Das Netz und die Politik.

Ein Kongreßbericht

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Im allgemeinen Messe- und Kongreßrummel zum Thema Internet fallen diejenigen Veranstaltungen, die sich einmal nicht mit noch mehr verkaufsträchtigem Webdesign, raffinierten Serverlösungen oder Neuigkeiten der HTML-Programmierung, sondern mit politischen Perspektiven befassen, angenehm auf. Und wenn dann über Politik gesprochen wird, geht es um Fragen der Regulierung, des Zugangs, des Datenschutzes, der Informationsfreiheit. So auch bei "Demokratie an der Schnittstelle. Neue Medien und politische Perspektiven", ein Kongreß am 7. Dezember 1996 in Frankfurt. Veranstaltet wurde er von der Grünen-nahen Stiftung Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie e. V. (HGDÖ) in Zusammenarbeit mit dem Referat für Politische Bildung des Allgemeinen Studentenausschusses der Universität Frankfurt.

Angesichts der in Deutschland noch dürftigen Diskussion über die politischen Implikationen der schönen neuen Netzwelt, wollten die Veranstalter einen Beitrag leisten, der auch innerhalb der Bewegung der Grünen die Auseinandersetzung mit den neuen Medien antreibt. Denn - so die Veranstalter - "auch unter Grünen und ihrem Umfeld wird die medienpolitische Diskussion selten von 'innen', auf der Basis von Erfahrung mit den neuen Medien, sondern meistens von 'außen', auf der Basis von Schwellenangst geführt." Mit gutem Beispiel voran gehend, betreibt die HGDÖ einen Web Server, auf dem unter anderem die Kongreßinformationen veröffentlicht sind.

Gleich zum Auftakt des Kongresses zeichnete Rainer Rilling in seinem Einführungsvortrag ein einigermaßen dunkles Bild: "Das Netz ist unpolitisch!" In der ansonsten großen, bunten Vielfalt des Netzes, wo doch eigentlich alles und jedes thematisiert wird, sind politische Inhalte vergleichsweise gering repräsentiert, und Rilling schätzt den Anteil politischer Web Sites in der Bundesrepublik auf unter ein Prozent. Das interaktiv ausgerichtete Internet werde mehr und mehr zu einem Verteilmedium. Informationen der etablierten Politik für die Bürger draußen im Lande; Frohsinn und Konsum für die Klicker der rasch zunehmenden kommerziellen *.com-Domains.

Der Weg zur Cyberdemokratie setzt Eigenaktivität voraus, die mehr umfaßt, als das Drücken der Kaufen-Taste. "Offene Netze und offene Politik bedingen sich. Die demokratiepolitische Qualität der Netze und des neuen Informationsraums entsteht aus der demokratischen Konfiguration der technischen Architektur des Netzes und setzt eine demokratische Kultur des politischen Realraumes voraus."

Thema meines anschliessenden Vortrags waren Nutzergenerationskonflikte, die durch die Transformation des Internet von einem Forschungsnetz zu einem Massenmedium hervorgerufen werden, und für die bislang noch keine allgemein akzeptablen Regelungen gefunden wurden. Die technikverliebten und in vielen Angelegenheiten libertären Traditionen des "alten Internet" werden durch Anforderungen und Wünsche der neuen Nutzergeneration sowie durch Reglementierungsanstrengungen von Politik, Justiz oder konventionellen Standardisierungsorganisationen in Frage gestellt. Die sich in zwanzig Jahren Netzauf- und ausbau gewissermaßen evolutionär entwickelten Gepflogenheiten und Richtlinien werden durch die Infragestellung heute zu einem Politikum, werden von Selbstverständlichkeiten zu Rechten und Freiheiten, deren Verteidigung sich Netzaktivisten wie die Electronic Frontier Foundation auf die Fahnen geschrieben haben - Das Netz ist politisch!

In Workshops wurde über virtuelle Gemeinschaften, Cyberdemokratie, den "Mythos Internet" und Netzprojekte diskutiert, und man hatte Gelegenheit, sich einmal genauer danach zu erkundigen, woran beispielsweise in Amsterdam bei der "Mutter" aller digitalen Städte jetzt so gearbeitet wird oder wie die technischen Raffinessen der neuen Oberfläche der Berliner Städter funktionieren. Die Amsterdamer, deren Projektgründung 1994 sich städtisch-staatlicher Unterstützung erfreute, haben inzwischen feststellen müssen, daß sich die anfänglichen Hoffnungen auf technisch vermittelte Bürgernähe per Vernetzung nicht erfüllen, denn nur wenige Politiker zeigen genügend praktische Bereitschaft für das Gespräch mit den Bürgern. Ein neuer Versuch ist eine Web Site mit Moderator, welcher die Themen und Fragen bündelt und sich per Telephon mit Politikvertretern in Verbindung setzt.

Auch im Netz geht nicht alles von selbst: "Die Interaktivität unter den Usern zu fördern, ist eine Aufgabe der Systembetreiber," sagte Nina Meilof von De Digitale Stad. Mike Sandbothe wies in seinem Vortrag über Ambivalenzen virtueller Gemeinschaften ebenfalls darauf hin, daß ein Vertrauen auf die vermeintlich solidarisierende Eigendynamik des Mediums Internet sowie das Engagement einzelner Nutzer noch nicht genüge, um das gemeinschaftsbildende Potential, das in der Internetkommunikation liegt, zu erschliessen. Und die Entstehung virtueller Gemeinschaften führt nicht per se zu einer Wiederbelebung realer Gemeinschaften.

"Mit neuen Medien zu neuen Ufern?" war die Leitfrage der abschliessenden Podiumsdiskussion mit Elisabeth Binder, "Pheminist CyberRoadShow", Wien, Andy Müller Maguhn vom Chaos Computer Club und den Bundestagsabgeordneten Manuel Kiper von Bündnis 90/Die Grünen und Jörg Tauss von der SPD. Die Abschlußdiskussion wie auch die anderen Beiträge des Kongresses bestätigten, daß trotz ansonsten durchaus unterschiedlicher Standpunkte zu wesentlichen netzpolitischen Grundfragen bereits ein breiter Konsens besteht.

Die neuen Ufer dürfen keine exklusiven Terrains für einige wenige Privilegierte sein, sondern es soll Zugang für eine große Öffentlichkeit mit allseits akzeptablen, nicht einengenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu darf das Feld nicht allein wirtschaftlichen Interessen und Begehrlichkeiten überlassen werden. Bürgerrechte und Freiheiten gelten prinzipiell auch im Netz, wenngleich unter den Bedingungen einer globalen Netzstruktur. Gläserne Bürger? - Nein, danke. Fragen des Urheberschutzes und der informationellen Selbstbestimmung sind von allgemeinem Belang. Angesichts des derzeitigen Aushandelns von Regulierungsfragen in - wenn nicht abgeschlossenen, so doch abgehobenen - internationalen und nationalen Gremien ist eine öffentliche politische Debatte, die sich sowohl mit den Risiken, als auch mit den demokratischen Potentialen der neuen Netzwelt auseinandersetzt, von größter Wichtigkeit. Sonst wird die Datenautobahn womöglich an den Wünschen und Interessen der sich nicht zu Wort meldenden vorbeifahren.

Anders als in den USA, wo sich inzwischen zahlreiche Interessenvertretungen verschiedenster Ausrichtung - die bereits genannte Electronic Frontier Foundation oder auch Computer Programmers for Social Responsibility, die Freenet-Gruppen oder der Tugendwachschutz Cyber Angels - formierten, haben sich hierzulande noch kaum netzpolitische Interessengruppen zusammengefunden. Der altehrwürdige Chaos Computer Club setzt sich seit vielen Jahren für Datenfreiheit ein; dessen Stimmen dringen aber nicht unbedingt bis nach Bonn. Was aus den Aktivitäten der in diesem Sommer von Providervertretern gegründeten Internet Content Task Force längerfristig folgen wird, bleibt abzuwarten. Aus traditioneller Internetperspektive ist allein schon der von den Initiatoren gewählte Name ein Sakrileg. Als Internetprovider befindet man sich aber in der starken Position des Schalthebelbedieners, und dort läßt sich schon effektvoller Politik machen als durch das Posten von Newsgroupartikeln.

Während unter den Vortragenden der Frauenanteil eine politisch korrekte Quote einnahm, bestand das Kongreßpublikum ganz überwiegend aus Vertreten des männlichen Geschlechts. Kaum verwunderlich bei einer Veranstaltung, die zwei klassische Männerthemen - Politik und Technik - zum Gegenstand hat. Die Ungleichgewichte in der Teilnehmerzusammensetzung des Frankfurter Kongresses entsprechen den Verhältnissen im Netz, wo der Anteil weiblicher Internetuser auf zehn Prozent geschätzt wird. Schade, schade, meine Damen, wenn die angestrebte "breite politische Debatte" ohne Ihre Stimmen geführt werden würde.