Das Innenministerium tut alles, um ein neues Genua herauf zu beschwören
Gefährdung des Europäischen Sozialforum Florenz
Interview mit Francesco Raparelli, Rom, Aktivist der Bewegung der Disobbedienti (der Ungehorsamen, vgl. "Der Ungehorsam ist eine hervorragende Intuition gewesen.") und Mitarbeiter der Redaktion der Zeitschrift "Posse". Autor zweier Beiträge in "Genua - Italien - Geschichte, Perspektiven" (Assoziation A 2002) von Dario Azzellini.
Wie ist denn der Stand zum Europäischen Sozialforum (ESF, deutsche Seite )?
Raparelli: Mitte Oktober sind die Gespräche zwischen der Vorbereitung des ESF und den Regierungsinstitutionen und Präfektur abgebrochen worden, die Regierung hat gedroht, das Schengener Abkommen aufzuheben. Diese Drohung besteht weiterhin. Begründet wird sie mit der angeblichen Anreise von "gewalttätigen Extremisten" aus dem Ausland. Das Innenministerium streut laufend Meldungen von vermeintlichen "5-6.000 Black Block" die aus dem europäischen Ausland kommen. Diese stellten nicht nur eine Gefährdung der Stadt dar, sondern auch des ESF.
Der Innenminister Giuseppe Pisanu hat am Dienstag in einer Rede vor dem Parlament bestätigt, dass es - gemäß Paragraf 2 des Schengener Abkommens - "aus Gründen der öffentlichen Ordnung strenge Kontrollen" an den Grenzen geben soll. Was bedeutet das und wie wird die Bewegung darauf reagieren?
Raparelli: Das ESF hat in einer Pressekonferenz reagiert und angekündigt, dass alle Parlamentarier, die dem Forum schon immer nahe standen, also die von Rifondazione Comunista und den Grünen, in den Tagen an den Grenzen sein werden, um zu sehen was wirklich geschieht. Ich denke, die Kontrollen an den Grenzen werden sehr hart sein, aber die die Abgeordneten und auch die Bewegungen an den Grenzen sein werden, werden die Grenzen am Ort des Konflikts sein.
Pisanu hat auch erklärt, die Stadt Florenz sei "nicht geeignet für das ESF", was steckt hinter dieser Aussage?
Raparelli: Zusammen genommen mit seinen restlichen Erklärungen zu Black Block und Gewalt, geht es Pisanu um einen Bruch innerhalb des Forums. Er teilt auch das Forum in Moderate und Radikale, die Besetzungen von Banken und Aktionen in der Stadt vorhaben, das sind die Ungehorsamen, und die daher auch innerhalb des Forums und in der Stadt ein Risiko darstellen, für die öffentliche Ordnung und für die Stadt. Nach diesen Aussagen Pisanus hat die Regierung die Position eingenommen, dass das ESF nicht mehr, oder zumindest nicht mehr in Florenz, stattfinden sollte. Das wurde gleich von der Presse aufgegriffen. Italiens größte Tageszeitung "Corriere della sera" titelte gleich "Rettet Florenz" und forderte, das ESF aus Florenz fernzuhalten. Innerhalb der DS verschärft dies die Spaltung und den Konflikt um das ESF. Denn die starke Strömung "correntone" innerhalb der DS setzt in Zusammenarbeit mit dem Gewerkschaftsdachverband CGIL und dem Europäischen Gewerkschaftsbund klar auf das Forum. Die Strömung um D'Alema hingegen will am liebsten gar kein Forum und hat in dieser Hinsicht vor einigen Wochen die eigene Position in der Leitung durchgeboxt. Leonardo Domenici, der DS-Bürgermeister der Stadt Florenz, betont weiterhin Florenz sei eine "offene Stadt", man müsse sehen "wie das Forum durchgeführt werden kann". Das zielt darauf ab, die linkeren Komponenten der Bewegung aus dem Forum herauszuspalten.
Und wie haben die linken Kräfte der Bewegung reagiert?
Raparelli: Es gab eine Pressekonferenz in der Disobbedienti, Cobas und andere verkündet haben, die Breite der Bewegung, die moderate und radikale Teile beinhalte, stelle die Matrix der Bewegung dar und das werde auch so bleiben.
Diese Woche haben die OrganisatorInnen des ESF versucht, die Gespräche mit den Institutionen wieder aufzunehmen. Überschattet wurde die Angelegenheit davon, dass die Stadt Florenz und die regionale Regierung nur die Hälfte der Schlafplätze und Veranstaltungsorte zur Verfügung, die sie ursprünglich versprochen hatten. Gibt es Neues zu berichten?
Raparelli: Nein, bisher werden nicht genügend Strukturen angeboten. Es wird weiter verhandelt, doch wenn sich nichts tut, wenn kein geeigneter Raum angeboten wird, bleibt uns und vielen anderen keine andere Möglichkeit als zu besetzen.
Wie stehen die Ungehorsamen, die Disobbedienti, zum Forum?
Raparelli: Wir werden massiv auf dem Forum sein. Wir wollen sowohl drinnen als auch draußen sein, Unterschiede klar machen, aber keine abgetrennte Position einnehmen, wie sie von einigen auf europäischer Ebene vorgeschlagen wurde. Die interessiert uns nicht, wir wollen Teil des Prozesses des Aufbaus des Europäischen Sozialforums sein und zwar in radikaler und konfliktiver Weise. Aber deswegen stehen wir noch lange nicht außerhalb des Forums, eine Position, die denen nutzt, die eine Teilung des Forums wollen. Die Position des Autonomen Forums, wie sie wie von der PGA vorgeschlagen wurde, steht nicht zur Debatte und das haben auch viele andere Kräfte der Bewegung in einer Stellungnahme nach einem Treffen am 5. Oktober in Barcelona deutlich gemacht.
Wen würde denn eine freiwillige Trennung, ein Fernbleiben dem offiziellen Forum, nützen und was wollen die Disobbedienti im Forum?
Raparelli: Es würde dem Versuch nützen, das Forum zu spalten, es zu polarisieren, mit auf der einen Seite "moderaten und gewaltfreien" und auf der anderen Seite "gewalttätigen" Teilen. Es wird dann so aussehen, als ob sich im Forum jene befänden, die eben den Stand der Bewegung darstellen, wodurch diejenigen, die außerhalb stehen, der Repression und Kriminalisierung aufgrund vermeintlich gewaltförmiger Praxen ausgesetzt wären. Daher sagen wir, wir sind im Forum, wir durchqueren es in konfliktiver Weise. Das bedeutet, es geht uns nicht darum Konferenzen abzuhalten, um einige Themen bezüglich der Ungerechtigkeit der Welt auf die Tagesordnung zu setzen. Wir wollen versuchen, eine kollektive Massendynamik in Gang zu setzen, ein anderes Treffen, Aktionen, Praxen und Konflikt zu entwickeln. Das wollen wir unter anderem auf einem "Meta-Workshop" - wir sagen "no work - no shop" - über Kommunikation umsetzen. Das läuft im Rahmen von "global", einer Zeitschrift, die wir als Bewegung demnächst lancieren. Auf dem Forum wird es aber auch ein "Global Radio" und ein "Global TV" geben. Wir haben für die Tage des ESF einen Satelliten gemietet und werden vor Ort Fernsehen machen.
Glaubt ihr dass das Forum ein Erfolg wird für die linkeren Teile der Bewegung?
Raparelli: Wir hätten das ESF lieber in einer ganz anderen Dynamik und Situation organisiert als in Florenz. Es braucht heute den Impuls für einen neuen Zyklus globaler Kämpfe und nicht die Selbstdarstellung der Bewegung und den Aufbau eines organisatorischen Gerüsts. Wir brauchen ein offenes Experimentieren, wie denn globale Kampfzyklen in die Wege geleitet werden können, das schließt ein Experimentieren mit Praxen, ein gegenseitiges "Anstecken" unter den verschiedenen Akteuren und eine Verwurzelung in den Konflikten, in denen die Subjekte stecken, ein - nicht einfach nur den vermeintlichen Aufbau ein formal europäischen Bewegung, der nicht von Seiten der Netzwerke der europäischen Konflikte erfolgt. Die Gewerkschaften und Teile der DS hingegen bilden eine Achse mit Attac Frankreich und vielen trotzkistischen Organisationen in Europa. All diese Kräfte wollen den Aufbau einer formalen Repräsentanz der Bewegung, sie setzen nicht auf die Förderung von Bewegung, sondern von politisch-personeller Repräsentanz.
Findet das ESF in Italien zu einem günstigen Augenblick statt?
Raparelli: Es ist eine delikate Situation. Die Zerstörung von FIAT droht 40.000 Beschäftigte auf die Straße zu werfen, bezüglich des "Paktes für Arbeit" und in der Gesetzgebung besteht eine Situation in der sich nichts bewegt. Es herrscht ein offener Konflikt und das ist gut. Aber das Innenministerium tut alles, um ein neues Genua heraufzubeschwören und redet vom Black Block, "Terrorismus in den Tagen von Florenz" usw., das wiegt natürlich sehr schwer, denn es schafft eine Situation in der weniger die innovativen Elemente der Bewegung hervortreten, als viel mehr eine defensive Dynamik gegenüber der offensiven der Regierung. Die Situation ist also bezüglich dessen was das ESF für Italien bedeuten wird, sehr delikat.