Das Kanzlerhaus im Visier
Kanzlergattin empört sich über ver.di-Postler-Protest als Störung ihrer Privatsphäre, Hannover will nun "akustische Störungen" durch weiträumige Absperrungen des Kanzlerhauses verhindern
Die Post will wieder sparen, daher regte sich in Hannover der Widerstand der Mitarbeiter. Als schnelle Protestaktion lud die Gewerkschaft ver.di zur Betriebsversammlung. Damit auch die Öffentlichkeit von dem Protest hört, führte man einen Demonstrationszug in die unmittelbare Nähe des Kanzlerwohnortes in Hannover. Und so demonstrierten 3.000 Post-Mitarbeiter an der Friedenskirche gegen drohende Gehaltseinbußen. Der Bundeskanzler regiert allerdings in Berlin, weswegen sich Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf empörte, weil sie sich durch die Demonstration in Sichtweite in ihrer Privatsphäre gestört fühlte.
Was ist ein Protestzug wert, wenn er nicht wahrgenommen wird? Wer nicht in der Lage ist, Massen zu organisieren, muss in seinen Protestformen deutlich fantasievoller zu Werke ziehen. Greenpeace, Robin Wood oder die Castorgegner führen immer wieder vor, wie man Print- und Bildmedien für eine Berichterstattung gewinnen kann. Öffentlichkeitswirksam werden Schiffe geentert, Plakate von Schornsteinen entrollt, ketten sich Aktivisten fest oder blockiert man auch schon mal verkehrsreiche Kreuzungen.
Hannoversche Gewerkschaftler sind natürlich wertkonservativ, halten an den bewährten, ruhig und friedlich verlaufenden Demonstrationszügen fest und marschierten einige hundert Meter bis zur Friedenskirche, die in unmittelbarer Nähe des Kanzlerhauses liegt. Sinn, Zweck und Absicht war natürlich, auch dem Bundeskanzler - der derweil in Berlin seinem Arbeitsalltag nachging - ihren politischen Unmut zur Kenntnis zu bringen. Das ist den ver.di-Gewerkschaftlern nun prächtig gelungen. Denn trotz vorgenommener Absperrungen rund um das Kanzler-Reihenhauses (Der Kanzler ist einer von uns) konnte Doris Schröder-Köpf den Demonstrationszug nicht nur sehen, sondern vor allem hören. Die Polizei hatte angesichts der Menschenmenge dem genehmigten Protestzug aus Sicherheitsgründen den Einsatz eines Megaphons vorgeschrieben.
Angst vor Übergriffen musste Doris Schröder-Köpf weniger befürchten. Die schusssicheren Fenster und der Wintergarten halten schon einiges aus. Doch offenbar sind die Lärmschutzmaßnahmen beim Einbau nicht ausreichend berücksichtigt worden. "Auch wenn der Kanzler uns nicht hören kann", hatte der ver.di-Landesvorsitzende Wolfgang Denia ins Megaphon gerufen, "er wird unsere Botschaft schon bekommen." Die Botschaft hat dieser wohl vernommen, denn seine Ehefrau beschwerte sich öffentlich, dass sie und ihre Tochter ins Visier der Demonstranten geraten seien. Und prompt stimmten einige niedersächsische Politiker in den Protestchor von Schröder-Köpf ein und verlangten, dass Familien, Kinder und natürlich auch private Wohnorte von Protesten auszunehmen seien. Protest soll nur dem Amte gelten und entsprechende Demonstrationen seien auch nur vor dem jeweiligen Amtssitz legitim. In diesem Fall wäre das Kanzleramt in Berlin der richtige Anlaufpunkt gewesen. Die Gewerkschaftler von ver.di rechtfertigten dagegen ihre Art des Protestes und empfahlen Frau Schröder-Köpf mehr Gelassenheit.
Die Kundgebung im hannoverschen Zooviertel in der Nähe der Privatwohnung wird in der öffentlichen Meinung deutlich als Tabubruch wahrgenommen. Nicht einmal bei Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl hätte man in Ludwigshafen-Oggersheim protestiert, so Frau Schröder-Köpf. Stimmt so nicht ganz, denn auch der Ex-Bundeskanzler blieb nicht verschont, als im Januar 2000 die NPD in die Nähe des Privathauses in Oggersheim marschierte und die angeblich deutschfeindliche Politik der Vergangenheit kritisierte.
Privat oder öffentlich?
Vom Tabubruch zu sprechen, wirft moralische Bedenken ins Feld, jedoch stellt sich die Frage, ob das Privathaus der Familie des Bundeskanzlers wirklich einen besonderen Freiraum haben soll? Sicherheitshalber hatte man schon Absperrgitter aufgestellt, um nähere Proteste am Privathaus zu verhindern. Einer privaten Hausfrau wird ein solches Privileg sicher nicht gewährt. Auch steht Frau Doris Schröder-Köpf und ihrer Tochter Klara ein Team von Sicherheitsbeamten zur Seite. Die Straßenführung am Wohnort im hannoverschen Zooviertel wurde extra nach Sicherheitsaspekten geändert, so dass eine Überwachung und Personenkontrolle einfacher geworden ist.
Doch wie privat ist ein Wohnhaus, in dem der Bundeskanzler sogar hohe Staatsgäste wie den russischen Staatspräsident Wladimir Putin oder den britischen Premierminister Tony Blair mit Ehefrau Cherie empfängt? Selbst beim Einkaufsbummel sind Gerhard Schröder und seine Ehefrau nie ganz privat, wie in einem Bericht bei den höflichen Paparazzi nachgelesen werden kann.
Ist es also nicht selbstverständlich, wenn man an der Friedenskirche friedlich gegen den Abbau von Gehältern protestiert, dass man auch Grüße an den Ehemann ausrichtet? In Zukunft, so der hannoversche Polizeipräsident Klose, werde die Hausfrau und Mutter Doris Schröder-Köpf nicht einmal etwas von einem Protestzug zu hören bekommen. Er äußerte Verständnis für die Kanzlergattin: "Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Privatsphäre ungestört bleibt." Künftig also soll die Umgebung des privaten Kanzlerhauses weiträumig abgesperrt werden, um akustische Belästigungen von Schröders Familie zu verhindern.
Eine Bannmeile (Bannkreisverletzung ist nach § 106a Strafgesetzbuch ein Straftatbestand) auch für den Privatwohnsitz des Kanzlers einzuführen, wird wohl nicht möglich sein, da eine gesetzliche Grundlage fehlt, um neben der Bannmeile um Bundestag, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht und die jeweiligen Landtage auch noch das Privathaus des Kanzlers einzuschließen. Für das Privathaus des Kanzlers gebe es kein Sonderrecht, so auch das niedersächsische Innenministerium.