Das Internationale Recht und der israelische "Sicherheitszaun"
Die UN-Vollversammlung hat den Internationalen Gerichtshof mit einer rechtlichen Beurteilung des Mauerbaus beauftragt, die israelische Regierung sucht noch nach einer Verteidigungsstrategie
Ob der "Sicherheitszaun" Israel tatsächlich besser vor Terroranschlägen schützen wird, ist höchst fraglich. Auf jeden Fall wird er dem Land politisch schaden. Sogar der israelische Justizminister hat nun davor gewarnt, dass das Land einen ähnlichen Boykott wie das südafrikanische Apartheidsregime erfahren könnte, wenn der Zaun nicht zumindest so gebaut wird, dass er auf oder nahe der Grünen Linie verläuft. Die israelische Regierung ist gerade am Überlegen, wie sie sich gegenüber dem Internationalen Gerichtshof wegen der Mauer verhalten soll, die palästinensische Siedlungen und teilweise weite Bereiche des Westjordanlands einschließt (Sicherheitszaun oder Apartheid-Mauer?).
Am 8. Dezember 2003 hatte die UN-Generalversammlung mit einer Mehrheit von 90 zu 8 den Internationalen Gerichtshof aufgefordert, eine Beurteilung der "rechtlichen Implikationen eines Mauerbaus in den besetzten palästinensischen Gebieten ... auf der Grundlage der Gesetze und Prinzipien des Internationalen Rechts" vorzulegen. Der Antrag wurde vorwiegend von arabischen Ländern eingebracht. Am 23. Februar wird es dazu eine Anhörung geben. Der Internationale Gerichtshof hat eine Frist bis zum 30. Januar gesetzt, um Stellungnahmen einzureichen. Die israelische Regierung will eine schriftliche Stellungnahme zur Rechtfertigung des Mauerbaus einschicken, ist aber noch unentschlossen, ob sie bei der Anhörung anwesend sein will. Die Beurteilung des Gerichtshofs ist zwar nicht bindend, aber eine Erklärung, das der Mauerbau rechtlich abzulehnen ist, könnte, wie auch der israelische Justizminister fürchtet, zu ernsthaften politischen Folgen führen und die Stellung Israels schwächen.
Israel erkennt den Internationalen Gerichtshof nicht an und weist daher jede Beurteilung von diesem zurück. Die israelische Regierung geht auch davon aus, dass der Internationale Gerichtshof den Mauerbau verurteilen wird. Wie üblich hat auch die US-Regierung den Antrag zusammen mit Australien und einigen kleinen pazifischen Inselstaaten abgelehnt, obgleich Bush den Zaun im letzten Jahr selbst als ein Problem bezeichnet hat. Die EU, Russland und viele südamerikanische Länder wollten keinen neuen Konflikt mit der US-Regierung riskieren und haben sich der Stimme erhalten.
Bei der Diskussion in der Generalversammlung hatte der palästinensische UN-Delegierte Nasser al-Kidwa Israel vorgeworfen, dass der Bau der Mauer eine "Versklavung des ganzen palästinensischen Volkes" bedeute, indem es "in Kantone eingesperrt" werde. Die Mauer sei kein Mittel zur Erzielung von Sicherheit, sondern ein "großen Kriegsverbrechen". Man könne auch nicht mit der "Road Map" fortfahren, also dem Friedensplan, der die Einrichtung eines palästinensichen Staates vorsieht, während die Mauer weiter gebaut werde. Israel bezeichnete die Vorwürfe als "Lügen".
Der israelische UN-Botschafter Dan Gillerman, der nicht von einer Mauer, sondern nach der Sprachregelung der israelischen Regierung von einem Sicherheitszaun spricht, bezeichnete diesen als "eine temporäre, bewährte, notwendige und nicht-gewaltsame Maßnahme". Er sei keine Grenze und habe daher auch keine politische Bedeutung, sondern verhindere nur, dass palästinensische Terroristen eindringen und Anschläge ausführen können. Allerdings wird der Zaun oder die Mauer bei Fertigstellung 6 Prozent oder 200 Quadratkilometer des Westjordanlands faktisch einschließen und Israel zuordnen. Eingeschlossen werden damit auch 15.000 Menschen.
Gillerman sieht im Beschluss der Vollversammlung eine einseitige Anwendung des Internationalen Rechts. Ein Kommentar in der Jerusalem Post unter dem polemischen Titel Sowjetjustiz macht diese Haltung deutlich, jede Kritik in einen Antisemitismus oder zumindest in eine anti-israelische Position umzumünzen, was die Diskussion sicherlich nicht einfacher macht: "Will die internationale Gemeinschaft die systematische Zerstörung seiner Institutionen auf dem Altar des arabisch-israelischen Konflikts fortführen? Das, nicht der Sicherheitszaun Israels, ist die Frage, die demnächst vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandelt wird."
Der israelische Justizminister Lapid, der im letzten Jahr noch für den bislang geplanten Verlauf der Mauer gestimmt hatte, gibt sich nun als Realist und warnt davor, dass auf das Land ein internationaler Boykott zukommen könne, wenn der Verlauf der Mauer nicht geändert werde. Israel sei für die internationale Reaktion verantwortlich, "weil wir nicht mit einem lokalen Sicherheitszaun zufrieden waren, sondern den Verlauf verändern mussten, bis er zum Gegenstand eines internationalen Konflikts geworden ist". Andere Regierungsmitglieder wie der Gesundheitsminister Dan Naveh wollen aber stur bleiben und sehen eine Veränderung des Mauerverlaufs als "gefährlich" an. Ein Zaun, der auf der Grüne Linie verlaufe, würde den Feinden Israels einen Gewinn verschaffen, die schuld daran sind, dass das Thema nun vor den Internationalen Gerichtshof verhandelt wird.
Noch scheint man in der israelischen Regierung von einem Beschluss weit entfernt zu sein, wie man gegenüber dem Internationalen Gerichtshof auftreten soll. Manche plädieren dafür, dem Gerichtshof ohne weitere Anführung von Begründungen für die Mauer einfach jede Berechtigung abzusprechen, andere denken, dass es politisch wichtig sei, Stellung zu nehmen. Ein Team an Juristen wurde zusammen gestellt, um eine Stellungnahme zu dem heiklen Thema vorzubreiten.
Zudem steht man auch bei einem anderen schwierigen Thema unter Druck. Nachdem Libyen und der Iran Inspektionen ihrer Atomanlagen durch die IAEA zugestimmt haben, ist im Augenblick Israel das einzige Land in der Region, das nicht nur ein Atomwaffenprogramm, sondern auch ein Arsenal an Atomwaffen hat. Einer Abrüstung oder einer Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrags lehnt Israel - mit der Hilfe der US-Regierung - ebenso ab wie immer wieder eingebrachte Resolution nach einer atomwaffen- oder massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten (Der Nahe Osten als massenvernichtungswaffenfreie Zone).