Das Ende einer Zinswende, die es nie gab
Seite 2: Rosige Aussichten
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Die Finanzmärkte feiern jedoch nicht nur die schönen Resultate, die sie der Inflationspolitik der Zentralbanken verdanken, sondern auch die rosigen Aussichten. Denn die nun in Europa und in den USA herannahende Rezession macht die Lage für die Zentralbanken prekär.
Weitere Leitzinserhöhungen, mit denen die Zentralbanken geldpolitisch restriktiv agieren würden, wären ein kompletter Bruch mit der seit den 1980er-Jahren verfolgten geldpolitischen Strategie.
Seitdem haben die Zentralbanken bei sich ankündigenden Krisen genau entgegengesetzt agiert. Sie haben die Geldschleusen geöffnet und über Jahrzehnte Restrukturierungen der Realwirtschaft verhindert, denen unproduktive und kaum profitable Unternehmen zum Opfer gefallen wären.
Um Krisen zu dämpfen oder gar zu verhindern, haben sie in jeder konjunkturellen Schwächephase die Leitzinsen gesenkt und sie während der darauffolgenden wirtschaftlichen Erholungen nicht wieder auf das frühere Niveau angehoben, um die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich zu stützen.
Da das wirtschaftliche Wachstum jedoch im Laufe der Jahrzehnte auch in Erholungsphasen immer schwächer wurde und die Wirtschaft wieder in eine Rezession zu schlittern drohte, haben sie seit der Finanzkrise 2008 sogar ganz auf die erneute Anhebung der Leitzinsen verzichtet und sie stattdessen sogar in den negativen Bereich gedrückt.
Anders als von Lagarde behauptet stecken die Zentralbanken seit dem Beginn Inflation vor mehr als zwei Jahren nicht etwa nur in einem Zielkonflikt, sondern in einer regelrechten Zwickmühle. Denn mit Zinsanhebungen, die sie zur Wiederherstellung der Preisstabilität umsetzen müssten, würden sie keineswegs nur die Finanzstabilität gefährden.
Viel akuter gefährdet ist die Realwirtschaft der entwickelten Volkswirtschaften, denn sie hängt inzwischen vollkommen am Tropf geldpolitischer Stimulierung durch niedrige Kreditzinsen einerseits und fiskalischer Stimulierung mit Hilfe explodierender Staatsschulden andererseits. Und zu allem Überfluss sind die Staaten selbst vom Fluss billigen Geldes abhängig, um die Wirtschaft und die aus dem Ruder laufenden Sozialstaaten über Wasser zu halten.
Seit Jahrzehnten ist immer billigeres Geld in den entwickelten Volkswirtschaften zum bedeutendsten Schmiermittel des gesamten wirtschaftlichen Gefüges geworden. Inzwischen ist es existenziell. Den Zentralbanken ist es daher nicht möglich, den jahrzehntelangen wirtschaftspolitischen Kurs, den sie geldpolitisch mitgetragen haben, zu ändern, ohne einen Kollaps, der von ihnen selbst erschaffenen Zombiewirtschaft zu riskieren.
Inflationstolerante Zentralbanken
Entgegen der an die Öffentlichkeit gerichteten Signale stellen die Zentralbanken längst die Weichen zur Tolerierung höherer Inflation. Mit der Verabschiedung ihrer neuen geldpolitischen Strategie, die von Lagarde angestoßen wurde, hat sich die EZB bereits im Juli 2021 mehr Spielraum bei der Inflation verschafft.
Damals wurde das bisherige Inflationsziel von "unter, aber nahe zwei Prozent" in ein "symmetrisches mittelfristiges Inflationsziel von zwei Prozent" umgewandelt, wodurch die tolerierbare Inflation sehr dehnbar wird.
Längst ist eine Diskussion über die weitere Anhebung der Inflationsziele im Gang. So hatte der ehemalige Chefökonom des IWF, Olivier Blanchard eine Anhebung der Inflationsziele der Zentralbanken von zwei auf zukünftig drei Prozent gefordert. Dies brachte ihm sehr heftige Kritik seitens des ehemaligen US-Finanzministers Larry Summers auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ein.
Die Finanzmärkte preisen die von ihnen zu Recht erwartete taubenhafte Inflationsbekämpfung der Zentralbanken und die dementsprechend niedrigen und sogar negativen Realzinsen längst ein. Und sie erkennen auch, dass die Zentralbanken die Gewissheit verloren haben, die Inflation tatsächlich kontrollieren zu können.
Nach Auffassung von Stefan Schneider, Chefvolkswirt von Deutsche Bank Research, sind die Zentralbanken über die weitere Inflationsentwicklung und die Wirkung ihrer geldpolitischen Maßnahmen selbst verunsichert. In den vergangenen Jahren, so Schneider, sei ihr "Vertrauen in die eigenen Inflations- und Wirtschaftsprognosen arg erschüttert" worden.
Die Zentralbanken könnten daher keine klaren Botschaften senden, was den Finanzmärkten den Spielraum gebe, die Zinssignale als taubenhaft zu interpretieren.
Die Finanzmärkte jubilieren, weil durch eine höhere Inflation das grimmige Szenario einer wirtschaftlichen Restrukturierung verhinderbar scheint und den an den Börsen notierten Großunternehmen zugetraut wird, auch in einer Ära der Inflation ihre Profitabilität – notfalls auf Kosten anderer Marktteilnehmer – sichern zu können.
So hat die seit den 1980er betriebene Geldpolitik nicht nur eine Zombiewirtschaft erschaffen, die trotz geldpolitischer und fiskalischer Dauerstimulierung kaum noch wächst. Wegen ausbleibender Produktivitätssteigerungen ist eine Wohlstandsstagnation eingetreten, die sich an stagnierenden Reallöhnen zeigt.
Nun erfordert die strauchelnde Zombiewirtschaft die Fortsetzung dieser Geldpolitik. Die außerhalb der Kontrolle der Zentralbanken liegende Inflation, wird die Realwirtschaft jedoch noch weiter schwächen, denn insbesondere langfristige Investitionsentscheidungen werden riskanter. Jetzt drohen Wohlstandsverluste und sinkende Reallöhne.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.
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