"Das Exkrement des Teufels"
Seite 3: Der Chavismo und die "Politik der vollständigen Ölsouveränität"
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Venezuela beherbergt heute nach Schätzungen mit 302,81 Milliarden Barrel Öl knapp ein Viertel der bekannten Weltölreserven. Die souveräne Kontrolle dieser Ressource war ein prinzipielles Anliegen der 15-jährigen Regierungszeit von Hugo Chávez.
Mit dem 2001 verabschiedeten Ölgesetz beendete Chávez die von den Vorgängerregierungen praktizierte neoliberale Politik, mit der Venezuelas Ölreichtum an transnationale Unternehmen weitergereicht wurde. Sobald er an die Macht kam, verwandelte er die PDVSA in einen Regierungsapparat, dessen Gewinne in die "bolivarischen Missionen" flossen: in Sozialprogramme, die unter anderem zum Ziel hatten, Armut, Analphabetentum und Hunger zu bekämpfen sowie die medizinische Versorgung zu verbessern.
Ein Teil des Plans war, mit den Öldollars eine eigene nationale Industrieproduktion und Landwirtschaft auf die Beine zu stellen, die die Abhängigkeit von Importen zurückfahren und bisher abgehängte Volksmassen in Lohn und Brot bringen kann. Mit der Gründung von Petrocaribe im Jahr 2005 trieb er zudem die regionale Energieintegration voran. Über diesen Mechanismus lieferte Venezuela Rohöl und Mineralölerzeugnisse zum Vorzugspreis an die 18 Unterzeichnerstaaten aus dem Karibikraum. Als einer seiner Verdienste gilt des Weiteren die Stärkung der Rolle der OPEC.
Das alles war nicht nach dem Geschmack der Ölbarone der westlichen Welt. Die Bolivarische Revolution geriet unter Beschuss, wie der Staatsstreich vom April 2002 zeigte, der unter anderem vom IWF begrüßt wurde. Um diese Zeit hatte venezolanisches Öl einen Anteil von 14 Prozent an den US-amerikanischen Ölimporten. Es folgten inszenierte Streiks und die Sabotage des Ölsektors - und die als "guarimbas" bekannt gewordenen gewaltsamen Proteste Oppositioneller. Der Kampf mit der Korruption und den in den Reihen des staatlichen Ölunternehmens PDVSA verbliebenen Gegnern ist bis heute ein Problem für die Regierung geblieben.
Chavéz zeigte zu Lebzeiten, wie man einer erpresserischen Politik aus Verschwörung und "orangenen Revolutionen" widerstehen kann. Hohe Weltmarktpreise beim Öl waren hilfreich, sie sicherten ihm den Rückhalt der venezolanischen Bevölkerung.
2015 schließlich erklärte Präsident Barack Obama Venezuela zu einer "Bedrohung der nationalen Sicherheit" und verhängte Sanktionen. Da war Nicolás Maduro bereits seit zwei Jahren im Amt, und die Ölpreise befanden sich im freien Fall. Die wirtschaftliche Lage Venezuelas verschlechterte sich zusehends.
Unter Donald Trump wurden die Sanktionen 2017 verschärft, sekundiert von den amerikanischen Verbündeten aus Kanada und Europa. Eins der Hauptziele: Mögliche Kanäle zur Refinanzierung der Staatsverschuldung Venezuelas im Ausland zu blockieren. Dabei wurde auch die Ölförderung ins Visier genommen. Am 28. Januar 2019 erließ die Trump-Regierung neue Sanktionen, die den Ölsektor noch härter treffen sollen.
Ausblick
Unterdessen hat die wirtschaftliche Lage im Land einen Zustand erreicht, an dem die PDVSA nicht mehr in der Lage ist, ihre Ölquellen zu bewirtschaften und die Raffinerien in Schuss zu halten.
Die Ölförderung ist auf dem niedrigsten Niveau der letzten zwanzig Jahre. Sie ist seit Mitte 2016 besonders stark eingebrochen und sank zwischen Juni 2016 und Mai 2018 um 755.000 auf 1,4 Millionen Barrel pro Tag. Die Exporte sind ebenfalls massiv rückläufig.
Waren des täglichen Bedarfs und Medikamente sind knapp. Früher wurden die Öleinnahmen genutzt, um fast alle Güter zu importieren, doch der Rückgang an verfügbaren Mitteln aufgrund des seit vier Jahren anhaltenden niedrigen Ölpreises hat die Lieferungen zum Erliegen gebracht. Stattdessen öffnet Venezuela von Zeit zu Zeit seine Grenze zum benachbarten Kolumbien, damit die Bürger des Landes dringend benötigte Waren erwerben können.
Der "bolivarische Sozialismus" droht nun, an den ihm innewohnenden Widersprüchen zu scheitern. Das internationale Finanzkapital ist im Begriff, das Experiment zu beenden - mit welchen Mitteln, ist Gegenstand von Spekulationen. Denn mit ihren Ölinteressen in der Region sind die US-Amerikaner nicht mehr allein. Mit China und Russland sind zwei Konkurrenten hinzugekommen, die für ihre massiven Investitionen die Rohstoffe des Landes als Pfand akzeptiert haben.
Die wirtschaftlichen Verbindungen Venezuelas zu China sind seit dem neuen Millennium stark gewachsen. China - in den Augen von Hugo Chávez war das asiatische Land die "große Schwester" - hat Milliardenbeträge in Venezuela investiert, soviel wie in keinem anderen Land Lateinamerikas. Die chinesische Unterstützung reicht von Bewässerungsprojekten in der Landwirtschaft über den sozialen Wohnungsbau bis zur Eisenbahn, von VTELCA als erster Mobiltelefon-Fabrik des Landes bis zu Venesat-1, Venezuelas erstem Satelliten in einer geostationären Umlaufbahn. 2008 wurde eine Reihe von Kooperationen im Energiesektor vereinbart, doch die erzielten Resultate bleiben nun aufgrund der Schwierigkeiten bei der PDVSA hinter den Erwartungen zurück.
Russland hat ebenfalls Interesse an Venezuelas Rohstoffen - zum Beispiel an der Offshore-Erdgasförderung im Feld von Mariscal Sucre. In den frühen 1990er Jahren wollten hier ExxonMobil, Shell und Mitsubishi die Erschließung des LNG-Projekts Cristóbal Colón vorantreiben, der Vorläufer von Mariscal Sucre. Das Vorhaben war im Zuge der Politik der vollständigen Ölsouveränität abgebrochen worden. Darüber hinaus sind russische Ölfirmen an der Erschließung des Schweröls des Orinoco-Ölgürtels involviert - nicht von ungefähr haben offizielle russische Stellen die neuerlichen Sanktionen als illegal verurteilt.
Im Dezember 2018 kam erneut das Thema eines russischen Militärstützpunkts in Venezuela auf den Tisch. Im Gespräch ist eine Airbase auf La Orchila, jener Insel, auf der Hugo Chávez während des Staatsstreichs von 2002 gefangen gehalten wurde und auf der er die letzten Tage seines Lebens verbrachte.
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