"Das Land braucht einen wirklichen Wandel"
Sol Sánchez, die in der Izquierda Unida für die Koalition "Unidos Podemos" kandiert, über die Aussichten der Linken bei der Wahl in Spanien
Im "zweiten Wahlgang", nachdem nach den Wahlen im vergangenen Dezember keine Regierungsbildung möglich war, tritt die IU gemeinsam mit Podemos (Wir können es) und kleineren und regionalen Linksparteien an. Wie erklären Sie sich den Schwenk von Podemos, die ein Bündnis mit der IU im vergangenen Jahr noch brüsk und arrogant ablehnte?
Sol Sánchez: Ich glaube, in den letzten Monaten wurde vieles klarer, auch wenn gesagt wird, es wäre eine verlorene Legislaturperiode gewesen. Es hat sich gezeigt, wer für progressive Politik steht und wer nicht. Da sich die Sozialisten (PSOE) mit einem Pakt in die Arme der neoliberalen Ciudadanos (Bürger) geworfen haben, war klar, dass man als breites Bündnis antreten muss. Um eine Alternative zu bilden und eine fortschrittliche Politik zu machen.
Ist es nicht auch das Wahlgesetz, das kleinere Parteien praktisch zu Bündnissen zwingt?
Sol Sánchez: Natürlich ist das bedeutsam, wir haben im Dezember mit einer Million Stimmen nur zwei Abgeordnete erhalten, die PSOE und die rechte Volkspartei (PP) pro Million Wähler fast 20 Sitze. Dieses ungerechte Gesetz hat einen Einfluss und wir wollen das ändern, damit der Wählerwillen korrekter nach Wahlen abgebildet wird.
Wie läuft nun der gemeinsame Wahlkampf?
Sol Sánchez:Gut, aber anders als zuvor, obwohl es quasi eine Verlängerung der letzten Wahlkampagne ist. Manchmal treten wir zusammen auf, manchmal getrennt. Es gibt viel Begeisterung und die Leute kommen in Scharen zu den Veranstaltungen… Besonders zu Meetings, in denen wir zusammen auftreten, kommen tausende Menschen und dort wird das breite Bündnis sehr gut dargestellt.
Wenn die Umfragen zutreffen, wird Unidos Podemos nun zweitstärkste Kraft und die PSOE in Stimmen und Sitzen überflügelt. Reicht Ihnen das?
Sol Sánchez: Wir werden die verbleibende Zeit nutzen, um PP zu überflügeln. Denn das ist der Gegner und deren rechte und neoliberale Politik wollen wir begraben. Unser Ziel ist deshalb der Wahlsieg.
Nehmen wir an, das gelingt, doch eine absolute Mehrheit ist undenkbar. Mit wem könnte es einen Pakt zur Regierungsbildung geben?
Sol Sánchez: Wir werden mit den Kräften paktieren, die die Politik begraben wollen, welche der Bevölkerung im Land in den letzten Jahren schwer zugesetzt hat. Wir hoffen auf einen Pakt mit einer sozialdemokratischen PSOE, in der sich die linken Kräfte und der gesunde Menschenverstand durchsetzen und die sich von sozialliberalen Positionen wieder entfernt. Das wäre gut für die PSOE, gut für uns und das Beste, was der Bevölkerung im Land passieren kann.
In der PSOE-Wahlkampagne scheint es aber, dass die Linke ihr Feind ist und nicht die Rechte?
Sol Sánchez: Sie irrt sich bei ihrem Vorgehen vollständig. Wir haben es der PSOE schon nach den letzten Wahlen gesagt. Das Land braucht einen wirklichen Wandel und keine Veränderung von Köpfen und eine Fortführung der rechten Politik mit anderen Gesichtern, wie es deren Pakt mit den Ciudadanos praktisch vorsah.
Da die PSOE aber diesen Pakt eingegangen ist, der darauf zielte, auch die PP ins Boot zu holen, könnte sie nicht auf eine Koalition der beiden ehemaligen bestimmenden Parteien aus sein?
Sol Sánchez: Ich hoffe, dass die Vernunft siegt. Ich vertraue auf ihre Basis, denn das sind vor allem Leute mit einer linken Einstellung. Und ihre Partei kann daran eigentlich nicht vorbei. Der Pakt mit den Ciudadanos war ein schrecklicher Fehler und ein Betrug an den Wählern. Die Politik, die damit vertreten wurde, war unvereinbar mit dem Programm, für das die PSOE die Stimmen bekommen hat, denn die Rückgewinnung geschliffener Rechte und jede ernsthafte Sozialpolitik kamen darin nicht vor.
Würde das nicht auch bedeuten, dass die PSOE mächtig weiter an Stimmen verliert?
Sol Sánchez: Das müsste das Ergebnis des Vertrauensverlusts sein und dürfte eine Rolle spielen. Klar ist, dass eine progressive Politik nicht mit dem neoliberalen Programm der Ciudadanos möglich ist.
"Es ist doch klar, dass Austerität nicht funktioniert"
Welche Veränderungen sollen dringend umgesetzt werden, wenn Sie die Wahlen gewinnen?
Sol Sánchez: Wir haben ja ein gemeinsames 50-Punkte-Programm aufgestellt, das auf drei Pfeilern ruht: Die Rettung der Familien, um den sozialen Notstand zu bekämpfen und um die Grundbedürfnisse zu befriedigen, weshalb eine Sozialhilfe eingeführt werden soll. Die Zwangsräumungen sollen gestoppt werden. Dazu kommt die Rückgewinnung von Rechten und Freiheiten, also die Abschaffung von Maulkorbgesetzen, die Streichung der Bildungsreform und der beiden Arbeitsmarktreformen, welche die Arbeiter und Arbeiterinnen fast vollständig rechtlos gestellt haben. Die Ausblutung des öffentlichen Dienstes soll umgekehrt werden, wo eine halbe Million Stellen gestrichen wurden, was den Schweregrad der Einschnitte aufzeigt. Um das abzusichern, sollen ein Wechsel des produktiven Modells und eine Steuerreform kommen.
Doch wird das nicht auf massiven Widerstand in der EU-Kommission treffen? Es ist ja bekannt, wie mit Griechenland verfahren wird, und es ist auch bekannt, welcher Druck auf Portugal ausgeübt wird, wo die Linksregierung sich von der Austeritätspolitik verabschiedet hat.
Sol Sánchez: Auf der einen Seite muss man sich hinsetzen und ernsthaft verhandeln. Es ist doch klar, dass das, was Austerität genannt wird, nicht funktioniert. Diese Einschnitte sind ohnehin keine Austerität, da viele den Gürtel heftig enger schnallen müssen, doch andere dabei sehr gut absahnen. Diese Politik hat ja nicht zum Abbau der Schulden geführt. Sie sind in den Ländern hoch, wo diese Politik angewandt wurde. Dort ist Defizit weiter hoch, die Wirtschaft wurde abgewürgt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Das macht keinen Sinn und das zeigen auch die Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist gegen weitere Lohnkürzungen und heftige Einschnitte. Sie tritt für eine Politik ein, um über Infrastrukturmaßnahmen die Wirtschaft anzukurbeln. Es geht um eine vernünftige expansive Politik und nicht einfach darum, Geld auszugeben. Denn man kann nicht immer mit etwas fortfahren, was nicht funktioniert. Und klar ist auch, dass man mit dem viertgrößten Euroland nicht so umspringen kann, wie mit kleinen Ländern.
… das hat ja EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kürzlich mit Blick auf Frankreich auch eingeräumt.
Sol Sánchez: Genau! Und es ist doch auch klar, dass sich mit einer weiteren Linksregierung in Spanien das Kräfteverhältnis ändert. Die Länder im Süden sollten gemeinsam in Brüssel verhandeln. Dort muss es natürlich auch eine Demokratisierung der EU geben. Es kann nicht sein, dass immer mehr Entscheidungen auf die Kommission übertragen werden und nicht auf das Parlament. Das ist das einzige Gremium, das auch demokratisch gewählt wurde. Ich glaube, dass nur darüber verhindert werden kann, dass faschistische und fremdenfeindliche Strömungen sich weiter ausbreiten, die in vielen Ländern Europas schon sehr stark geworden sind. Die bringen mit Sicherheit Europa stärker in Bedrängnis als ein etwas zu hohes Haushaltsdefizit.