Das Oberste Gericht Russlands schränkt das Lauschgesetz SORM ein

Aber das ist nur ein kleiner Sieg, denn gleichwohl müssen die Provider auf ihre Kosten Abhörschnittstellen für den Geheimdienst einbauen, während ein neues Informationsgesetz auf Bedenken stößt

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Der Oberste Gerichtshof Russlands hat letzte Woche entschieden, dass Teile des neuen Überwachungsgesetzes SORM gegen die Verfassung verstoßen. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1995 und ermöglichte erst einmal nur das Abhören von Telefongesprächen. 1998 wurde es auf das Internet erweitert, wodurch dem russischen Geheimdienst die Echtzeitüberwachung des gesamten Internetverkehrs ermöglicht wird.

SORM II (Sistema Operativno-Rozysknykh Meropriyatii) ist seit Ende Juli in Kraft getreten. Aufgrund des Gesetzes müssen Internetprovider auf eigene Kosten eine Überwachungsschnittstelle mit einer Verbindung über ein Glasfaserkabel zum Geheimdienst FSB einrichten. Dadurch kann der Geheimdienst in Echtzeit alles abhören, was über die Server der Provider läuft. Alexei Rokotyan vom Kommunikationsministerium machte die Reichweite deutlich: "Die Sicherheitsbehörden und Sondereinheiten haben das Recht und jetzt auch die Möglichkeit, private Kommunikation und Telefongespräche von einzelnen Bürger zur Durchsetzung der Rechtsordnung zu überwachen." Das aber geschehe streng nach dem Gesetz, das heißt, es sollen nur einzelne Bürger aufgrund einer zuvor eingeholten richterlichen Genehmigung abgehört werden: "Wenn wir über die Einrichtung von SORM in das russische Kommunikationsnetzwerk sprechen, dann sprechen wir nicht über die Möglichkeit einer globalen Überwachung des Internet oder über eine totale Kontrolle der Information, die über das globale Netz gesendet wird, sondern wir sprechen über das legale Abhören von Einzelpersonen."

Bürgerrechtsorganisationen kritisierten, dass der Geheimdienst damit aber eine unkontrollierbare Macht erhält. Schließlich müsse die richterliche Genehmigung nicht vor dem Abhören vorliegen: "Freier Zugriff auf das Internet gibt dem FSB große Macht, die sich leicht missbrauchen lässt", meinte etwa Ina Zemskova von Citizen' Watch in St. Petersburg. "In unserem Land kontrolliert niemand die Lauscher." Ähnlich wie bei Carnivore, dem umstrittenen Lauschsystem des FBI, würden die Provider nicht einmal wissen, wann der Geheimdienst sich Daten holt und was er im Netzwerk macht.

Bislang nutzen in Russland etwa 7 Millionen Menschen oder fünf Prozent der Bevölkerung das Internet. Es gibt etwa 2000 Internetprovider, die durch SORM möglicherweise in finanzielle Nöte geraten könnten, denn die Einrichtung der Schnittstelle kostet immerhin zwischen 15000 und 25000 US-Dollar. Gleichwohl war der Widerstand gegen SORM vergleichsweise gering, da Provider die Lizenz verlieren, wenn sie die Schnittstelle nicht einrichten. Als Oleg Syrov, Direktor des Internetproviders Bayara-Slavia in Wolgagrad, sich 1998 weigerte, die Schnittstelle einzurichten, sei er bedroht worden und habe man versucht, sein Unternehmen zu schließen (Der russische Big Brother und das Internet). Doch bislang hat man noch nichts davon gehört, dass einem Provider wegen SORM die Lizenz entzogen wurde.

Der Journalist Pavel Netupsky aus St. Petersburg hatte beim Obersten Gerichtshof Widerspruch gegen SORM eingelegt, der vor allem die Anordnung betraf, dass Provider die Schnittstelle zum Abhören einbauen und für die Kosten aufkommen müssen. Am 25. September entschied das Gericht, es verstoße gegen das Gesetz, wenn die Provider nicht über Abhörmaßnahmen informiert werden, da diese den Kunden gegenüber für Geheimhaltung garantieren. Die Provider können jetzt, sofern sie selbst wirklich in Kenntnis gesetzt werden, ihre Kunden darüber informieren, dass sie abgehört werden, auch wenn Skeptiker fürchten, dass dies nur wenige aus Angst vor dem noch immer mächtigen Nachfolger des KGB machen werden. Zudem scheint die Einschränkung vornehmlich Telefon- und Mobiltelefonunternehmen zu betreffen, wie Sergei Smirnov vom russischen Human Rights Network sagt. Ob das auch Internetprovider gilt, ist noch nicht klar, da noch keine schriftliche Begründung des Urteils vorliegt.

Neben SORM ist zudem ein neues Informationsgesetz in Russland in Kraft getreten, bei dem man noch immer darüber rätselt, ob es eher dazu dient, dass die Bürger mehr und bessere Informationen erhalten oder dass die Medien strenger kontrolliert werden können, zumal Putin gerade gegen den Medienmogul Berezovsky und dessen unabhängigen Fernsehsender NTV vorgeht. Den Bürgern wird im neuen Gesetz das Verfassungsrecht zugesprochen, Informationen zu sichern und zu verwenden; die Regierung muss die Grundlagen ihrer Innen- und Außenpolitik erklären, sofern es sich um wichtige gesellschaftliche Themen handelt, sie muss den "Zugang der Bürger zu offenen Informationsquellen des Staates" ermöglichen und will Informationstechnologien, Massenmedien, Computer- und Telekommunikationstechnologie entwickeln. Informationsquellen werden vor unberechtigtem Zugriff geschützt.

Zum Schutz der Information etwa wird ausgeführt: "Unter der Sicherheit der Information verstehen wir die Möglichkeit, nationale Interessen im Informationssektor durch Kontrollen und Überprüfungen zu verteidigen, die die Interessen des Einzelnen, der Gesellschaft und des Staates berücksichtigen." Und das Recht auf Zugang zu Informationen soll laut dem Gesetzestext "die geistige Erneuerung Russlands, die Bewahrung und Verstärkung der moralischen Werte der Gesellschaft, ihre Traditionen des Patriotismus und Humanismus und die kulturelle und wissenschaftliche Leistung des Landes" fördern. Die Rede ist allerdings auch davon, dass der "unerlaubte" Zugriff auf Informationen beschränkt und kontrolliert werden soll, wie die Medien an ihre Informationen gelangen.

Kritiker finden besonders bedenklich, dass in dem Informationsgesetz die "Verbreitung von Falschmeldungen" über die russische Politik und Regierung als eine der Hauptbedrohungen der nationalen Sicherheit aufgeführt wird. Gesprochen wird hier auch von den Wünschen einer ganzen Reihe von Ländern, die "zusammen mit dem Versuch, Russland aus den heimischen und internationalen Informationsmärkten herauszudrängen, den Interessen Russlands schaden und eine Vorherrschaft in der globalen Informationssphäre erreichen wollen."

Für Unbehagen sorgt auch die Formulierung, dass die Regierung den Status ausländischer Medien und Journalisten, die in Russland arbeiten, "klären" müsse. Das heiße nur, wie Anatoly Streltsov vom Sicherheitsrat, der das Gesetz verabschiedet hat, erklärt, dass man "gleiche Arbeitsbedingungen" schaffen wolle. Allerdings gibt es bereits in einem früheren Gesetz eine solche Garantie, weswegen manche ins Stutzen kamen und vermuteten, dass diese Formulierung heißen könne, die Regierung wolle die westlichen Journalisten denselben Einschränkungen wie den Journalisten der staatlichen Medien unterwerfen und den Zugang zu Informationen weiter beschränken.