die Vollmitgliedschaft nur eine Frage der Zeit.
Die Türkei, die sich über die Kontinente Europa und Asien erstreckt, fühlt sich seit langem vom europäischen Markt, dem größten Binnenmarkt der Welt und einer wichtigen westlichen Institution, angezogen und hat während der 21-jährigen Regierungszeit von Präsident Recep Tayyip Erdogan wiederholt versucht, der EU beizutreten.
Die EU ist jedoch entschlossen, die Türkei nicht als Vollmitglied aufzunehmen.
Handelsabkommen? Ja. Militärische Zusammenarbeit mit der NATO? Kein Problem. Aber Vollmitgliedschaft mit Stimmrecht in der Europäischen Kommission, im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament? Nein, noch nicht.
Mit über 85 Millionen Einwohnern wäre die Türkei im Falle eines Beitritts das größte Land der EU – noch vor Deutschland mit rund 84 Millionen Einwohnern – und würde damit eine Schlüsselrolle in der Verwaltung und Führung der EU spielen.
Doch angesichts der zunehmenden arabischen und afrikanischen Migration nach Europa – und der damit einhergehenden Zunahme einwandererfeindlicher und antimuslimischer Stimmungen – scheint die europäische Akzeptanz einer nicht-weißen, mehrheitlich muslimischen Nation in ihrer Mitte unwahrscheinlicher denn je.
Wie die gegensätzlichen Reaktionen auf die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen gezeigt haben, definieren viele Europäer den Kontinent als "weiß und christlich". Sie sehen Europa als belagert vom Rest der Welt, der als unzivilisiert gilt.
Dieser Gedanke, der durch das Erstarken der extremen Rechten bei den jüngsten Europawahlen noch verstärkt wurde, spiegelt sich sogar in der Rhetorik einiger hochrangiger Politiker in Brüssel wider. So sagte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, in einer Rede vor jungen europäischen Diplomaten 2022: "Europa ist ein Garten.
Wir haben einen Garten gebaut, in dem alles funktioniert", aber "der größte Teil der restlichen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte den Garten überwuchern". Später entschuldigte er sich für diese Äußerung.